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Das Transkript zur Folge 230 mit Professorin Sigrid Graumann:

Ein Interview über Sonderrechte für Geimpfte mit...

Mein Name ist Sigrid Graumann, ich bin Biologin und Philosophin, Professorin für Ethik und Rektorin der Evangelischen Hochschule in Bochum. Außerdem bin ich Mitglied im Deutschen Ethikrat und leite derzeit die AG Pandemie.

Wie steht der Ethikrat zu den Rechten für Geimpfte?

Der Ethikrat geht mit seiner Stellungnahme oder mit seiner ad-hoc-Empfehlung zu den Regelungen für Geimpfte davon aus, dass wir heute zuverlässig wissen, dass die Impfung davor schützt, an Covid-19 zu erkranken.

Wir müssen aber dennoch davon ausgehen, dass Geimpfte sich weiter infizieren können und die Infektion auch an andere weitergeben können. Deshalb halten wir die Rücknahme von Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte zum jetzigen Zeitpunkt schon allein aus wissenschaftlichen Gründen für nicht vertretbar.

Das ist aber kein Grund, pessimistisch zu sein. Je mehr Personen geimpft sind, desto mehr Personen sind davor geschützt, selbst zu erkranken. Das heißt dann, dass mit zunehmender, wir sprechen von Durchimpfung der Bevölkerung, schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle zurückgehen müssten. Und dann dürfte auch unser Gesundheitssystem nicht mehr von Überforderung bedroht sein.

Das heißt, dass je mehr Menschen geimpft sind und je weniger Menschen krank werden, die Rechtfertigungen der Freiheitsbeschränkung dann zunehmend nicht mehr gegeben sind. Und das heißt, dass mit Fortschreiten des Impfprogramms schrittweise die allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger zurückgenommen werden sollen.

Maßstab dabei sind eben nicht primär die Infektionszahlen, sondern die Zahlen der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle. Und da bewegen wir uns einfach in eine positive Richtung.

Wieso haben ältere Geimpfte dabei eine Sonderstellung?

Wir machen eine Ausnahme für Bewohner:innen von Pflegeheimen, aber auch für Bewohner:innen von Einrichtungen der Behindertenhilfe oder von Hospizen, und zwar deshalb, weil das Gruppen sind, die von den Isolationsmaßnahmen und Besuchseinschränkungen sehr stark belastet waren.

Das heißt, das sind Personen, die im Vergleich mit anderen Bürgerinnen und Bürgern benachteiligt waren, also wir wollen die nicht bevorzugen, sondern wir wollen Nachteile für diese Personen aufheben, sobald sie ihre Gesundheit... sobald sie durch die Impfung vor einer Infektion geschützt sind.

Wieso sollten sich Geimpfte nicht mit anderen Geimpften ohne Einschränkungen treffen dürfen?

Wir müssen trotzdem davon ausgehen, auch wenn Geimpfte weiterhin nur Geimpfte treffen würden. Also, wenn es solche Veranstaltungen zum Beispiel geben würde, nur für Geimpfte, müssen wir trotzdem noch davon ausgehen, dass sie die Infektion untereinander weitertragen können, und dann eben auch, wenn sie dann wieder andere Menschen treffen, auch an nicht Geimpfte weitergeben. Das ist für den Zeitraum problematisch, in dem noch sehr wenige geimpft sind und viele noch nicht geimpft sind.

Wie bewerten Sie unter ethischen Gesichtspunkten volle Rechte für Geimpfte in der Privatwirtschaft?

Unter ethischen, also rechtlich, das sagen wir auch in der ad-hoc-Empfehlung, rechtlich ist es einfach so: Der Staat muss seine Bürger gleich behandeln, also wenn der Staat Schutzmaßnahmen, Freiheitsbeschränkungen erlässt, dann muss er alle Bürger gleich behandeln.

Das ist bei Privaten nicht so. Ein Privatunternehmen ist frei, mit wem es einen Vertrag abschließt und mit wem nicht. Ob das eine gute unternehmerische Entscheidung ist, sagen wir mal, Konzerte nur für Geimpfte anzubieten, das wage ich zu bezweifeln, aber das werden die Unternehmen dann selbst sehen müssen.

Dass Menschen das als ungerecht empfinden würden, davon gehe ich schon aus. Das ist aus ethischer Sicht natürlich ein Problem, aber ja, da gibt es irgendwie einfach wenig Handhabe.

Wir machen aber eine Ausnahme an der Stelle. Und die Ausnahme ist auch gesetzlich vorgesehen, nämlich dort, wo Dienstleistungen oder auch Waren für die basale gesellschaftliche Teilhabe notwendig sind. Also zum Beispiel, wenn der einzige Supermarkt in einer ländlichen Region oder öffentliche Verkehrsmittel, die müssen selbstverständlich auch für nicht geimpfte Bürgerinnen und Bürger zugänglich sein.

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