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Das Transkript zur Folge 255 mit Professor Sören Becker:

Ein Interview über das Infektionsgeschehen mit...

Mein Name ist Sören Becker. Ich bin Facharzt für Mikrobiologie und Virologie und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Uniklinik des Saarlandes, und auch des Landeskompetenzzentrums "Infektionsepidemiologie" im Saarland.

Wie ist das Infektionsgeschehen in Deutschland?

Das Infektionsgeschehen ist inzwischen in Deutschland relativ diffus, muss man sagen. In vielen Fällen, bei der Mehrheit, kann nicht sicher nachvollzogen werden, wo sich die Menschen angesteckt haben. Das macht es natürlich auch für die Kontrolle etwas schwierig.

Man sieht aber zumindest an den detektierten Fällen, wo man den Ursprung nachvollziehen konnte, dass häufig tatsächlich das private Umfeld, zum Beispiel Treffen in privaten Haushalten, da eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen scheinen.

Wie hat sich das Infektionsgeschehen seit Beginn der Pandemie verändert?

Das Infektionsgeschehen ist inzwischen ja sehr diffus, in allen Lebensbereichen. Man muss auch feststellen, dass die Zahlen viel höher sind, als noch vor einem Jahr. Dass kann auch jeder persönlich nachvollziehen. Vor einem Jahr war das eher eine Ausnahme, dass man ein oder zwei Personen kannte, die schon mal SARS-CoV-2-positiv getestet wurden. Inzwischen kennt eigentlich jeder jemanden. Das zeigt doch, dass sich die Pandemie tatsächlich sehr ausgebreitet hat.

Auf der anderen Seite ist sicherlich auch die Sorge in Teilen der Bevölkerung nicht mehr so groß wie noch vor einem Jahr. Es ist gewisser Weise normal geworden.

Wir sehen aber auch durchaus paar positive Effekte bereits, insbesondere bei den ältesten Mitbürgern, den über 80-Jährigen, und denjenigen, die in Alten- und Pflegeheimen wohnen. Aber auch beim medizinischen Personal sieht man doch weniger Infektionen. Und insbesondere auch weniger große Ausbrüche.

Das heißt, zum Beispiel ein großer Pflegeheimausbruch mit vielleicht 100 oder 150 Infizierten, das ist inzwischen eine Rarität geworden. Das ist sicherlich sehr erfreulich und auf einen positiven ersten Effekt der Impfung zurückzuführen.

Wie verändern Mutationen das Infektionsgeschehen?

Wenn wir von Mutationen sprechen, dann sprechen ja wir automatisch von diesen geografischen Bezeichnungen, nämlich der britischen, der südafrikanischen und der brasilianischen Variante, vor allem.  Es gibt noch viele mehr, aber die drei sind ja bei uns von Bedeutung.

Da muss man sagen, dass sich glücklicherweise nur die sogenannte britische Variante B.1.1.7 in Deutschland hat gut etablieren können. Und diese hat sich dafür aber auch sehr ausgebreitet und stellt inzwischen die Mehrzahl aller Infektionen in Deutschland dar.

Und da ist es problematisch, dass diese eine höhere Infektiosität aufweist, als die früheren Varianten von SARS-CoV-2, sodass es leichter auch bei kürzeren Kontakten zu Infektionen kommen kann. Und damit sozusagen ein Fehler bei der... bei den Hygiene- und Abstandsregeln schneller bestraft wird, als mit dem alten Virus-Wildtyp.

Wie kann die Teststrategie das Infektionsgeschehen beeinflussen?

Ein breites Testen und großflächiges Testen kann schon positive Effekte haben, dadurch, dass wir wissen, dass nur ein gewisser Anteil der SARS-CoV-2-Infizierten tatsächlich asymptomatisch ist und viele in der Frühphase der Infektion noch keine Symptome haben.

Da ist es durch großflächiges, sehr niedrigschwelliges Testen möglich, viele sozusagen frühzeitig zu erkennen und aus dem Infektionsgeschehen rauszuziehen, bevor sie andere anstecken können.

Dazu, und da, denke ich, sind wir auf einem guten Weg, ist es aber essentiell, dass das Testen kostenfrei und möglichst auch mehrfach pro Woche angeboten wird, um auch epidemiologisch einen positiven Effekt haben zu können. Aber es kann durchaus was zur Kontrolle durch das Erkennen sonst unentdeckt gebliebener Infektionsherde beitragen.

Wie bewerten Sie die Diskussion um Lockerungen?

Es ist natürlich so, dass wir uns alle Lockerungen und Öffnungen wünschen. Und auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass man mit dem Testen, vor allem mit dem Impfen, jetzt auch zwei Werkzeuge an der Hand hat, die tatsächlich eine Kontrolle und man ein mutmaßlich bevorstehendes Ende, zumindest, was die Gesamtgesellschaft angeht, und die Einschränkung der Pandemie, absehen kann.

Sicherlich ist das am wenigsten geeignete Instrument denke ich, eine schnelle Abfolge von Öffnungen, die zurückgenommen werden müssen, zu fahren. Dementsprechend ist es sicherlich einerseits gut, dass es jetzt Pläne für Lockerungen in Stufen gibt, und dass es auch Modellprojekte gibt.

Aber auf der anderen Seite wäre es sicherlich wichtig, aktuell noch einmal die Fallzahlen zu reduzieren und zu drücken, damit man noch etwas Zeit gewinnt, bis zum Beispiel die Impfungen in größeren Bevölkerungsteilen angekommen sind.

Da sprechen wir wahrscheinlich von wenigen Wochen. Da bedarf es noch mal einer gewissen Anstrengung, dass man jetzt nicht das Ruder so aus der Hand gibt, dass man sich möglicherweise den ganzen Sommer damit beschäftigen muss, mit der Frage "Lockdown, oder nicht?"

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