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Das Transkript zur Folge 266 mit Prof. Dr. Oliver Muensterer:

Ein Interview über Triage in der Medizin mit...

Mein Name ist Oliver Muensterer.  Ich bin Kinderchirurg am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München.

Was versteht man unter Triage?

Triage kommt ja eigentlich aus dem Französischen. Von dem Wort "trier", das bedeutet so viel wie auslesen. oder aussortieren. Und es kommt eigentlich aus dem Militärchirurgischen. In der napoleonischen Zeit mussten die Militärchirurgen auf dem Schlachtfeld rausfinden, wem zu helfen war. Wem nicht mehr zu helfen war und wer ohne Hilfe klarkam.

Wann kommt die  Triage zum Einsatz?

Triage kommt immer dann zum Einsatz, wenn der Bedarf die Kapazität überschreitet. Das kann zum Beispiel sein bei Massenunfällen. Wie in den 80er-Jahren hier in München bei dem Bombenanschlag auf dem Oktoberfest. Oder bei einem Busunglück, wo man sehr viele Patienten hat.

Das klingt jetzt spektakulär, aber tatsächlich ist es auch etwas,  dass wir täglich im Krankenhaus durchführen. Nämlich in der Ambulanz, wenn wir uns fragen, wer zuerst drankommt. Ein Beispiel, da kommt ein Kind, das hat eine stark arteriell blutende Wunde. Und gleichzeitig kommt ein Kind,  dass seit zwei Wochen leichte Bauchschmerzen hat. Dann ist klar, dass man seine Ressourcen und seine Behandlung zunächst mal dem widmet, der es am meisten braucht. Und das ist auch eine Art von Triage. Das ist ein alltäglicher Vorgang,  den man hier im Krankenhaus immer durchführt.

Sie haben eine Studie zur Akzeptanz der Triage in der Bevölkerung durchgeführt. Worum  ging es dabei genau?

Das Thema hat mich deshalb so interessiert, weil ja ziemlich genau vor einem Jahr aufgrund der Covid-Pandemie  in Norditalien der Bedarf die Möglichkeiten überstiegen hat, die Leute zu beatmen. Es waren mehr Patienten dort als Beatmungsmaschinen. Das war natürlich für Mitteleuropa ein Schock. Das hat man sich nicht denken können,  dass wir nicht jeden Patienten so behandeln können, wie wir uns das eigentlich würden.

Und das führte auch in den Medien zu einer Diskussion, vor allem von Experten  und Lobby-Gruppen, wie denn so eine Triage gestaltet werden sollte. Und meinerseits habe ich das Gefühl gehabt, dass es ein bisschen außer Acht gelassen hat, was die allgemeine Bevölkerung davon gedacht hat. Und deswegen haben wir diese Online-Umfrage über Social-Media-Kanäle lanciert.

Ganz, ganz weit, wir wollten ein möglichst breites Feld. Praktisch schon eine Meinungsbildung haben von allen möglichen Leuten. Und uns ging es darum, herauszufinden, welche Kriterien, denkt die allgemeine  Bevölkerung, sollte man anwenden, für eine Triage.

Und zweitens, wie sollte so eine Triage durchgeführt werden. Als Beispiel, Alter. Ja, es gibt Leute, die meinen, man sollte eine Triage nach Alter durchführen.  Mit anderen Worten, dem jüngeren  Patienten den Ventilator geben. Einfach aus... Ja, die Rationale dahinter ist, dass es fairer ist. Der eine hat sein Leben gelebt, bei dem anderen kann man mehr Lebensjahre retten, sozusagen. Das wurde in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. Und häufig als Altersdiskriminierung abgestempelt.

Das Gegenargument ist natürlich, jedes Leben ist gleich viel wert. Und man sollte nicht aufgrund solcher Kriterien unterscheiden.  Da wäre es interessant zu wissen, was denkt eigentlich die Bevölkerung. Denn in anderen Ländern ist Altersdiskriminierung doch sehr häufig akzeptiert. In Amerika oder in den Niederlanden. In England zum Beispiel. Bei uns wird es oft als Altersdiskriminierung abgestempelt.

Und die andere Sache ist, wie soll man eine Triage durchführen? Es gibt Leute, die sagen,das sollte gesetzlich geregelt werden. Da gibt es Gesetze und der Arzt weiß genau, dem muss er den Ventilator geben, dem nicht.

Andere Möglichkeiten wären ja solche Punktesysteme, wie zum Beispiel bei Organtransplantationen.  Dass man Punkte vergibt und dann ist es ein offenes und transparentes System.

Oder so was wie... Ethikkonzile, die praktisch die Ärzte vor Ort beraten.

Und wir haben herausgefunden, dass die Mehrzahl der Befragten, also der Bevölkerung, eine Triage nach Alter Befürwortet. Aber auch nach Verantwortung für andere. Zum Beispiel einer Mutter von drei Kindern eher den Ventilator gibt als einem Single. Nach Prognose, was ganz wichtig ist. Das ist allgemein akzeptiert, dass es ein gutes Kriterium ist.

Und auch verhaltensabhängige Komorbiditäten eine Rolle spielen sollten. Das heißt, jemand der raucht und Alkoholzirrhosen in der Leber hat, sollte eher nicht den Ventilator bekommen. Im Vergleich zu dem, der sich gesund ernährt.

Interessanterweise haben wir rausgefunden, dass die Leute ganz klar eine Triage nach sozialer Stellung, Asylstatus oder Versicherungsstatus komplett ablehnen.

Das ist ja eine positive Nachricht, ne?

Und was die Methodik angeht, so sprechen sich die meisten der Befragten aus für Ethikkomitees. Also dass Ärzte beraten werden von anderen Ärzten und anderen Heilberuflern. In ihrer Entscheidung. Oder Punktesysteme. Aber gesetzliche Vorgaben sehr kritisch gesehen werden.

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