Amelie Fried: „Warum müssen 60-Jährige jetzt sein wie früher 40-Jährige?“
SENIOREN RATGEBER: Fühlte sich Ihr 60. Geburtstag anders an als der 50. oder der 40.?
Amelie Fried: Mein schwierigster Geburtstag war der 30. Da war ich beruflich noch auf der Suche, und auch privat hatte ich mein Glück noch nicht gefunden. Ich bezweifelte, dass ich jemals den richtigen Mann finden und eine Familie gründen würde. Am 40. stand ich dann in der Blüte meines Lebens und konnte genießen, wie gut sich vieles gefügt hatte. An meinem 50. Geburtstag dachte ich: „Oh, jetzt sind aber ein paar Sachen endgültig vorbei.“ Und als ich die 60 erreichte: „Jetzt hilft nur noch Humor!“ Lohnt es sich noch für mich als Schwäbin, viel Geld für einen teuren Wintermantel auszugeben? (lacht)
Was halten Sie von Sprüchen wie „60 ist das neue 50“?
Die finde ich blöd. Da werden alle über einen Kamm geschert. Warum dürfen Menschen, nur weil sie älter werden, nicht mehr selbst entscheiden, was sie für sich und ihr Alter angemessen finden? Warum müssen 60-Jährige jetzt sein wie früher 40- Jährige? Vielleicht wollen manche mit 60 ihre Ruhe haben, und andere sind superneugierig und wollen raus in die Welt und Dinge nachholen, die sie bisher nicht geschafft haben. Das kann man doch nicht immer in eine Rubrik reinpressen.
Ich habe von Ihnen den Satz gefunden: „Das große Geheimnis des Älterwerdens ist, dass man nicht mit dem Jammern beginnen darf.“
Viele ältere Menschen beklagen sich darüber, dass sie einsam sind. Das liegt meist daran, dass sie kein anderes Thema mehr kennen als ihre persönlichen Befindlichkeiten. Und sich darum kaum noch für andere Menschen interessieren. Mein Vorbild ist meine 93-jährige Mutter, die sehr interessiert an der Welt ist, offen und neugierig. Sie hat mir mit Mitte 80 erklärt, wie man mit dem Handy Fahrkarten zieht, das wusste ich vorher nicht. Sie liest Zeitungen und Bücher, erzählt uns davon oder schreibt kleine Abhandlungen dazu. Sie hat viele jüngere Freunde. Weil Menschen gerne mit ihr zusammen sind, weil sie interessant ist, weil sie interessiert ist. Wer so altert, vereinsamt auch nicht. Darum bemühe ich mich, möglichst wenig zu jammern, auch wenn es manchmal zwickt.
Ist mehr Gelassenheit ein Vorteil des Alters?
Bestimmten Dingen gegenüber, ja. Natürlich rege ich mich nach wie vor über vieles wahnsinnig auf, über den Zustand der Welt und vieles mehr. Was die eigenen Gewissheiten angeht, ist man einfach ein wenig klarer, weil man weiß: Was mag man, was mag man nicht? Es fällt leichter, auch mal Nein zu sagen und nicht nett sein zu müssen. Was für eine Meinung andere von mir haben, ist mir nicht mehr so wichtig.
Blicken Sie nervöser auf die Liste mit Dingen, die Sie noch tun wollen?
Ich hatte diese Liste nie, ich habe immer versucht, Dinge nicht allzu lange aufzuschieben. Natürlich gibt es noch ein paar Projekte, ein paar Reisen, es wäre toll, wenn ich besser Spanisch sprechen könnte. Es wäre aber auch kein Drama, falls ich vorher den Löffel abgeben müsste. Ich hoffe, dass sich immer noch ein paar neue, interessante Dinge ergeben.
Cora, die Heldin Ihres ersten Romans, haben Sie vor zehn Jahren wieder zum Leben erweckt und kürzlich erneut. Fühlt sich das seltsam an?
Das ist ein wenig surreal, aber vor allem schön. Ihre Weiterentwicklung hatte sich sehr schlüssig ergeben. Das hat mich selbst verblüfft.
