Volker Arzt: „Nichts auf der Welt ist selbstverständlich“
SENIOREN RATGEBER: Sie haben mal von sich gesagt, Sie hätten einen „missionarischen Erkläreifer“ …?
Volker Arzt:(lacht) Ich will es mal mit Karl Popper ausdrücken: „Wenn man etwas nicht so erklären kann, dass es die anderen verstehen, dann soll man das Maul halten.“ Dieses pseudo-intellektuelle Geschwätz, auch in vielen Feuilletons, geht mir auf den Geist. Ich bewundere die Leute, die sich gut und gleichzeitig schön und originell ausdrücken können und verständlich sind. Wir alle sind doch nur so von Fragen umgeben, und es tut gut, wenn du den Hauch einer Antwort hast.
Ihr Vater war Mathe- und Physiklehrer und hat Sie offenbar an- gesteckt mit seiner Begeisterung …
Er war ein begnadeter Lehrer, didaktisch eigentlich zu gut. Darum dachte ich im Studium, ich müsste die Professoren verstehen. Aber die redeten nur Kauderwelsch. Ich war immer der Ansicht: Ein guter Lehrer muss verständlich sein.
Warum sind Sie nicht Mathe- und Physiklehrer geworden?
Es gab deswegen ein großes Zerwürfnis zu Hause. Journalist – das war undenkbar! „Das sind doch diese Schwätzer, die wissen nichts und können über alles reden!“, meinten meine gutbürgerlichen Eltern. Aber als sie merkten, dass es Leute gibt, die unsere Sendung mögen, änderte sich das – nach einigen Jahren.
Sind Sie noch so neugierig wie am Anfang Ihrer Karriere?
Aus jeder guten Antwort entstehen zwei neue Fragen. „Man sieht nur, was man weiß“, ist einer der klügsten Sprüche. Du siehst viel mehr, je mehr du weißt. Ich habe neulich im Stadtpark eine Vogelstimmentour mitgemacht. Jetzt weiß ich, wie Mönchsgrasmücken schreien, das hatte ich schon tausendmal gehört, aber ich wusste nicht, was das ist.
Die Natur vor der Haustür kann Sie noch überraschen? Wo Sie schon so viele Naturfilme gemacht haben.
Ich bin 1990 so ein bisschen zwangsweise in den Natursektor übergesiedelt. Da hörte „Querschnitte“ auf und die Wissenschaft war damals nicht gefragt im ZDF: „Sie dürfen alles machen, Herr Arzt, aber bitte keine Wissenschaft.“ Da bin ich zum Glück zu den Tieren gekommen und das füllt mich vollkommen aus. Es ist letztlich viel faszinierender als Physik oder Mathematik. Außer du bist dort so gut, dass du in neue Gebiete vordringen kannst. Aber so gut war ich nie. Du kannst kein Experiment mit denselben Tieren wiederholen, die lernen sofort.
Die TV-Sendung „Querschnitte“ …
… war toll, ein Straßenfeger, es gab ja auch nur drei Programme. Wenn ich heute ein Institut besuche und der Chef sagt: „Ohne Ihre Sendungen wäre ich nicht das, was ich heute bin“ – das ist etwas wahnsinnig Schönes, das ist ein richtiges Geschenk.
Werden Sie noch auf der Straße erkannt?
So ein halbes Jahrhundert geht nicht spurlos an einem vorbei. Aber neulich im Stadtpark sprach mich eine Frau an: „Haben Sie nicht damals diese Wissenschaftssendung gemacht? Das war ja Wahnsinn!“ Sie meinte unsere wohl wichtigste Sendung „Der Ast, auf dem wir sitzen“. Da wies Hoimar von Ditfurth schon 1978 auf die CO₂-Problematik hin! Vor den Grünen oder dem Club of Rome. Er warnte davor, dass es zu warm wird und lieferte die richtige Begründung gleich mit. Seine Voraussagen sind alle eingetroffen. Leider.
Warum hat es nichts gebracht?
