Heidi Mahler: „Altersweisheit verspüre ich nicht – aber eine gewisse Gelassenheit“
Senioren Ratgeber: Sie gehen im Juli und August mit „Tratsch im Treppenhaus“, einem Klassiker von 1960, auf bundesweite Theatertournee. Warum ist das Stück noch immer so beliebt?
Heidi Mahler: Getratscht wird immer. Diese alten Mietshäuser gibt es auch immer noch. Dazu ein junges Paar und ein bisschen Liebe – das sind zeitlose Zutaten.
Aber wen regt es heute noch auf, wenn eine Frau bei einem Mann übernachtet, ohne mit ihm verheiratet zu sein?
Das Publikum findet es gerade anrührend, dass diese Zeit von damals etwas durchklingt. Als man anders miteinander umging. Wir haben viele ältere Zuschauer, die mit diesem „Erst ins Bett und dann kennenlernen“ nicht so viel anfangen können. Die fühlen sich im Stück zu Hause.
Weil es damals klare Regeln gab?
Es gab vor allem mehr Respekt voreinander. Und ein bisschen Dezenz ist auch nicht verkehrt. Also so was wie Anstand, Schicklichkeit, Takt …
Die Rolle der intriganten Meta Boldt ist bis heute stark mit Ihrer Mutter Heidi Kabel verbunden. Wie haben Sie es geschafft, die Rolle für sich zu erobern?
Irgendwie ist meine Mutter immer noch präsent auf der Bühne und ich spiele sie bestimmt nach. Da führt gar kein Weg dran vorbei. Ich höre meine Mutter durch mich, auch weil ich die Stimme von ihr geerbt habe. Sie hat das auch so toll vorgespielt, so treffend, dass ich gar nicht anders kann, als das möglichst genau so zu machen.
In Ihrem Elternhaus wurde vorrangig hochdeutsch gesprochen. Wie haben Sie sich das Plattdeutsche angeeignet?
Ich hatte ein sehr liebevolles und sehr liberales Elternhaus. Nur wenn meine Mutter mit uns schimpfte, dann auf Plattdeutsch. Das nahm dem Gesagten gleich die Spitze. Ich habe Platt – das ist übrigens eine eigene Sprache und kein Dialekt – vor allem durchs Ohnsorg-Theater gelernt.
Warum wird auf den Tourneen und im Fernsehen nicht Platt, sondern Missingsch gesprochen?
Als Mischsprache aus Nieder- und Hochdeutsch gilt es als besser verständlich. Dabei pflegen die Menschen im Rest des Landes ihre Dialekte, und ich verstehe gar nicht, warum die Hamburger selbst sich immer so anstellen, wenn mal jemand über den „sp-itzen S-tein s-tolpert“. Wir versuchen auf Tournee, viel Hamburgisch mit einzubringen, und das lieben die Leute.
Spracheigenheiten geben viele Vorabendserien Lokalkolorit...
Ja, da sprechen die „Rosenheim-Cops“ so, wie man in Rosenheim spricht. Und ich verstehe nur die Hälfte. Bei „Notruf Hafenkante“ und anderen Serien, die in Hamburg spielen, spricht nicht einer hamburgisch. Den Jan Fedder im „Großstadtrevier“, den haben alle geliebt, weil der so ein Missingsch sprach. Warum wuchern wir nicht mit unseren Pfunden in den Serien, die in Hamburg spielen? Das begreife ich nicht.
Das Ohnsorg-Theater wird als „Volkstheater“ bezeichnet und Sie als „Volksschauspielerin“. Ist Theater nicht immer fürs Volk?
Ich finde, ja. Ich weiß auch nicht, was mich zur „Volksschauspielerin“ macht. Dass ich Platt spreche?
Fühlen Sie sich manchmal nicht ernst genommen, weil es „nur“ Volkstheater ist?
Ja, vor allem von der Presse. Früher erschienen unsere Theaterkritiken nie im Kulturteil, sondern auf den Hamburg-Seiten.
Sie wohnen nicht mehr in Hamburg, sondern seit mehr als 30 Jahren in der Eiffel.
Ja. Aber ich arbeite in Hamburg, darum bin ich da immer noch präsent. Auf unserem alten Bauernhof in der Eifel habe ich dann Urlaub.
