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Frau Berger, in Ihrem aktuellen Film „Weißt du noch“ spielen Sie die Marianne, die sich mit einer besonderen Pille ­Erinnerungen zurückruft. Hätten Sie gern eine solche Pille?

So etwas benötige ich nicht, weil ich ein geradezu sinn­liches, bildhaftes Erinnerungsvermögen besitze. Von bewusstseinsverändernden Substanzen habe ich immer die Finger gelassen. Vielleicht würde ich bei einer Pille wie im Film eine Ausnahme machen, aber nur zusammen mit meinem Mann. Aus Neugierde, woran er sich erinnert.

Ihr Mann im Film, Günter, leidet ­darunter, dass man nur ein Leben hat und alle anderen versäumt …

Das ist normal. Immer wieder fragt man sich: „Was wäre gewesen, wenn …?“ Wenn ich an die verschiedenen Kapitel in meinem Leben denke, erkenne ich gut, wo sich Wege überschnitten haben oder auseinandergelaufen sind. Günter hat einen Pessimismus, eine Skepsis, die ihn am Glück hindert. Er ist ein Misanthrop geworden aus Vorsicht. Mein Vater war auch so: vorsichtig und skeptisch. Sein Schutzwall war: nur keine Aufregung, auch keine schöne. Meine Mutter war das komplette Gegenteil. Sie packte das Leben, genoss es, stand mit beiden Beinen auf der Erde. Und ich habe von beiden etwas.

Wie gehen Sie mit dem Festhalten von Erinnerungen um? Stimmt Sie das Anschauen alter Fotos fröhlich oder melancholisch?

Beides. Aber warum soll Melancholie etwas Negatives sein? Selbstverständlich erinnert man sich an eine Zeit, als man noch sehr erwartungsvoll war und keinen Blick hatte für die Wirklichkeit. Diese allerersten Fotos schaue ich mir mit viel Zärtlichkeit an. Aber natürlich bin ich dabei auch melancholisch und denke: „Wie schnell das alles vorbeigegangen ist!“ Als ich vor zwei Jahren 80 wurde, sagte ich: „Was, das waren 80 Jahre!? Diese kurze Zeit?“ Ich war direkt ein bisschen beleidigt.

Haben Sie besondere Erinnerungsstücke, so wie Marianne ihr rotes Kleid?

Von meiner Garderobe habe ich fast alles hergeschenkt. Heute hätte ich gerne noch das eine oder andere Stück. Ich habe alle Briefe aus meinem ersten Ehejahr aufgehoben. Und ich habe Sachen aus meiner Kindheit und Ansichtskarten, die ich an meine Eltern geschrieben habe. Ich war offenbar eine gute Tochter (lacht).

Sie schrieben als Zehnjährige im Schulaufsatz, dass Sie Schauspielerin werden wollten und hofften, dass Ihr Wunsch in Erfüllung geht.

Es ist gut, wenn man weiß, in welche Richtung man gehen will. Du brauchst diese Hingabe, sonst wird es schwer. Wenn man in Berufen landet, in denen man sich entfremdet fühlt, das ist schrecklich.

Ihr Vater war eigentlich Musiker, musste aber den Betrieb der Eltern übernehmen. Haben Sie ihn damit unglücklich erlebt?

Sehr. Es war das Unglück seines Lebens. Mein Vater nannte diesen Betrieb für Metallverchromung nur „die Hölle“. Er hatte mit 16 aufs Konservatorium gedurft zum Musikstudium, dann kamen der Weltkrieg und die Große Depression, er musste arbeiten. Ihm verdanke ich meine Musikalität; und er erlaubte mir etwas, was er nie gewagt hätte: sich mutig auf sich selbst zu verlassen und sich gegen die gut gemeinten Ratschläge der Eltern zu entscheiden.

1989 rast Senta Berger als „Die schnelle Gerti“ durch München. Regie führte Michael Verhoeven.

1989 rast Senta Berger als „Die schnelle Gerti“ durch München. Regie führte Michael Verhoeven.

Woher nehmen Sie Ihre Energie?

Ich mache eigentlich viel zu wenig, gehe in keinen Fitnesskurs, ­lasse mich nicht massieren – ich mag keine fremden Hände auf mir. Ich fahre aber Fahrrad, gehe spazieren und bewege mich viel. Ich passe ein bisschen auf, was ich esse. Es gibt eine rote Linie, und wenn ich die überschritten habe, gebiete ich mir Einhalt. Aber ich genieße auch gern, ich bin schließlich Wienerin. Wenn ich nach Wien fahre, ist eine Woche davor das Abendessen gestrichen.

Ihr Beruf erfordert viel Disziplin – fällt sie manchmal schwer?

Sie hilft mir. Und mir hilft immer mal wieder freiwillige Askese. Ich kann mich einschränken. Altsein emp­finde ich als Zumutung, das will gelernt sein. Du wirst nicht Mutter über Nacht, du wirst nicht alt über Nacht. In „Zumutung“ steckt „Mut“. Und den brauche ich ab und zu. Dann sage ich mir: „Hör auf, wehleidig zu sein, und sei froh, dass du jeden Morgen aufwachst und die Jahreszeiten erlebst.“ Das hilft. Ich bin überzeugt, dass Frauen sich ihr ganzes Leben mit der Endlichkeit beschäftigen.

Warum Frauen mehr als Männer?

Es ist so. Es hat zu tun mit der Menstruation, mit dem Begreifen, was die Aufgabe im Leben ist. Dieses Bewusstsein entwickeln Männer in die­ser Art nicht, sie versuchen es höchstens intellektuell nachzuvollziehen. Wenn man Kinder gebärt, denkt man sofort an die Endlichkeit: „Ich kann nicht immer für sie da sein.“ Auch das Karitative, das in Frauen angelegt ist, bringt sie näher an solche Gedanken. Das schleicht sich langsam ein.

Sie haben mal gesagt, Liebe muss wehtun. Warum?

Weil Liebe das Schönste auf der Welt ist! Sogar die erfüllte Liebe tut weh. Glücklichsein tut weh: Man kann nicht essen, es wird einem schlecht vor lauter Glück. Liebe tut im Glück weh und noch mehr im Schmerz, im Verlust. Auch wenn wir glücklich sind, begleitet uns stets der Gedanke daran, dass es vorbei sein könnte. Das tut jedes Mal wieder weh.

Sie sagen: „Mit jemandem ­zusammen zu sein und zu bleiben, ist eine Verschwörung zwischen zwei Menschen.“

Man könnte auch sagen: ein Abenteuer, das man gemeinsam besteht. „Verschwörung“ beinhaltet auch ­gemeinsame Geheimnisse oder Verabredungen, die kein anderer sonst kennt. Man verschwört sich auch ­gegen etwas, gegen die Welt.

Wie haben Sie und Ihr Mann das geschafft?

Fügung. Es haben sich die Richtigen getroffen. Wir verstehen uns, streiten uns, lieben uns, sind immer noch überrascht voneinander. Es macht Spaß mit Michael: Er ist gescheit, charmant, er liebt mich und ich ihn. Ich habe keine Tipps, auf tausend Paare kommen tausend Rezepte.