"Ich bin ein Bewegungsmensch"

Gesicht aus der Lindenstraße: Joachim Hermann Luger
© dpa Picture-Alliance / Henning Kaiser
Herr Luger, Sie leben in Berlin und Bochum, drehen in Köln eine TV-Serie, die in München spielt – geboren sind Sie aber auf dem Land, in Thüringen?
Meine schwangere Mutter war zu ihrer Mutter gefahren, weil ich das Licht der Welt nicht in einer Berliner Bombennacht erblicken sollte. Nach Kriegsende ist sie mit meiner älteren Schwester und mir schnell wieder zurück in die nur gering beschädigte Wohnung. Da bin ich dann aufgewachsen als Berliner Pflanze.
Was sind Ihre frühesten Kindheitserinnerungen?
Die hängen mit der Berlin-Blockade zusammen, die einherging mit Stromsperren und einem saukalten Winter. Wir hatten nur Pappe an den Fenstern, und von meiner Mutter weiß ich, dass es so kalt war, dass meine langen blonden Haare durch meine Atemluft an der Bettdecke festfroren.
Da konnten auch die legendären Rosinenbomber nicht helfen?
Die waren natürlich toll, aber ich kann mich nur an ein einziges Paket erinnern. Bei der großen Zahl an Berlinern gab es nicht ständig Hilfspakete für alle. Als wir uns später mal eine Ananas leisten konnten, haben wir den Verzehr regelrecht zelebriert.
Warum machten Sie vor Ihrer Schauspielkarriere eine Ausbildung zum Chemielaboranten?
Dahinter stand der Wunsch meines Vaters, ich möge doch einen anständigen Beruf lernen. Nach der Ausbildung war ich noch anderthalb Jahre bei Schering. Als ich kündigte, fragte mich der Betriebsleiter, wohin ich wechseln würde, und riet etliche Chemieunternehmen durch. Der fiel natürlich vom Stuhl, als ich sagte, dass ich zur Schauspielschule wollte.
Was zog Sie ans Theater?
Meine Schwester war bereits Tänzerin, in Berlin an der Oper. Tänzer zu werden, hätte ich mir auch vorstellen können. Die Initialzündung gab dann meine Tante Clara, die an einem Laientheater spielte. Die Theateratmosphäre verzauberte mich sehr, und ich fing selbst an mit Laientheater und Studentenbühne. Die Premiere des ersten Stücks, für das ich eine Gage bekam, war am 2. Oktober 1966 – meinem Geburtstag. Das empfand ich als gutes Omen.
Wie kamen Sie von der Theaterbühne zur "Lindenstraße"?
Als der Erfinder und Produzent Hans W. Geißendörfer das Ensemble der Serie zusammenstellte, hatte ich bereits einige kleine Fernsehrollen gespielt und wurde eingeladen zum Vorsprechen. Geißendörfer hatte sich schon über 100 Leute angeschaut, aber bei mir sagte er gleich: "Du bist mein Beimer!"
Was dachten Sie damals, wie lange Sie die Rolle spielen würden?
Ich hatte mit einem Jahr gerechnet und fand es schon schlimm, dass ich so lange keine Zeit fürs Theater hatte. Heute spiele ich den Hans Beimer im 32sten Jahr.
32 Jahre, in denen Hans Beimer allerlei Schicksalsschläge erlitten hat. Haben Sie ein Mitspracherecht bei den Drehbüchern?
Wir dürfen Vorschläge machen, aber unser Einfluss ist sehr begrenzt. Als ich Anfang 2015 von Hans’ Parkinson-Erkrankung erfuhr, waren die ersten Drehbücher fertig, ohne dass ich eine Ahnung gehabt hätte, was Parkinson bedeutet. Ich befasste mich dann sehr intensiv mit der Krankheit, war in einer Spezialklinik, sprach mit Neurologen, ging bei Visiten mit und sah schwere Fälle. Ich habe mich dann drauf eingelassen, aber es ist schwierig.
Ihre bisher größte Herausforderung?
Definitiv. Die wesentlichen Arbeitsmittel des Schauspielers sind Mimik, Gestik und Sprache. Alle drei werden bei Parkinson reduziert, und das auf Dauer zu spielen ist sehr schwer.
Wie waren die Reaktionen von Verbänden und Betroffenen?
Der Tenor war: "Es ist gut gespielt und glaubhaft, aber sehr komprimiert." Die Krankheitsphasen haben wir tatsächlich sehr gerafft dargestellt, um die Geschichte voranzubringen.
Werden Sie auf der Straße auf Hans’ Krankheit angesprochen?
Ich höre öfter ein freudiges: "Oh, es scheint Ihnen ja besser zu gehen, wie schön!"
Sie sind Motorradfahrer … von frühester Jugend an?
Als Jugendlicher hatte ich eine NSU Quickly, die hatte einen Sachs-Motor und mehr Ähnlichkeit mit einem Fahrrad als mit einem Moped. So bin ich auf den Geschmack gekommen. 1985 kaufte ich mir dann mein erstes Motorrad. Und ich fahre immer noch. Trotz des fortgeschrittenen Alters.
Haben Sie sich eine Altersgrenze fürs Motorradfahren gesetzt?
Ich denke mal, ich höre bald damit auf. Vielleicht noch einen Sommer.
Wie halten Sie sich fit?
Ich bin ein Bewegungsmensch, ich segle, fahre viel Fahrrad, schwimme, gehe gerne schnell. Gerade bin ich mit einem Freund in drei Tagen 60 Kilometer durch den Teutoburger Wald gewandert. So eine Tour machen wir jedes Jahr. Ich bin ein Allesesser – aber nur, wenn ich wirklich Hunger habe – und habe das Glück, dass mein Körper nicht dazu neigt, Fettreserven anzulegen. Früher habe ich viel geraucht, aber als ich merkte, dass meine Kondition leidet, habe ich 1979 aufgehört.
Spüren Sie so etwas wie Altersweisheit?
Früher war ich wie eine geschüttelte Selters, heute bin ich ruhiger und gelassener. Vor allem beim Autofahren und am Theater ist mir häufiger mal der Kragen geplatzt. Schon weil ich nicht so werden wollte wie mein Vater, der alles in sich hineinfraß und ewig mit sich herumtrug.
Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Ich werde noch in diesem Jahr drei Wochen in die Antarktis fahren.
Ohne Ihre Frau?
Das letzte Mal, als sie auf einem Schiff war, ist sie so seekrank geworden, dass sie geschworen hat, nie wieder eines zu betreten.

Im wahren Leben ist Luger set 32 Jahren verheiratet
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Zur Person:
- Joachim H. Luger wurde am 2. Oktober 1943 in Schömbach geboren
- Schauspieler: Ausbildung zum Chemielaboranten. Nach Schauspielschule, Theaterengagements und ersten Fernsehrollen ist er seit 1985 in der Rolle des Hans Beimer in der "Lindenstraße" (Das Erste) zu sehen. Seit einigen Jahren spielt er vor allem an Rhein und Ruhr auch wieder Theater, derzeit in dem Stück "Wir sind die Neuen".
- Privatmann: Luger hat einen Sohn mit seiner Frau und einen Sohn aus einer früheren Beziehung. Das Paar ist seit 1985 verheiratet und lebt in Bochum und Berlin.