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Wenn Waltraud Bräuß „Leise rieselt der Schnee“ singt, oder Artikel aus der Tageszeitung kommentiert, schauen ihr tausende Menschen zu. Die 86-Jährige aus Elmshorn ist eine sogenannte Granfluencerin – eine Mischung aus den englischen Begriffen „Grandparents“ (engl. für Großeltern) und „Influencerin“. Kurzum: eine Oma, die erfolgreich auf Social Media ist. Unterstützt wird Sie dabei von Ihrem Enkel Felix Nieder. Der 30-Jährige ist ein bekanntes Model und hilft seiner Oma, Ihren Kindheitstraum zu verwirklichen. Die beiden sitzen gemeinsam in der Küche von Frau Bräuß, wo auch viele Videos für Tiktok gedreht werden.

Frau Bräuß, Herr Nieder: Auf der Plattform Tiktok folgen Ihnen mittlerweile fast 60.000 Menschen. Wie hat das gemeinsame Social-Media-Projekt denn überhaupt begonnen?

Nieder: Wir haben erst 2022 damit angefangen. Oma hat meine Social-Media-Videos gesehen und sie fand das sehr interessant. Sie wollte mir dann erstmal beim Drehen zuschauen. Irgendwann wurde das Zuschauen langweilig…

Bräuß: …und dann wollte ich auch kleine Videos machen. Früher war es mein Traum, Sängerin zu werden. Da haben wir uns gedacht: Komm, ich singe einfach bekannte Kinderlieder von früher. Die Videos sind eingeschlagen wie eine Bombe. Das ist schon verrückt. Unser erfolgreichstes Video hat mittlerweile 1,6 Millionen Aufrufe.

Sie haben schon länger eine typische Begrüßungsgeste in den Videos. Sie kreisen einen Arm über den Kopf. Wie kam es dazu?

Bräuß: Die Geste haben wir gemeinsam entwickelt. Felix sagte immer zu mir, du musst ein bisschen freundlicher rüberkommen (lacht). Und dann habe ich zur Begrüßung diese Armbewegung gemacht.

Nieder: Naja, Oma hat am Anfang immer so mit den Leuten gesprochen, als wären sie gar nicht da. Ich habe ihr geraten, sie soll sich denken, dass sie ein richtig großes Publikum anspricht. Dann habe ich ihr gesagt: Oma, wir brauchen irgendwie so eine typische Begrüßung.

Und die hat definitiv Wiedererkennungswert. Aktuell drehen Sie aber kaum noch Sing-Videos mit Kinderliedern.

Bräuß: Ja, die Kinderlieder sind nicht mehr so aktuell. Da mussten wir uns was anderes ausdenken.

Nieder: Wir bekommen das ja ganz gut wiedergespiegelt von den Nutzerinnen und Nutzern und gehen darauf ein, was die Leute sehen wollen. Deshalb gibt es jetzt regelmäßigen Kaffeeklatsch.

Bräuß: Genau, bei „Kaffeeklatsch mit Oma Waltraud“ lese ich aus den aktuellen Zeitungen und Magazinen vor und kommentiere das Geschehen. Ab und zu sind auch Sportvideos dabei. Ich habe so einen kleinen Ergometer zuhause, auf dem ich strampeln kann.

Nieder: Gerade haben wir knapp 60.000 Follower. Die Oma sagt immer, wenn wir mit dem jetzigen Format mehr Leute erreichen, würde sie das freuen. Weil ihr das so viel Spaß macht.

Bräuß: Ich merke auch, wie ich dadurch fitter im Kopf bleibe. Ich mache viel am PC und am Handy. Auch die Pressetermine sind für mich kein Stress mehr. Im Gegenteil – ich kann das voll und ganz genießen. Am Anfang war ich da noch sehr aufgeregt.

Auf Social Media haben Sie aber bestimmt nicht nur mit netten Menschen zu tun, oder?

Bräuß: Wir bekommen sehr viele positive Kommentare, das freut uns sehr. Manchmal erreichen uns aber auch negative Hasskommentare bis hin zu Morddrohungen.

Nieder: Nach einem Talkshow-Besuch kamen Kommentare wie: Oma mache das nur, weil sie Aufmerksamkeit will. Oder in die Richtung, wie oberflächlich wir doch seien.

Wie gehen Sie damit um?

Nieder: Damit müssen wir natürlich leben, solche Leute gibt es immer. Ich muss mich nur an anderer Stelle ein wenig um Oma kümmern, weil sie etwas zu herzlich mit den Menschen umgeht. Viele Leute klingeln bei Oma und sie empfängt die fremden Menschen immer mit offenen Armen. Ich sage dann immer, das darfst du eigentlich nicht so machen.

Das heißt, Sie sind gerade in der Heimat sehr bekannt?

Nieder: Wenn wir gemeinsam einkaufen, werden wir mittlerweile oft angesprochen. Für mich ist das ja Alltag, aber mit Oma ist es witzig. Schon lustig, wenn die Oma plötzlich so bekannt ist.

Bräuß: Erst kürzlich haben uns Leute angesprochen: „Ah, sie waren doch gestern in der Talkshow“.

Hat das gemeinsame Tiktok-Projekt Ihre Beziehung zueinander beeinflusst?

Nieder: Absolut. Ich finde es so schön, weil meine Welt sonst sehr oberflächlich ist. Immer wenn ich zu Oma komme, kann ich mit ihr über alles reden wie mit einer besten Freundin. Wir sprechen über alles – Beziehungen, Job, ganz egal. Das Projekt hat uns dann noch viel enger zusammengeschweißt.

Bräuß: Wir wollen mit unserem Social-Media-Profil zeigen, wie viel Spaß so ein gemeinsames Oma-Enkel-Projekt machen kann. Wir sind dadurch deutlich enger zusammengerückt.

Nieder: Wir wollen vor allem älteren Leuten zeigen: Sie können auch auf Social Media durchstarten und dort ihre Träume verwirklichen.

Warum sollten auch ältere Menschen auf den Sozialen Medien aktiv sein?

Bräuß: Ich finde das gerade in der heutigen Zeit wichtig. Denn egal wo man hinschaut, alles ist digitalisiert. Der Fortschritt geht immer weiter und da müssen wir Älteren schauen, dass wir den Anschluss halten. Social Media hilft mir, auf dem Stand der Dinge zu bleiben. Man darf uns Senioren da nicht in eine Schublade stecken. Wir können das auch, wenn wir Hilfe bekommen.

Nieder: Und außerdem ist es ja auch ein sozialer Ausschluss. Wer als älterer Mensch nicht auf Social Media ist, bekommt vieles aus dem Familien- oder Freundeskreis gar nicht mit. Bei mir ist das praktisch. Wenn ich etwas mit Oma teilen möchte, schicke ich ihr das einfach auf Instagram. Sie schaut sich das an und kann reagieren oder kommentieren. Andere ältere Menschen würde ich auf diese Weise gar nicht erreichen. Bei Oma geht das ratzfatz. Ich habe das Gefühl, dadurch ist sie der jungen Generation irgendwie viel näher.