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Nachgefragt! Folge 219 mit Holger Hofmann

Das Transkript zur Folge 219 mit Holger Hofmann:

Ein Interview über Kinderrechte mit...

Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Wie gut wurde das Kindeswohl während der Pandemie berücksichtigt?

Die Maßnahmen, die jetzt zum Infektionsschutz getroffen wurden, die auch Kita- und Schulschließungen zur Folge haben, die gehen einher mit einem besonderen Stress für die Kinder. Auch natürlich mit der besonderen Gefahr von Ausbeutung und auch Gefahr von Gewalt.

Das ist natürlich etwas, das uns große Sorgen macht. Deshalb hätten eigentlich von Anfang an stärker die Expertinnen und Experten für Kinder zu Wort kommen müssen. Psycholog:innen aber auch Kinderrechtler. Um hier stärker die Interessen von Kindern ins Feld zu führen.

Leider hat sich auch daran bis heute nichts geändert. Es spielten im letzten Jahr die Interessen von Kindern nicht wirklich eine Rolle. Obwohl es den Anschein macht. Beispielsweise hatten wir im Sommer die Diskussion über die Öffnung von Schulen. Das wurde berücksichtigt. Hier geht es auch um Familienpolitik oder Arbeitsmarktpolitik. Wenn man sieht, dass Abschlussklassen bevorzugt werden. Da fragt man sich, haben nicht alle Kinder ein Recht auf Bildung?

Was fehlt Ihnen in der Diskussion um das Kindeswohl?

Kinder werden nur als Akteure im Bildungswesen gesehen. Als Anhängsel ihrer Eltern. Und weniger mit ihren eigenständigen Bedürfnissen, die sie haben. Dazu zählt zum Beispiel der soziale Austausch, der ist deshalb für sie wichtig, weil sie natürlich auch Ansprechpartner:innen außerhalb der Familie brauchen.

Wenn diese nicht mehr da sind, bekommen wir auch viel weniger mit, wie es den Kindern geht. Das muss insgesamt stärker berücksichtigt werden. Dass hier Kinder unterschiedliche Bedürfnisse bei ihrer Entwicklung haben.

Welche Kinderrechte wurden in der Pandemie besonders beachtet?

Tut mir leid, da kann ich nicht so richtig etwas benennen. Weil tatsächlich die Bundespolitik die Kinder nicht wirklich gesehen hat. Man kann einigen Bundesländern zugutehalten, dass sie reagiert haben, als wir beispielsweise im Dezember die Situation hatten, wo dann auch die unter 14-Jährigen eingeschlossen wurden in diese Eine-Person-Regel. Bei den Haushaltskontakten. Das war dann in einigen Bundesländern so. Und wir haben die unter 14-Jährigen ausgenommen und die Alleinerziehenden.

Aber es zeigt, dass die Bundesregierung gar nicht daran denkt. Man muss erst mal vergegenwärtigen, was bedeutet es denn, für das Kind einer Alleinerziehenden, wenn die Mama eine Freundin besuchen will. Dann kann es nicht mitkommen. Und da wurde nicht wirklich an die Kinder über das Jahr gedacht. Und es ist dringend erforderlich, dass es sich ändert.

Welche Kinderrechte sollten in der Pandemie mehr beachtet werden?

Es wurden drei wesentliche Kinderrechte vernachlässigt. Zuvorderst natürlich beim Thema Bildung. Wir erleben, dass hier überhaupt nicht nachhaltig gedacht wird. Es wird sich von Monat zu Monat oder von Woche zu Woche gehangelt. Die Schulen erlassen immer wieder neue Maßnahmen. Man hätte schon im Sommer Konzepte entwickeln können, wie man nachhaltig Hybrid-Unterricht, digitales Lernen hätte ausgestalten können.

Das Digitalpaket der Bundesregierung kam immer noch nicht in den Schulen an. Arme Kinder verfügen immer noch nicht über ein eigenes Gerät. Das ist eine sehr einschneidende Verletzung der Rechte der Kinder. Die erst mal in der Krise verständlich war. Die auch die Schwächen, die bestanden, offenbart hat. Beim Thema Digitale Bildung.

Aber dass wir nun so lange in der Situation leben, ohne Fortschritte zu machen, das ist eine deutliche Kinderrechtsverletzung.

Wir haben eine Kinderrechtsverletzung beim Thema der Gleichbehandlung, der sozialen Benachteiligung. Es ist was völlig anderes, ob ich in einem Elternhaus lebe mit Garten, einem eigenen Schreibtisch und Internetanschluss. Oder all dies eben nicht habe. Das hätte die Politik stärker berücksichtigen müssen. Dass hier unterschiedliche Situation gegeben sind. Und dadurch auch die Schere zwischen Arm und Reich sich auch mit dieser Pandemie vergrößert hat.

Und das dritte ist auch ein besonderes Kinderrecht, was gerne unter den Tisch fällt und was ich nennen möchte. Das Recht auf Spiel und Erholung. Kinder brauchen die Bewegung stärker als wir anderen. Sie brauchen auch ihre Erholungsphasen. Die sind wichtig. Und das ist schwierig, wenn ihre Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Man muss sehen...

Zum Beispiel die Jugendlichen, über die redet kaum jemand. Was die im letzten halben Jahr für Bewegungseinschränkungen hinnehmen mussten. Und was das mit ihnen macht. Ich finde, wir können stolz sein, dass unsere Jugendlichen da so auch mitziehen. Und das auch mitmachen, weil sie leiden wirklich darunter.

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