Logo der Apotheken Umschau

Nachgefragt! Folge 203 mit Prof. Dr. Barbara Prainsack

Das Transkript zur Folge 203 mit Professorin Barbara Prainsack:

Ein Interview über Solidarität mit...

Mein Name ist Barbara Prainsack. Ich bin Politologin am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien und auch Leiterin des Instituts derzeit und die Leiterin der... einer Forschungsplattform, die verschiedene Disziplinen zusammenbringt zu digitalen Praktiken.

Was versteht man unter Solidarität?

Das ist natürlich so ein Begriff, der... den man intuitiv versteht und schwer definieren kann. Deswegen ist es, wenn man sich von einer wissenschaftlichen Seite nähert, ist es ganz wichtig, Solidarität so zu definieren, dass er auch... dass es klar wird, was der Unterschied zwischen Solidarität ist und anderen positiven, prosozialen Praktiken.

Und hier gehen wir in unserer Arbeit davon aus, dass das Alleinstellungsmerkmal bei der Solidarität das Erkennen von Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen ist. Ich mache es an einem Beispiel greifbar.

Es gibt sehr viele Unterschiede zwischen Menschen... keine zwei sind gleich. Aber bei der Solidarität werden die Gemeinsamkeiten, die Ähnlichkeiten, die man mit anderen erkennt, handlungsleitend. Das heißt, man unterstützt zum Beispiel jemanden, weil man eine Erfahrung gemacht hat, die diese Person auch gerade durchmacht, oder weil man für ein gemeinsames Ziel kämpft und so weiter.

Bei anderen prosozialen Praktiken, wie zum Beispiel der Mildtätigkeit, da ist oft der Unterschied maßgeblich und nicht die Gemeinsamkeit. Ich habe, und Sie haben nicht, deswegen gebe ich Ihnen. Bei der Solidarität ist das, was wirklich ausschlaggebend ist, eben diese Gemeinsamkeit, die man erkennt mit anderen, trotz aller Unterschiede, die es natürlich zweifellos gibt.

Wie hat sich die Solidarität in der Pandemie entwickelt?

Hier ist es genau der Punkt, wo die unterschiedlichen Ebenen reinkommen. Diese Solidarität von Mensch zu Mensch, die Leute, die füreinander einkaufen oder in die Apotheke gehen, die für fremde Menschen... sich selbst einschränken, um fremde Menschen nicht zu gefährden, diese Mensch-zu-Mensch-Solidarität hat schon fluktuiert.

Da hat es am Anfang eine Hochphase gegeben und dann ist es abgeflaut, weil die Leute müde geworden sind, weil die Menschen sich auch mehr daran gerieben haben, dass andere Menschen sich eben nicht so verhalten wie wir selbst.

Menschen, die Masken tragen oder keine Masken tragen, Menschen, die Abstand halten oder keinen Abstand halten. Das wurde dann auch, weil die Menschen müder wurden, eine stärkere Trennlinie zwischen den Leuten. Das ist aber nicht ganz untypisch, weil es bei vielen Krisen am Anfang eine Hochphase an Solidarität gibt, dann sinkt die, und dann könnte es wieder ansteigen.

Wir sind jetzt in der Phase, wo wir auch in unseren empirischen Daten sehen, diese Mensch-zu-Mensch-Solidarität sinkt. Sie war am Anfang sehr hoch und sinkt. Gleichzeitig, die Solidarität, die sich in Institutionen niederschlägt, die wird wichtiger für die meisten Menschen. Auch Menschen, die immer einen schlanken Staat wollten, möchten jetzt gern eine gut finanzierte, öffentliche Gesundheitsversorgung haben. Selbst in den USA gibt es Leute im konservativen Spektrum, die sich für eine Gesundheitsversorgung für alle aussprechen.

Die Rolle des Staates. Selbst... Selbst Menschen in einem Lager von denen man das nicht kennt, rufen nach dem Staat, Unterstützung durch den Staat und so weiter. Natürlich ist nicht alles, was der Staat tut, solidarisch. Gar nicht. Aber gerade, wenn es um Systeme geht, wie Krankenversorgung, also Gesundheitssysteme im weitesten Sinne, oder auch Hilfszahlungen für Menschen, wo man jeweils im System... zum System beiträgt nach Können und rausnimmt nach Brauchen, nach Bedürfnis, das ist das Kennzeichen solidarischer Systeme, das erfährt eigentlich eine Hochblüte im Moment.