Wie ist der Kontrast zwischen Landleben und Großstadt?
Wunderbar! Wir wohnen am Rande eines Dorfes, wir hatten früher Schafe, haben heute noch Pferde. Anfangs pflanzte ich Kartoffeln, Rosenkohl, Tomaten an. War aber zu viel unterwegs, um sie zu pflegen. Diese Liebe habe ich von meinem Vater mitbekommen. Der war in jeder freien Sekunde im Garten und hat da begeistert gearbeitet. Das ist auf uns Kinder übergesprungen, auch weil er uns nicht gezwungen hat, Unkraut zu zupfen. Ich hatte eine tolle Kindheit mit viel Grün.
Sie reiten auch noch?
Ja. Solange Königin Elisabeth II. das mit ihren 96 Jahren noch macht, kann ich das auch. Wenn man sich gut fühlt und sportlich ist, dann geht Reiten wunderbar .
Was machen Sie außer Reiten, um sich fit zu halten?
Vor allem Gartenarbeit.
Was fasziniert Sie noch immer so am Schauspiel?
Dass das noch immer so jung ist! Bei „Tratsch im Treppenhaus“ denkt sicher mancher, das müsse mir zum Hals raushängen. Aber jedes Mal, wenn ich auf die Bühne komme und das Publikum spüre, ist es ganz frisch.
Es wird also nie zur Routine?
Nein, nie. Auch weil das Publikum immer anders ist. Da denkt man: „Warum haben die jetzt nicht gelacht?“ oder: „An dieser Stelle haben die noch nie gelacht, warum heute?“
Sie haben schon öfter gesagt, Sie seien auf Abschiedstournee …
Mein letztes neues Stück war „Ein Mann mit Charakter“. Dann kam Corona. Jetzt kommen immer wieder Anfragen. Es ist zwar mein letztes Stück, aber es zieht sich hin. Und es macht mir wahnsinnigen Spaß.
Ihr 80. Geburtstag ist in Sichtweite. Beschäftigt Sie diese Zahl?
Eigentlich finde ich 80 immens alt. Aber ich beziehe das irgendwie gar nicht auf mich. Ich weiß auch nicht, ob andere Leute sich mit 80 alt fühlen. Ich dachte, mit 80 würde ich ein bisschen tüdelig sein. Das ist Gott sei Dank nicht der Fall.
Das Alter fängt heute später an …
Wobei weiterhin gilt: Alte Frauen sieht man nicht mehr, an ihnen geht der Blick vorbei. Das merke ich auch, das ist ganz eigenartig. Aber wenn man jung ist, hat man so viel mit sich selbst zu tun, alles Neue zu erleben und in sich aufzunehmen, da sieht man die Alten nicht. Wahrscheinlich waren wir genauso.
Spüren Sie so etwas wie Altersweisheit?
Nein. Nur eine gewisse Gelassenheit.
Hätten Sie sich auch einen anderen Beruf vorstellen können?
Gärtnerin hätte ich gut machen können. Ich wäre auch eine gute Friseurin geworden. Ich mache ja meinen Kolleginnen manchmal die Haare.
Der Mensch hat ja viele Talente. Glauben Sie, Sie können das eine oder andere in einem späteren Leben ausleben? Oder ist mit dem Tod alles vorbei?
Ich denke, wenn Schluss ist, ist Schluss. Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Man hat seine Chance gehabt. Mir ist es wirklich sehr gut gegangen im Leben, ich kann sehr zufrieden sein.
Welche Rolle würden Sie gerne noch einmal spielen?
Ich habe alle wunderbaren Rollen gespielt, lustige und ernste. Aber noch mal? Nein. Alles hat seine Zeit, und das war zu der Zeit toll.
Gibt es so was wie einen besten Ratschlag, den Sie mal bekommen haben?
Ich mochte immer keine Ratschläge annehmen. Was blöd ist, eigentlich. Ich halte mich selber auch nicht zurück, anderen Leuten Ratschläge zu geben. Aber was ich ganz toll fand: dass meine Mutter immer abwartete, bis ich sie um Hilfe bat. Dann hat sie mir aber auch wirklich geholfen.