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Nachgefragt! Folge 287 mit Dr. Klaus Reinhardt

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer:

„Ich hoffe, sage ich mal, dass wir in sechs bis acht Wochen mit den Inzidenzzahlen so weit runter sind, dass sich unser Leben wieder zunehmend normalisieren darf und kann. Und dann hoffe ich sehr, dass wir wieder, mit all den Instrumenten, die wir haben, Impfung im Wesentlichen, auch wieder Zutrauen in unser Zusammenleben entwickeln.

Ein Interview über die Auslastung von Hausärztinnen und Hausärzten im Zusammenhang mit der Impfkampagne mit...

Mein Name ist Klaus Reinhardt. Ich bin Präsident der Bundesärztekammer, Facharzt für Allgemeinmedizin und habe eine hausärztliche Praxis in Bielefeld.

Viele Hausärztinnen und Hausärzte halten dem Ansturm der Impfwilligen kaum stand. Wie lässt sich deren Situation verbessern?

Ich selber bin ja Hausarzt. Und am Montag der vergangenen Woche war ich, wie montags immer, vormittags in der Hausarztpraxis. In der Zeit zwischen 08:37 Uhr und 13 Uhr waren 300 Anrufe an dem Vormittag in unserer Praxis eingegangen. Die sich zu 95 Prozent um das Thema Impfung drehten.

Und alle Welt versucht jetzt, und zwar vor allem, seit klar ist, dass die Geimpften ihre, in Anführungszeichen, nicht Privilegien, sondern ihre Grundrechte zurückerhalten. Sich dorthin zu bewegen, wo sie möchten. Zu bleiben, wo sie möchten. Kulturveranstaltungen zu besuchen und demnächst vielleicht wieder Gastronomie im Innenraum. Und auch das Kino oder was auch immer.

Oder auch in größeren Verbünden zusammenkommen zu dürfen und auch verreisen zu dürfen. Und speziell auch Verreisen, jetzt in der Sommerzeit, ist eine Motivation für ganz viele Menschen, sich nun massiv um die eigene Impfung zu bemühen.

Das ist legitim und auch nachvollziehbar, völlig klar. Die Menschen nehmen aber keinerlei Rücksicht auf die Strukturen, keinerlei. Sie nehmen auch keinerlei Rücksicht auf das Nebeneinander.

Und auf die Tatsache, dass bei begrenzt vorhandenem Impfstoff oder auch bei begrenzt vorhandener menschlicher Kapazität derjenigen, die die Impfung durchführen können, ein wenig sich auch in eine geordnete Form einer Schlange zu stellen.

Da haben wir ja auch in Deutschland ohnehin nicht die ganz große Vorbildfunktion. Wenn man sich anguckt, wie das in skandinavischen Ländern oder in angelsächsischen Ländern, in USA oder England erfolgt, dann ist dort die Disziplin des Schlangestehens eindeutig ausgeprägter. Und eine kulturell anders geprägte Verhaltensweise. Und bei uns ist eher das Catch-As-Catch-Can. Man setzt sich durch und ruft drei Ärzte gleichzeitig an, um an Impfstoff zu kommen.

Das ist schon mühsam, ich muss Ihnen ehrlich sagen, selbst wenn wir genug Impfstoff hätten, und das wird in den nächsten drei, vier Wochen wahrscheinlich so sein, bleibt es ja trotzdem schwierig, weil wir auch die humanen Kapazitäten brauchen, um das durchzuführen, und die räumlichen.

Also es wird... Ich habe da ganz großen Respekt. Nicht nur vor den hausärztlichen Kollegen. Sondern auch vor deren Personal, die ja immer der erste Anlauf- und Ansprechpartner sind in dem Kontext. Und ich habe auch großen Respekt natürlich nicht nur vor Haus-, auch vor Fachärzten, die jetzt impfen.

Ich höre auch von den ersten: "Ich gebe es auf. Ich kann es nicht mehr bewältigen, nicht mehr ertragen." In einer größeren Hausarztpraxis wie unserer, wo drei, vier ärztliche Kollegen tätig sind, und dann sechs, sieben Menschen an Personal gleichzeitig da sind, kann man das noch ein bisschen entzerren und sagen, man macht eine Impfsprechstunde. Die macht man Samstagvormittag, manche machen das sonntags.

Es ist hocheindrucksvoll, mit welchem Engagement die Kolleginnen und Kollegen unterwegs sind. Und das sind alles Dinge, speziell in den Praxen, die sind zwar vergütet, aber die sind kostendeckend vergütet. Das, was da an Engagement, Arbeitszeit und manchmal auch an Auseinandersetzung mit den Betroffenen reinfließt, ist, wenn man so will, so gerade eben wirtschaftlich angemessen dargestellt.

