Nachgefragt! beim Kinder- und Jugendarzt
Das Transkript zur Folge 261 mit Privatdozent Dr. Burkhard Rodeck:
Ein Interview über die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche mit...
Mein Name Burkhard Rodeck, ich bin Kinder- und Jugendarzt, ehemaliger Chefarzt des christlichen Kinderhospitals Osnabrück und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Welche physischen Folgen stellen Sie fest?
Was wir jetzt schon beobachten, ist natürlich, wir nennen es Disruption des normalen Lebens, das die Kinder haben. Sie sitzen zu Hause, haben keine Sozialkontakte. Sie bewegen sich wenig, treiben keinen Sport. Sie haben ein Fehlverhalten, was das Essen angeht, in vielerlei Hinsicht, und wir sehen auch eine Zunahme von Übergewichtigkeit.
Also die rein physischen Folgen von Covid-19 kann man so zunächst umschreiben, dass das ein Hauptproblem der Zukunft sein wird.
Inwiefern beeinträchtigt die Pandemie die Entwicklung?
Da sind wir sehr besorgt. Man kann sich das so vorstellen, dass man eine Familie hat, die in einer 80-Quadratmeter-Wohnung wohnt, Mutter, Vater, drei Kinder. Vater geht noch zum Büro, Mutter hat einen Teilzeitjob im Homeschooling. Im Homeoffice. Dann muss sie bei zwei Kindern Homeschooling machen. Vielleicht Home-Kita machen.
Dass natürlich die Ressourcen der Familie, besonders der Mutter, sehr begrenzt ist, ist völlig klar. Und dass diese Kinder zu Hause wenig Möglichkeiten haben, nach außen auszuweichen, und ihre Bedürfnisse nicht entsprechend aufgenommen und aufgefangen werden können, ist auch klar.
Das heißt, und das erlebe ich auch in meiner Praxis, dass die Kinder und die Eltern teilweise ganz verzweifelt sind. Die Eltern sagen, wir wollen eigentlich keine Medien an unsere jungen Kinder heranlassen, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Kind vor den Fernseher zu setzen, damit ich das zu Hause irgendwie wuppen kann. Und Fernsehen, Medien, ist alles andere als kommunikationsfördernd und entwicklungsfördernd. Auch hier sehen wir einen großen Bereich in der Zukunft, der uns Sorgen macht.
Welche psychischen Schäden lassen sich feststellen?
Hier kann man unterscheiden zwischen echten, psychischen Folgen. Depressionen und psychische Erkrankungen. Da sind wir auch sehr besorgt.
Aber was wir vor allem beobachten, es gibt eine gute Studie von der Universitätskinderklinik in Hamburg Eppendorf, aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie die verglichen hat, die psychosomatischen Beschwerden von Kindern vor Covid-19 und jetzt unter der Pandemie. Und hier sehen wir doch, dass signifikant die Probleme mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, mit Nervosität, mit vielen, vielen Beschwerden angestiegen ist.
Das bedeutet, diese Generation hat mehr mit psychosomatischen Problemen zu kämpfen, die natürlich auch entsprechend behandelt werden müssen.
Wie bewerten Sie das Testen an Schulen und Kitas?
Zwei Botschaften dazu. Das eine: Testen gibt nur Hinweise. Ein negativer Schnelltest gibt nicht die Sicherheit, dass ich keine Infektion habe. Ein positiver Schnelltest gibt nicht die Sicherheit, dass ich eine Infektion habe. Es gibt eine Reihe von falsch negativen und falsch positiven Befunden, insbesondere wenn ich Kinder und Jugendliche teste, die asymptomatisch sind, keine klinischen Symptome haben. Man kann sich auf die Tests nicht verlassen. Sie können dazu beitragen, dass Infektionen aufgedeckt werden.
Beim Testen gibt es unterschiedliche Formen. Es gibt den Nasen-Vorhof-Test, wo ich mit einem Watteträger vorne in die Nase reingehe. Und Kindern muss man so was spielerisch erklären. Man kann Max erklären: Hast du noch nie in der Nase gebohrt? Dann fängt er an zu kichern. Dann kann ich da auch ein Wattestäbchen einbringen.
Dann gibt es die Lollipop-Teste. Die für kleine Kinder gut geeignet sind, wo ein Schwammträger in den Mund gelegt wird, der für gewisse Zeit drinbleiben muss. Dann gibt es Speichelteste, wo man eine bestimmte Menge Speichel abgibt. Dann gibt es Gurgelteste, wo ich mit einer Testspüllösung meinen Mund ausspülen und dies ausspucken muss.
Das heißt, die letzten drei, Speichel, Gurgel und Lollipop, sind völlig harmlos, da passiert gar nichts Schlimmes. Und der Nasentest ist ein Stück weit unangenehm. Man muss die Kinder überzeugen, dass es geht. Psychologische und psychische Belastung der Kinder durch die Testmaßnahmen sehe ich aber nicht als Problem. Problem ist allenfalls die nicht ganz ideale Aussagekraft der Schnelltests.
Wie kann die Situation von Kindern und Jugendlichen verbessert werden?
Es heißt, das erlauben, was ein normales Leben darstellt. Schulöffnung, Kitaöffnung, sollten so gut wie möglich erhalten bleiben. Schulschließung, Kitaschließung wirklich als allerletzte Maßnahme in der Eindämmung der Pandemie. Die Hürden dafür sehr hoch stellen.
Das ist in der Vergangenheit leider nicht konsequent geschehen. Die Kinder und Jugendlichen sind in ihren Bedürfnissen nicht so wahrgenommen worden wie andere gesellschaftliche Gruppen oder große Unternehmen, die mit Milliardenbeträgen unterstützt wurden. Das ist, was wir als Kinder- und Jugendärzte sehr bedauern.
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