Das frage ich mich immer wieder, warum wir so wenig bewirkt haben. Für die Zuschauer war das Science-Fiction. Und es tat noch nicht weh. Um das Bewusstsein zu ändern, braucht es Schmerz und Katastrophen. Das klingt zynisch, aber mit Überzeugung, Einsicht, mit Kurven und physikalischen Formeln kannst du keinen Bewusstseinswandel erzeugen.
Ist das nicht frustrierend?
Das ist es. Ab und zu kommen die Tröster: „Ja, aber es hat sich doch etwas getan, ohne eure Sendungen wäre alles noch viel schlimmer.“ Das kannst du vergessen. Wir haben vielleicht einen Hauch sensibilisiert, aber nichts wirklich bewirkt.
Sie könnten jetzt verbittert im dunklen Zimmer hocken, aber ich erlebe Sie als vitalen, fröhlichen Menschen.
Zwei Dinge machen mich optimistisch: Die Enkelgeneration, die ist toll! Was wir als Wissenschaftler mit rationalen Argumenten nicht hinbekommen haben, schaffen die mit Emotionen und Sachkenntnis, ohne überheblich zu werden. Und ich denke ganz pragmatisch: „Was habe ich davon?“ Es ändert nichts, wenn ich traurig bin, verzweifelt, Trübsal blase. Es gibt schon mal solche Tage. Aber ein guter Espresso, ein schöner Lauf durch die Natur, gute Klassik hören und mit Leuten reden, das baut mich wieder auf.
Und die Neugier?
Die auch! Denn nichts auf der Welt ist selbstverständlich. Wieso gehen wir davon aus, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht? Oder dass in jedem Frühjahr die Blätter sprießen und dass sie grün sind und nicht rot? Es ist ja nicht nur, dass man den anderen etwas beibringen will, es ist ja auch für dich ein Stück Lebensqualität, wenn du etwas begreifst.
Was können wir Menschen von Tieren lernen? Haben Sie ein Beispiel?
Zusammenarbeit und Gemeinsinn kommen in der Natur viel häufiger vor, als die meisten glauben. Der Egoismus ist nur die eine Hälfte der Evolution. Die andere ist Kooperation, und die ist für uns Menschen wichtiger denn je. Buckelwale etwa übertragen ihre Hilfsbereitschaft auch auf fremde Tiere. Wenn eine Robbe von Orcas angegriffen wird, greifen sie ein und vertreiben die Killerwale.
Mal schnell im Internet nachschauen – denken Sie manchmal: Ach, wenn wir damals diese technischen Möglichkeiten gehabt hätten …
Ja. Ja! Oh ja … Die hätte ich sehr gerne gehabt. Ich mache auch deshalb immer noch Sendungen, weil die jungen Leute so grandios mit den technischen Möglichkeiten umgehen. Und wenn die dann noch sagen, dass sie von mir etwas Didaktisches lernen – das ist wie Honig!
Sie werden also weiter hinter den Kulissen Filme machen?
Das wäre schön. Aber ich bin mit meinen Themen inzwischen so anspruchsvoll, dass nicht jeder Redakteur sagt: Das wollen wir im Fernsehen haben! Nach acht Jahren Bohren und Vorarbeit darf ich eine Arbeit machen, die mir am Herzen liegt: Wie weit reichen die Wurzeln der Kunst zurück ins Reich der Tiere? Hat zum Beispiel der Gesang und Tanz der Vögel und Buckelwale irgendetwas mit Kunst zu tun?
Wann wird man das sehen können?
In etwa drei Jahren, wenn ich dann noch lebe.
Wie achten Sie auf Ihre Gesundheit?
Ich bewege mich wahnsinnig viel, Bewegung ist das Wichtigste überhaupt, um mit dem Altern klarzukommen. Man bleibt gesünder, wird lebensfroher, vergnügter. Ich mache morgens Gymnastik und ich laufe. Nur wegen Corona bin ich drei Jahre keinen Marathon gelaufen. Das gilt auch für die Bewegung im Kopf: Du brauchst Herausforderungen, musst auch geistig in neue Gebiete vordringen. Du musst dir mal ein Buch vornehmen, was dich fordert, was dir neue Erkenntnisse eröffnet. Es ist wichtig, sich nicht nur berieseln zu lassen, sondern auch mit jemandem darüber zu reden.