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Frau Jones, Herr Hallaschka, Ihre mehrteilige Doku „Sterben für Anfänger“ ist nichts für schwache Nerven: Sie schauen darin Tieren beim Verwesen zu, sind bei einem assistierten Suizid dabei und zimmern sich Ihre eigenen Särge …

Hallaschka: Ich gebe zu, ich habe bei dieser Serie wirklich mit allen Reaktionen gerechnet. Ich dachte, wir werden übel in die Zange genommen.

Jones: Das habe ich auch befürchtet!

Sie hatten Angst, dass Sie Ihren Zuschauerinnen und Zuschauern vielleicht doch etwas zu viel zumuten?

Hallaschka: Na ja, also Entschuldigung: Ich latsche da gleich am Anfang mit einer Zweimeter-Dragqueen zum Bestatter, um einen Verstorbenen zu versorgen. Ich dachte, dass wir schon in ­Folge eins den ersten Shitstorm ernten!

Jones (lacht): Und ich bin mit so einem Seriös-Hansel unterwegs. Für meinen Ruf auf St. Pauli übrigens auch nicht so einfach.

Hallaschka (lacht): Das stimmt natürlich. Aber im Ernst: Das Gegenteil war der Fall. Die Serie gibt es seit März auf RTL+, und ich bekomme immer noch jeden Tag Post von Menschen, die wegen unserer Serie total beseelt sind. Und die meisten fangen kurioserweise mit dem Wort Danke an.

Dann haben Sie offensichtlich einen Nerv getroffen …

Jones: Viele sagen uns, wir hätten ihr ­Leben verändert.

Hallaschka: Ich denke mir immer: Wir ­haben doch nur Fernsehen gemacht! Aber es gibt wirklich unglaubliche Zuschriften, die wir jeden Tag bekommen!

Was schreiben Ihnen die Leute denn?

Hallaschka: Eine Frau hat mir erzählt, dass sie die Serie mit ihrem Mann geguckt hat und sie danach zum ersten Mal darüber gesprochen haben, wie sie irgendwann gehen wollen. Und dann ist der Mann kurz darauf plötzlich verstorben. Aber dank der Serie wusste sie, was er sich für seinen Abschied wünscht. Da ist mir heiß und kalt geworden.

Julia Schulters mit Olivia Jones und Steffen Hallaschka.

Julia Schulters mit Olivia Jones und Steffen Hallaschka.

Sie haben für Ihre Doku den Deutschen Fernsehpreis bekommen. Können Sie sich erklären, warum Ihre Serie so viele Menschen berührt?

Jones: Wir haben den Tod aus der Tabuecke geholt. Das Thema umschifft man ja sonst gerne. Aber wir haben es klar benannt.

Hallaschka: Ich glaube vor allem, dass wir den Menschen Anstoß und Erlaubnis gegeben haben, übers Sterben zu reden. Das ist doch etwas, das zu allen anderen Gelegenheiten immer ungelegen kommt. Niemand sagt doch beim Kaffee mit Oma: Sag mal, Oma, du bist ja jetzt auch schon 87, wie wünschst du dir das eigentlich mal?

Der Titel Ihrer Serie „Sterben für An­fänger“ klingt so, als hätten Sie sich vor den Dreharbeiten auch nicht allzu gern mit dem Thema auseinandergesetzt.

Jones: Stimmt. Ich war wirklich Anfänger. Ich wollte bloß nie dran denken, an den Tod oder ans Sterben. Und deshalb habe ich das Thema auch lange einfach von mir weggeschoben.

Hallaschka: Für mich war es immer angstbesetzt. Ich habe meinen Vater verloren, als ich 18 war. Das war traumatisch. Der Tod war bei uns zu Hause immer mit schweren Erfahrungen und Trauer verbunden.

Das wollten Sie ändern?

Hallaschka: Ja, weil mich mein Umgang ­damit auch immer irgendwie genervt hat. Weil ich dachte, es kommt doch so oder so. Und es ist doch eigentlich total bescheuert, wenn man sich am Ende seiner Tage so vom Sterben überraschen lässt!

Und dann haben sich ausgerechnet eine Dragqueen und ein Stern-TV-Moderator zusammengetan, das Sterben zu lernen?

Hallaschka: Wir hatten schon lange Lust auf ein gemeinsames Projekt. Erst gab es die Idee, einen gemeinsamen Podcast zu machen. Aber Olivia wollte nicht.

Jones (lacht): Natürlich nicht! Da sieht man mich ja gar nicht! Ich besteche doch nicht mit meiner Stimme, sondern durch meine Optik, meine Ausstrahlung!

Sie sind in der Tat sehr unterschiedlich.

Jones: Ja, aber wir sind auch die idealen Partner. Steffen lässt mich neben sich auch mal eine Seite von mir zeigen, die man vielleicht noch nicht so kennt.

Hallaschka: Richtig. Olivia kann zeigen, dass sie eine sehr reflektierte, tiefgründige Art hat und viel mehr zu erzählen hat als nur einen knalligen Witz. Und auch andersherum: Von mir erwarten die Leute totale Seriosität. Dabei bin ich auch jemand, der gerne Dinge wagt und experimentiert.

Das Thema, das Sie sich beide ausgesucht haben, ist jedenfalls kein leichtes Unterhaltungsthema …

Hallaschka: Das stimmt. Und mir ist ganz wichtig zu sagen: Wir haben es nie witzig gemeint – auch wenn wir dem Tod natürlich seine komischen Seiten abringen wollten. Trotzdem bleibt er ein Scheißkerl und erwischt viele ganz übel und manche leider auch viel zu früh.

Jones: Und dennoch muss man sich mit ihm auseinandersetzen.