Das macht keiner, weil er in der Vorstellung lebt, er macht ein tatsächliches Geschäft, in Anführungszeichen. Sondern das machen die Kolleg:innen tatsächlich aus Gründen der inhaltlichen Verantwortlichkeit oder Verantwortung, die sie in dem Zusammenhang empfinden.

Und darum glaube ich, da darf man das auch mal so ganz deutlich sagen: Das Problem ist, dass, wie gesagt, man nicht so richtig weiß, wie man es zum jetzigen Zeitpunkt lösen sollte. Selbst wenn wir jeden impfen können, der geimpft werden möchte, werden wir nicht nur die Haus- und Facharztpraxen weiter brauchen, sondern ich finde es auch richtig, dass die betriebsärztlichen Einrichtungen genutzt werden sollen.

Ich finde es auch richtig und habe es von Anfang an als richtig empfunden, dass die Impfzentren erhalten bleiben, bis wir soweit durchgeimpft sind, dass wir bestenfalls Auffrischimpfungen brauchen. Und da werden noch einige Monate vergehen.

Gibg es Impfauffrischungfen noch, bevor alle Impfwilligen ein Impfangebor wahrnehmen können?

Wir wissen ja noch fast nichts über die Impfung und die Erkrankung. Oder wenig zumindest. Wir haben keine Ahnung, ob Genesene wirklich geimpft werden müssten.

Sondern wir haben festgelegt, durch die Ständige Impfkommission, sie soll nach sechs Monaten einmal aufgefrischt werden. Mit einem der Impfstoffe.

Das gilt für mich persönlich zum Beispiel. Ich bin erkrankt gewesen letztes Jahr im März. Und Anfang Mai habe ich mich einmal impfen lassen, sodass ich eine Auffrischimpfung nach einem guten Jahr im Anschluss an meine eigentliche Erkrankung gehabt habe. Trotzdem weiß keiner, ob das wirklich reicht.

Weil das Messen von Antikörpern ist ein Laborbefund, aber keine echte Aussage über eine komplexe, immunologische Lage.

Das Zweite ist, wir wissen überhaupt nicht, wie lange Menschen, die zwei Impfungen im Regelabstand erhalten haben, wie lange deren Immunität anhält? Da wird im Moment von einem Jahr gesprochen. Aber es weiß keiner wirklich. Da werden wir unsere Erfahrungen sammeln müssen.

Es kann sein, dass wir tatsächlich nach einem Jahr eine Auffrischimpfung machen müssen. Kann aber auch sein, dass wir eines Tages wissen, dass es erst nach drei Jahren sein muss. Das ist überhaupt nicht klar.

Wir haben im Übrigen auch noch keine Hinweise auf Langzeiteffekte dieser Impfung. Was wir wissen, ist, dass diese Impfung, wenn sie richtig durchgeführt ist und komplett und vollständig ist, bei fast allen Impfungen mit deutlich über 90 Prozent vor einer Infektion beziehungsweise vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt.

Das ist ganz viel wert, wie wir an den zurückgehenden Inzidenzzahlen sehen. Wie wir an der Entlastung der Intensivstationen sehen. Und an den zurückgehenden Totenzahlen, vor allem der älteren Bevölkerung, die weitestgehend schon durchgeimpft ist, beobachten können.

Und insofern haben wir, glaube ich, alle wirksamen Instrumente um der Pandemie dann am Schluss tatsächlich erfolgreich zu begegnen.

Ja, die existieren. Aber wie es im Detail ausgestaltet werden muss, weiß keiner. Und stellt man sich vor, dass jedes Jahr unter Umständen eine Auffrischimpfung, dann aber bestimmt von, ich sage mal, 60 Millionen Menschen, zu erfolgen hat, dann ist dreimal so viel wie die, die wir sonst üblicherweise als Grippeschutzimpfung geben. Drei- bis viermal so viel.

Ob das alles in Arztpraxen in Zukunft bewältigt werden kann, oder ob man nicht dann doch für eine solche über viele Jahre aufrecht zu erhaltende Impfstrategie die Impfzentren längerfristig wird bestehen lassen müssen, weil es unter Umständen dort flüssiger geht, weil man da nur das macht... Ich glaube, darüber sollte man in Ruhe und Muße nachdenken.

Da hat es in der Vergangenheit zwischen unterschiedlichen Arztgruppen von den einen oder anderen Exponenten Äußerungen gegeben, die sich gegenseitig ihre Existenzberechtigung abgesprochen haben. Völliger Unsinn aus meiner Sicht.

All das muss geschehen, um das flüssig, praktikabel und möglichst gangbar zu halten.“

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