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Frau Prof. Martin, manchmal sieht mein Spiegelbild übel aus. Wieso ist das so?

Das kann daran liegen, dass Sie an dem Tag wirklich anders ausschauen – weil Sie erkältet sind, eine harte Nacht hinter sich haben oder die Frisur neu und ungewohnt ist. Alles Faktoren, die auf das Erscheinungsbild Einfluss nehmen. Aber selbst wenn Ihr Aussehen konstant wäre: Unsere persön­liche Wahrnehmung ist immer auch abhängig von unserem Empfinden. Bin ich unausgeglichen oder schlecht drauf, nehme ich mich vielleicht auch weniger attraktiv wahr.

Wäre das Problem gelöst, wenn wir alle unsere Spiegel aus dem Fenster werfen?

Grundsätzlich ist ein beiläufiger Blick in den Spiegel nicht das Problem. Damit ­prüfe ich vielleicht auch etwas Nützliches, etwa ob die Kleidung passt. Auch wenn ich in der Früh vor dem Spiegel die Zähne putze, ohne in der Kategorie zu denken „schön oder hässlich“, spielt das keine große Rolle für mein Wohlergehen. Anders ist es, wenn das Aussehen durch einen spe­ziellen Termin oder eine generelle Haltung besonders wichtig wird. Dann nehmen Menschen mehr Abweichungen wahr von dem, wie sie aussehen wollen.

Ich schenke meinem Aussehen mehr Aufmerksamkeit und das kann zum Problem werden?

Wenn ich mein Äußeres sehr wichtig finde – vielleicht auch für meinen beruflichen Erfolg oder in der Liebe – dann kann die intensive Auseinandersetzung in der Tat zum Problem werden. Vor allem wenn meine Selbstwahrnehmung vom erhofften Ideal abweicht. Das erzeugt Unzufriedenheit und Unsicherheit. Wie schön ich mich finde, ist immer auch dadurch geprägt, welches Selbstbild ich habe.

Was prägt denn mein Selbstbild?

Verschiedene Faktoren spielen mit rein. Das können Erfahrungen sein, Gefühle, Misserfolge. Was wir wissen, ist: Personen, die im Erwachsenenalter mit ihrem Aus­sehen sehr unzufrieden sind und sich sorgenvoll damit beschäftigen, wurden häufig als Kinder und Jugendliche aufgrund eines optischen Merkmals gehänselt. Bestimmte Standards werden auch in der Familie geprägt. Medien haben ebenfalls Einfluss. Aber unsere Persönlichkeitsentwicklung beginnt eigentlich schon früher.

Sie meinen, die Medien spielen also gar keine so entscheidende Rolle?

In Forschungen über Essstörung hat man schon den Einfluss der Medien wahrgenommen. Unsere Idealvorstellungen werden medial geprägt. Junge Menschen vergleichen sich über Social Media. Es ist definitiv ein Thema, dass das Aussehen in der sozialen Welt einen hohen Stellenwert hat. Aber Medien bleiben trotzdem nur ein Baustein. Sonst wären wir ja alle sehr unzufrieden, da wir wirklich alle mit großen medialen Idealen konfrontiert werden.

Als Mutter einer Zehnjährigen möchte ich, dass meine Tochter sich wohl in ihrem Körper fühlt. Was kann ich tun?

Grundsätzlich ist die Akzeptanz des Kindes wichtig – unabhängig davon, wie es ausschaut. Botschaften wie: Du musst gut aussehen, um erfolgreich zu sein oder um ­einen Mann zu bekommen, sind schlecht. Diese Aussagen wurden in den letzten Jahrzehnten vermutlich auch mehr an Mädchen als an Jungen gerichtet. Entscheidend ist, Kinder nicht einseitig über eine Selbstwertquelle wie Aussehen zu definieren.

Wie schön ich mich finde, ist immer auch dadurch geprägt, welches Selbstbild ich habe.

Also besser den Selbstwert auf ­verschiedenen Säulen aufbauen?

Ganz genau! Es gibt zum Beispiel Situa­tionen, in denen ein Unfall stark ins Aus­sehen eingreift. Dennoch bleiben Betrof­fene selbstbewusst und zufrieden. Warum? Weil sie sich auf vielen Ebenen als wertvoll erachten – nicht nur über ihr Aussehen.

Aber wenn ich das nicht geschafft habe?

Sich kritisch bewerten, geht bei vielen Menschen schnell. Aber gibt es auch etwas, das ich an mir mag? Darauf kann ich meine Aufmerksamkeit lenken. Ich sollte mir vergegenwärtigen, was gut an mir ist – äußerlich und innerlich. Denn das Körperbild ist von beidem geprägt. Ich erlebe meinen Körper auch unabhängig vom Aussehen.

Als sinnlich, sportlich, aktiv …

Genau. Ich kann meine Ist-Wahrnehmung verändern. Ich kann aber auch mein Ideal hinterfragen, ob es überhaupt realistisch ist.

Ich wollte immer eine dünne Ballerina sein. Keine Chance …

Es gibt noch andere Facetten, ein wunder­bares Auftreten zu haben. Das muss nicht immer der zierlich-muskulöse Körper sein. Die Wahrnehmung des Aussehens ist das Resultat einer Vielzahl an Botschaften. Das ist nicht nur die Breite der Hüften oder die Größe der Lippen. Begeben Sie sich in die Beobachterrolle. Dann stellen Sie vielleicht fest, dass es schön ist, wie sich Menschen bewegen, welche Emotionen sie zeigen.

Sie arbeiten auch mit Frauen mit sehr starken Körperbildstörungen.

Die Auseinandersetzung mit wahrgenommenen Mängeln ist hier massiv. Dabei sind die Betroffenen äußerlich oft völlig unauffällig, wenn nicht sogar bildhübsch. Viele verlassen erst dann das Haus, wenn sie gewisse Makel genug verdeckt haben. Oder sie vermeiden den Kontakt mit anderen ganz – sei es im Schwimmbad, bei intimen Begegnungen, aber auch in alltäglicheren Situa­tionen. Dann empfehle ich dringend, sich Hilfe in Form einer Psychotherapie zu holen. Aber auch Frauen, die „nur“ unzufrieden sind, wünsche ich mehr Gelassenheit und Zufriedenheit in der Selbst­bewertung. Körperbild hat viel damit zu tun, wie zufrieden wir sind.

Paula Lambert, bekannt aus der Sendung „Paula kommt“, bietet Kurse zum Thema Selbstliebe an.

Mein Körper und ich

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Quellen:

  • Bergische Universität Wuppertal: Prof. Dr. rer. nat. Alexandra Martin , LEHRSTUHLINHABERIN UND LEITERIN DER PSYCHOTHERAPEUTISCHEN UNIVERSITÄTSAMBULANZ. Hompage: https://www.kp.uni-wuppertal.de/... (Abgerufen am 01.01.2023)