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Nachgefragt! Folge 220 mit Prof. Dr. Hartmut Göbel

Das Transkript zur Folge 221 mit Professor Hartmut Göbel:

Ein Interview über Kopfschmerzen als Nebenwirkung einer Corona-Impfung mit...

Professor Hartmut Göbel, ich bin Facharzt für Neurologie und Schmerztherapeut, bin Chefarzt der Schmerzklinik in Kiel. Ich beschäftige mich schwerpunktmäßig mit der Behandlung von neurologischen Schmerzerkrankungen. Kopfschmerzen, Migräne, neuropathische Schmerzen, Rückenschmerzen. Sodass wir hier schwerpunktmäßig Menschen versorgen, die chronische Schmerzerkrankungen haben. Das Versorgungsgebiet ist ganz Deutschland und auch international.

Wie hat Corona Ihren Klinikalltag verändert?

Als Krankenhaus beschäftigt uns die Pandemie natürlich sehr. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland zu uns. Wir haben natürlich die Hotspots in verschiedenster Weise hier in Deutschland. Wir hatten in Schleswig-Holstein ja das Glück, dass wir relativ wenig belastet waren zu Beginn dieser zweiten Welle.

Aber jetzt müssen wir natürlich immer damit rechnen, dass Patienten mit Infektionen kommen. Deswegen verlangen wir auch einen negativen PCR-Test, der maximal 48 Stunden alt ist. Die Patienten müssen Masken tragen. Wenn ein PCR-Test nicht vorhanden ist, dann müssen sie erst mal isoliert werden, bis wir einen entsprechenden Befund haben.

Auch innerhalb der Therapien spielt natürlich diese Pandemie eine Rolle. Abstand halten, Mund-Nase-Schutz, medizinische... Mund-Nase-Schutz eben zu tragen, ist natürlich auch eine ganz wichtige Regel. Lüftung, Kontakt nach außen, also... Das therapeutische Geschehen beschäftigt uns rund um die Uhr.

Vielleicht darf ich das noch ergänzen. Ein weiterer Punkt ist natürlich, dass viele Patienten als eines der ersten Symptome nach einer Infektion auch über Kopfschmerzen klagen. Und da wir uns mit neurologischen Erkrankungen schwerpunktmäßig beschäftigen, sind natürlich die Kopfschmerzen auch im Fokus.

Und da war von Anfang an die Frage, was macht man denn, wenn jemand Fieber hat, wenn jemand Schmerzen hat, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, nach einer Infektion? Sodass natürlich auch hier schmerztherapeutische Themen gefragt werden. Wir kennen ja die Diskussionen, sollte man Paracetamol nehmen bei einer Covid-Infektion? Oder sollte man lieber Ibuprofen nehmen? Was ist hier zu bevorzugen? Also auch solche Fragen sind für uns im Fokus. Insofern ist Covid auch ein schmerztherapeutisches Thema insgesamt.

Wie lassen sich Kopfschmerzen durch Covid-19 klassifizieren?

Da gibt es tatsächlich jetzt erste Publikationen dazu von Einrichtungen, die auch Patientinnen und Patienten betreuen, die eben eine Infektion haben. Bei den Merkmalen zeigt sich, dass die migräneähnliche Kopfschmerzen haben.

Das Interessante ist, wenn jemand Kopfschmerzen am Anfang hat, hat er auch Hinweise darauf, dass er nicht so stark dann später diese Infektion bekommt. Die werden also auch von Jüngeren stärker erlebt, die Kopfschmerzen, als auch wieder von Älteren. Und es gibt auch Zusammenhänge, dass diese Kopfschmerzen, die ja bei Migränepatienten auftreten, und wenn man jetzt noch sieht, dass da die Kopfschmerzen auch ähnlich wie Migräne aussehen, dann kann man sich schon sehr schnell auch Gedanken machen, ob mögliche gleiche Mechanismen, diese Entzündungsstoffe an den Hirnhäuten, hier involviert sind.

Also interessante Dinge, die hier sich auftun. Das ist aber unabhängig jetzt natürlich von der Impfung. Auch hier muss man jetzt analysieren, wie sieht der Kopfschmerz aus, und da ein völlig neues Bild sich erst mal neutral anschauen. Damit man versteht, welche Kopfschmerzen das sind, wie sie entstanden sind und wie sie möglicherweise auch spezifisch zu behandeln sind.

Wie entstand die Idee zu Ihrer Studie?

Als die ersten Studien zu den neuen Impfstoffen veröffentlicht worden sind, hörte ich ja, fast 50 Prozent der Geimpften haben Kopfschmerzen als Nebenwirkung. Und das war's dann aber auch.