Die Frage ist, ob das bleibt, ob das ein nachhaltiger Trend ist. Aber diese Form von Solidarität hat sicher nicht abgenommen.

Was bedeutet die abnehmende Solidarität für das gesellschaftliche Miteinander?

Ja, das ist sehr... Dass diese Mensch-zu-Mensch-Solidarität sinkt, kann sich auf unterschiedliche Weise auswirken. Das Erste ist natürlich, dass es weniger Unterstützung zwischen Menschen gibt. Und dann zeigt sich natürlich sehr stark der Unterschied zwischen Gesellschaften, die solidarische Institutionen haben, und jenen, die das nicht haben.

Wenn man weder Unterstützung von Mitmenschen noch der Allgemeinheit hat, ist es natürlich sehr, sehr schwierig. Gleichzeitig spielt die Solidarität auch in der Befolgung der Maßnahmen und in unseren Bemühungen die Pandemie einzudämmen und idealerweise... zu besiegen, eine große Rolle.

Und hier spielt das Absinken der Solidarität... Hier ist das Absinken der Solidarität ein sehr... verständliches vielleicht... aber eine sehr problematische Entwicklung, weil Menschen, und das sehen wir auch in unseren empirischen Daten, Menschen sind relativ... stark bereit, sich selbst einzuschränken, wenn sie die Regeln als fair sehen und sie das Gefühl haben, dass die Regeln für alle gelten, wenn sie das Gefühl haben, dass das System fair und reziprok ist.

Zur Reziprozität gehört auch, dass man das Gefühl hat, wenn es mir jetzt... Also jetzt trage ich vielleicht mehr bei als andere, ich schütze andere, aber wenn es mir mal schlecht geht, wird mir auch geholfen. Wenn man dieses Gefühl hat und wenn man die Regeln als fair sieht, sind viele Menschen bereit sich einzuschränken. Es ist jetzt aber nicht... in vielen Ländern der Welt nicht der Fall. In Österreich ist es weniger der Fall, als es seit Beginn der Krise war.

Das hat viel mit unklarer Kommunikation und Regeln zu tun, die absolut nicht nachvollziehbar sind in ihrer Kohärenz. Und das hat auch damit zu tun, dass man das Gefühl hat, die Lasten der Krise sind sehr ungleich verteilt und die, die die größten Lasten tragen, werden nicht wirklich genug unterstützt. Das ist etwas, was wir in unseren Umfragen sehen.

Menschen sagen: "Die Firmen werden unterstützt.", das finden auch viele richtig so, aber die Menschen, die die Hauptlasten tragen, gerade auch Frauen, die mehr unbezahlte Arbeit übernehmen, in der Kinderbetreuung, im Haushalt, viele schlecht bezahlte Menschen in Gesundheitsberufen, in der Pflege, finden nach wie vor keine Unterstützung. Das lässt natürlich die Solidarität bröckeln. Das sind Entwicklungen, die einander aufschaukeln. Und das ist sehr problematisch.

Darum geht es in „Nachgefragt!“

„Nachgefragt!“ ist ein Videopodcast und befasst sich mit allen Aspekten rund um die Corona-Pandemie: Wir sprechen mit Expert:innen aus Medizin, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch mit Menschen, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Dabei kommt ein breites Spektrum von Menschen in den unterschiedlichsten Positionen zu Wort, von der Soziologin bis zum Labormediziner, vom Hautarzt bis zur pflegenden Angehörigen.

Sie können die Folgen über verschiedene Plattformen sehen und abonnieren beispielsweise bei:

Alle Folgen im Überblick

43857071_4d6cf2ef02.IRWUBPROD_3YV2.jpg

Nachgefragt! | Der Corona-Video-Podcast

In unserem Video-Podcast „Nachgefragt!“ haben wir uns mit Menschen unterhalten, die uns von den täglichen Herausforderungen während der Corona-Pandemie berichteten. zum Artikel

weitere Artikel