Versuchen Sie wie Cora, das zu sehen, was ist, und nicht das, was fehlt?
Ja, es gelingt mir aber nicht immer. Ich hänge auch sehr an dem, was war, und bin wehmütig, wenn ich zurückschaue. Aber ich versuche, den Blick sehr bewusst in die Gegenwart und ein Stück in die Zukunft zu richten.
Sind Sie eine schlechte Aufräumerin?
Im Gegenteil, eine sehr gute sogar. Wenn ich mich mal dazu entschlossen habe anzufangen, schmeiße ich mehr weg, als mir hinterher lieb ist. Ich räume auch in Lebens- und Beziehungsfragen sehr gründlich auf. Ich zaudere eine Weile, bis ich es tue, aber dann bin ich sehr konsequent.
Sie sind sehr diszipliniert. Ist das mehr Fluch oder mehr Segen?
Beides. Aber am Ende mehr Segen. Weil man im Leben sonst nicht allzu viel gebacken bekommt. Schreiben funktioniert wirklich nur mit sehr viel Disziplin. Als junge Frau war ich weniger ausdauernd, das hat sich mit den Jahren entwickelt, und heute bin ich sehr froh darüber.
Sie sind in einem Haushalt mit sehr vielen Büchern aufgewachsen …
Ja, es mögen so um die 15.000 gewesen sein. Mein Vater war Herausgeber einer Tageszeitung, Autor einiger Bücher und vor allem ein leidenschaftlicher Leser. Meine Mutter ist ausgebildete Buchhändlerin, und beide haben mir das Lesen schon als kleines Kind nahegebracht.
Sie hatten auch schon früh den Wunsch, Schriftstellerin zu werden?
Ja, inspiriert von dem Kinderbuch „Harriet, Spionage aller Art“. Da macht ein Mädchen Notizen über die Menschen um sich herum, weil sie später Schriftstellerin werden will. Das fand ich sehr faszinierend, vergaß es wieder, machte aus Versehen eine Fernsehkarriere. Als meine Kinder kamen, trat der alte Wunsch wieder ans Tageslicht.
In Ihrem Wikipedia-Eintrag sind sieben Studiengänge aufgezählt?!
Leider nur, weil ich viel angefangen, aber nicht zu Ende gemacht habe. Ich habe die Uni dann verlassen, wurde an der Filmhochschule in München angenommen und schloss da den Studiengang „Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik“ ab.
Wie standen Ihre Eltern zu Ihrer langen Studienzeit?
Sie waren sehr froh, als ich tatsächlich mal etwas zu Ende gemacht hatte. Ich wusste sehr lange nicht, was ich wollte. Nur was ich nicht wollte. So war mein Werdegang eine Abfolge von Zufällen, bei denen ich im richtigen Moment erkannte, was gut für mich ist und was nicht.
War die Fernsehkarriere ein Umweg?
Die war einem Zufall geschuldet, aber es zeigte sich, dass ich das ganz gut kann, und darum war es auf keinen Fall verschwendete Zeit, im Gegenteil: Ich habe irre viel gelernt und interessante Menschen getroffen.
Haben das Fernsehen und Sie sich irgendwann auseinandergelebt?
Man wird als Frau im Fernsehen ab einem gewissen Alter einfach aussortiert. Das ist eine Tatsache und keine Überraschung. Das kann man finden wie man will. Ich bin damit versöhnt.
Ihr Mann und Sie feiern Ihre Hochzeitstage an Imbissbuden. Warum?
Das Essen bei unserer Hochzeit vor 32 Jahren war saumäßig, da hatten wir Pech mit der Wahl des Restaurants. Wir stellten aber zu unserer Überraschung fest, dass die Ehe ganz gut verlief, während sich Paare um uns herum, die pompös geheiratet hatten, scheiden ließen. Wir haben daraus geschlossen, wenn man am Hochzeitstag schlecht isst, ist das gut für die Ehe, und haben daraus eine Tradition gemacht. Jeder bringt mal ein größeres Opfer, ich mag keine Currywurst, mein Mann keine Pizza.