Hallaschka: Ja. Ich glaube auch, dass man sich mit diesen Dingen vertraut machen muss, um mit der eigentlichen Endlichkeit vernünftiger und aufgeräumter umzugehen. Dazu wollen wir mit der Serie beitragen.

Und machen in der Doku eine Grenz­erfahrung nach der anderen.

Hallaschka: Es war Teil der Idee, dass Olivia und ich uns auf eine Reise in Bereiche begeben, in denen wir vorher nie waren. Wir sind da wirklich naiv reinspaziert. Ich war zum Beispiel bei einer Obduktion ­dabei: Ich wusste nicht, dass die nach drei Minuten den Schädel öffnen und das Hirn rausholen. Die Absprache war: Alles kann, nichts muss. Und wenn ich einen Kreislaufkollaps kriege und umfalle wie eine Bahnschranke, dann ist das eben so.

Jones: Ich wurde vorher auch gefragt: Wo sind denn deine Grenzen? Und ich habe ­gesagt: Das weiß ich gar nicht so genau. Aber ich will es herausfinden.

Gab es denn Situationen, vor denen Sie sich besonders gefürchtet haben?

Jones: Ich hatte große Angst, meinen ersten Verstorbenen zu sehen. Aber das hat dann ganz schnell etwas Natürliches bekommen. Dieser ganze Grusel, den man sich da vorher vorgestellt hatte, der war gar nicht da.

Sie haben den Verstorbenen sogar ­mitversorgt …

Hallaschka: Der Bestatter hat gesagt: Ihr könnt helfen oder nicht, entscheidet selbst. Ich habe mich dann dafür entschieden.

Jones: Ich brauchte tatsächlich erst mal ­einen Moment.

Hallaschka: Aber dann warst du die Erste, die die Leichenstarre aus den Händen massiert hat. Ich dachte wirklich: Was passiert jetzt? Ich traue meinen Augen nicht!

Jones: Ja, das war dann plötzlich so selbstverständlich. Steffen hat ganz komisch ­geguckt. Da ist mir erst aufgefallen, dass ich schon einen Schritt weiter bin, als ich mir das jemals hätte vorstellen können.

Die Serie scheint bei Ihnen auch persönlich Spuren hinterlassen zu haben.

Hallaschka: Absolut. Ich weiß noch, wie ich aus der Verstorbenenversorgung rauskam und mich so beschenkt fühlte. Ich dachte: Du hast diesem Mann gerade für seine letzte Reise die Haare gewaschen. Das ­erschien mir so sinnvoll!

Jones: Mich hat die Serie wirklich verändert. Weil ich gelernt habe, wie wichtig es ist, das Leben hier und jetzt zu genießen. Und das haben mir vor allem die Menschen gezeigt, die unmittelbar mit dem Tod konfrontiert waren.

Sie sprechen von Ihren Begegnungen mit Sterbenden?

Jones: Ja. Ich denke vor allem an mein Treffen mit Angie, die schwer krank war und wusste, dass sie bald sterben muss. Sie hat mich kurz vor ihrem Tod noch einmal angerufen. Da konnte sie den Hörer schon nicht mehr halten und wir haben uns voneinander verabschiedet. Das ist tief in mein Herz gegangen. Da hat auch mein Olivia-Schutzpanzer nicht mehr funktioniert.

Hallaschka: Und ich werde nie vergessen, wie ich bis zum Ende am Sterbebett von Stephanie saß, die sich für einen assis­tierten Suizid in der Schweiz entschieden hat.

Ein ziemlich heikles Thema.

Hallaschka: Ja. Und wir haben lange überlegt, ob wir das wirklich machen können. Aber gerade beim Thema Sterbehilfe haben wir alle so komische Horrorfilme im Kopf. Stephanie hat uns das Geschenk gemacht zu zeigen, was da passiert. Und wie sinn­erfüllt und folgerichtig so ein Abgang sein kann. Deshalb haben wir gesagt: Ja! Wir zeigen das. Weil es uns alle ein gutes Stück kompetenter macht – auch was die öffent­liche Diskussion um das Thema angeht.

Auch in Bezug auf Ihre eigene Endlichkeit haben sich in der Serie viel ­getraut: Sie bauen sich zum Beispiel ihre ­eigenen Särge.

Jones: Na klar! So ein Sarg muss doch zu einem passen! Meiner ist bunt und maßangefertigt. In Überlänge.

Hallaschka: Als ich im Sargbau-Workshop war, hat meine Mutter auch gesagt: Das ist aber morbide! Aber ich glaube, ich habe mit meinen Händen noch nie was Sinnvolleres zustande gebracht. Das Ding steht jetzt als Wäscheregal in meinem Arbeitszimmer, bis es irgendwann gebraucht wird.

Am Ende laden Sie sogar zur Ihrer eigenen Trauerfeier ein. Schießen Sie damit dann nicht doch etwas übers Ziel hinaus?

Hallaschka: Ich finde nicht. Wir haben ja nicht unsere Beerdigung vorgetäuscht. Es war vielmehr die Generalprobe unseres Abschieds. Wir wollten herausfinden, ob wir das wirklich irgendwann so haben wollen.

Und? Wie ist Ihr Fazit?

Hallaschka: Ziemlich genau so stelle ich mir meine Abschiedsfeier vor.

Jones: Ich auch. Als großes Finale!

Hallaschka: Die Atmosphäre war irre: hochemotional, obwohl ja alle Gäste wussten, dass das nur eine Inszenierung ist.

Jones: Ja! Es war unglaublich. Wir alle haben geweint. Zum Glück hatte ich meine Wimpern wasserfest angeklebt. Da konnte nichts passieren.