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Frau Dr. Nguyen-Kim, Sie sind bekannt dafür, sich in fast jedes Thema einzu­arbeiten. Was interessiert Sie gar nicht?

(lacht) Ich würde sagen Fußball, aber selbst da ist es so, dass ich durch meinen Mann sozusagen zwangsgebildet bin. Je mehr ich weiß, desto mehr interessiert es mich dann doch. Dann ertappe ich mich bei der Nachfrage, wie das Spiel gestern eigentlich ausgegangen ist.

Ihr Job hat viel damit zu tun, immer mehr wissen zu wollen – und das anderen zu erklären. Was war ausschlaggebend, sich dafür zu entscheiden – und gegen eine Stelle in der Wissenschaft?

Ich bin total davon überzeugt, dass Wissensvermittlung genauso wichtig ist wie die Forschung selbst. Ich bin keine Grundlagenforscherin. Auch als ich noch als Chemikerin aktiv war, habe ich lieber anwendungsnah gearbeitet. Zum Beispiel an Drug-Delivery-Systemen, also wie Wirkstoffe in den Körper kommen.

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Pandemie: Die Rolle der Wissenschaft

Wissenschaft und Forschung spielen in der Bekämpfung der Corona Pandemie eine zentrale Rolle. Professor Mike S. Schäfer zu den Herausforderungen und Fallstricken zum Artikel

Und Sie erklären lieber, wie das funktioniert, anstatt zu forschen?

Wissenschaft wird erst richtig spannend, wenn sie in die Anwendung kommt. Die Grundlage dafür ist wissenschaftliches Verständnis, und das möchte ich gerne vermitteln. Dass das im Fernsehen und im Internet so gut funktionieren könnte, war anfangs nicht abzusehen.

Das war noch vor der Corona-Pandemie. War Ihnen damals schon bewusst, wie wichtig diese Wissensvermittlung ist?

Total! Schon vor der Pandemie gab es Impfskepsis und Virenleugner. Auch da haben wir schon Videos gemacht, zum Beispiel zur Klimakrise, zu künstlicher Intelligenz oder zu Tierversuchen. Das sind spannende, komplexe Themen, aber es ist unmöglich, darüber eine sinnvolle ethische Debatte zu führen, wenn die wissenschaft­lichen Fakten nicht zugrunde liegen. Mein Eindruck ist, dass es in Deutschland zu wenig naturwissenschaftliche Allgemeinbildung gibt.

Was glauben Sie: Warum ist das so?

Es gab lange die falsche Vorstellung, die Naturwissenschaften hätten nicht so viel mit dem echten Leben zu tun. Das mag vielleicht für Bereiche wie die Astrophysik gelten. Für mich als Chemikerin ist die Chemie eine sehr lebensnahe Wissenschaft. Backen zum Beispiel ist Chemie! Aber das Klischee aus der Schule „Das brauch ich doch nie wieder“ ist bei den Naturwissenschaften leider sehr ausgeprägt.

Ein Klischee ist auch, dass Frauen in den Naturwissenschaften immer noch unterschätzt werden. Haben Sie das selbst erlebt?

Ich würde sagen, Sexismus gibt es überall – und da sind die Naturwissenschaften noch ein verhältnismäßig dankbares Feld. Da wird man vielleicht am Anfang noch unterschätzt, kann sich aber sehr schnell Respekt erarbeiten – denn am Ende geht es um Zahlen, Belege und belastbare Daten. In der Medienbranche sitzen die Klischees viel tiefer, finde ich. Prestige-Dinge wie etwa mein Doktortitel oder der Ort, an dem ich studiert habe, scheinen da viel wichtiger zu sein als in der Wissenschaft.

Mein Eindruck ist, dass es in Deutschland zu wenig naturwissenschaftliche Allgemeinbildung gibt.

Es gibt Menschen, die, inspiriert von Ihrer Arbeit, jetzt Chemie studieren. Wie finden Sie das?

Da denke ich schon: Oho. Das ist so ein hartes Studium! Ich habe mal ein Video gemacht: „Warum ihr nicht Chemie studieren solltet“, das hat eine Million Aufrufe! Ich dachte, wer das gesehen hat und Chemie trotzdem ernst nimmt, soll es auch studieren. Wichtiger finde ich, dass jeder die Möglichkeit hat, sich auch in der Freizeit mit Chemie zu beschäftigen. Ich wünsche mir, dass zumindest die Grundlagen für ­alle verständlich sind und so etwas wie eine Allgemeinbildung entsteht.

Hat sich Ihre Arbeit durch die Pandemie sehr verändert?

Sie wurde erst einmal sehr viel mehr, streckenweise auch zu viel. Meine Mitarbeiter und ich sind Idealisten. Wir machen diesen Job, weil wir eine Verantwortung sehen. Und wann hätte die größer sein können als während einer globalen Pandemie?

Was haben Sie aus dieser Zeit gelernt oder dadurch sogar anders gemacht?

An der Art und Weise, wie ich arbeite und an meiner Motivation hat sich nichts geändert. Aber ich bin jetzt sehr viel bekannter. Damit kann niemand rechnen, der sich mit Wissenschaft beschäftigt. Das wäre ohne ein Jahrhundertereignis wie dieser globalen Pandemie auch nie so gekommen. Das beruhigt sich gerade wieder – und das ist gut so! Zu viel Rummel und Wissenschaft vertragen sich nicht. Man braucht Ruhe und Unaufgeregtheit, um das alles überhaupt sinnvoll zu vermitteln.

Wie wichtig ist es, zuzugeben, etwas nicht zu wissen? Zu sagen: Da kenne ich mich nicht aus?

Das sage ich sehr oft! Ich bin erstaunt über viele Anfragen, die ich bekomme und frage mich: Woher soll ich das denn jetzt wissen?

Zum Beispiel?

Zu allem, das im entferntesten mit Wis­senschaft zu tun hat. Ich wurde zu Dinosauriern gefragt! Aber nur, wenn ich mich schon mit einem Thema auseinandergesetzt habe, kann ich dazu auch etwas ­sagen.

Ein Problem ist wohl, dass Menschen sich auf komplexe Fragen einfache Antworten wünschen.

In Krisenzeiten natürlich umso mehr, das ist nachvollziehbar. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit – das ist für uns Menschen schwer zu akzeptieren.

Und auch auszuhalten.

Ja. Daher funktionieren Verschwörungserzählungen so gut. Das sind einfache Geschichten, die, so düster sie oft sind, wohl Halt geben in einer immer chaotischeren Welt. Das habe ich auch erst lernen müssen. Ich lebte in meiner naivrationalen Welt, habe mich über den Impfstoff gefreut. Noch nie gab es einen so gut beobachteten Impfstoff, das ist toll! Bis ich fassungslos vor der Impflücke stand.

Liegen da die Grenzen Ihrer Arbeit?

Die Grenzen sind mir ziemlich klar, vor allem durch meine Bekanntheit. Für jemanden, der an Verschwörungserzählungen glaubt, bin ich ein Anti-Qualitäts-Siegel. Ich kann die besten Argumente auf meiner Seite haben, aber da sie von mir kommen, wird sie mir diese Person nicht abnehmen. Ich brauche gar nicht erst versuchen, ihn oder sie zu überzeugen. Das wäre nur frustrierend und ist auch nicht das Ziel meiner Arbeit.