Kopfschmerzen sind ja sehr mannigfaltig. Wir unterscheiden heute 367 Hauptformen von Kopfschmerzen, die ganz unterschiedliche Merkmale haben. Und ganz unterschiedliche Entstehungsmechanismen. Und wenn Kopfschmerzen also jetzt so häufig bei einer Impfung auftreten, dann will man natürlich wissen, woher kommen die Kopfschmerzen, wie entstehen sie im Körper, was macht das Nervensystem und wie kann man ihnen möglicherweise vorbeugen? Welche Zusammenhänge gibt es? Und, ganz besonders am Anfang, welche Merkmale haben diese Kopfschmerzen? Wir sagen, wie sieht der Phänotyp aus? Kopfschmerz ist ja ein sehr allgemeines Wort. Und alles das ist bisher nicht bekannt.

Die internationale Kopfschmerzklassifikation führt das Wort "Kopfschmerz nach Impfung" gar nicht auf. Und insofern haben wir jetzt die einmalige Möglichkeit, bei einer so großen standardisierten Impfkampagne diesen Kopfschmerztyp standardisiert zu erfassen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir haben ja völlig neue Impfstoffe. Die mRNA-Impfstoffe sind bisher noch gar nicht eingesetzt worden. Und deswegen ist es auch hochinteressant zu erfahren, ob möglicherweise hier die Kopfschmerzen eine besondere Charakteristik haben, wie sie aussehen und wie man sie dann möglicherweise differenzieren kann. Und aus diesem Grunde habe ich eine entsprechende Studie geplant.

Die Studie wird zusammen mit der Universitätsklinik hier in Schleswig-Holstein durchgeführt, der neurologischen Klinik in Lübeck, schwerpunktmäßig. Aber auch mit internationalen Kollegen. Insbesondere Vereinigte Arabische Emirate, weil da die Impfungen schon weiter fortgeschritten sind. Wir arbeiten zusammen mit Pflegeheimen. Wir arbeiten zusammen mit den Rettungsdiensten. Auch mit Universitätskliniken. Notfallreinrichtungen, die schon weitestgehend geimpft sind.

Insofern versuchen wir also, dieses Bild zu erfassen und damit auch die Mechanismen von Kopfschmerzen näher aufzuschlüsseln.

Was ist das Ziel Ihrer Studie?

Das Ziel der Studie ist erst mal zu erfassen, wie sieht dieses Kopfschmerzbild aus. Ist das ein allgemeines diffuses Kopfschmerzbild, wie wir das zum Beispiel auch bei viralen Infekten kennen? Oder hat dieser Kopfschmerz bestimmte Merkmale.

Interessant ist natürlich auch die Frage, welche Personen kriegen eigentlich diese Kopfschmerzen. Sind das Frauen, sind das Männer, sind das Jüngere, sind das Ältere? Sind das vielleicht Menschen, die andere Kopfschmerzen sowieso schon kennen als Begleiterkrankung. Es könnte ja theoretisch sein, dass diese Kopfschmerzen gar nichts mit der Impfung zu tun haben. Sondern dass das Menschen sind, die sowieso Kopfschmerzen haben. Migräne oder Spannungskopfschmerz haben ja rund 74 Prozent der Bevölkerung.

Und möglicherweise in Zusammenhang mit dieser Impfung werden jetzt diese Kopfschmerzen in den Fokus gerückt, sind aber gar nicht bedingt durch diese Kopfschmerzen. Auch diese Möglichkeit könnten wir... müssten wir in Erwägung ziehen. Insofern also sind all diese Fragen völlig offen, bisher ungeklärt.

Und deswegen möchten wir diese Studie jetzt einsetzen, um international das zu erfassen, Risikofaktoren herauszuarbeiten, Erkrankungen, die möglicherweise begleitet mit Kopfschmerzen auftreten, zu erfassen, Persönlichkeitsmerkmal der Betroffenen eben zu analysieren und mit dem Kopfschmerzgeschehen in Verbindung zu bringen.

Also ein Feld, das sich hier auftut und das jetzt durch diese pandemische Betroffenheit und durch diese weite Impfung von ganzen Bevölkerungen erstmalig in dieser Weise möglich ist. So etwas hatten wir soweit noch gar nicht bisher gehabt.

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In unserem Video-Podcast „Nachgefragt!“ haben wir uns mit Menschen unterhalten, die uns von den täglichen Herausforderungen während der Corona-Pandemie berichteten. zum Artikel

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