Logo der Apotheken Umschau

Der Krieg in der Ukraine ist für Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung oft besonders schlimm. Die private Initiative #health4ukraine liefert Hilfsgüter, bringt Betroffene in Sicherheit und vermittelt Pflegeplätze in Deutschland. Wir haben mit zwei der Initiatoren gesprochen: über fehlende Hilfsmittel, zerstörte Pflegeheime – und große Hilfsbereitschaft.

Sascha Platen und Björn Zeien sind zwei der Initiatoren von #health4ukraine.

Sascha Platen und Björn Zeien sind zwei der Initiatoren von #health4ukraine.

Wie geht es pflegebedürftigen Menschen in der Ukraine?

Sascha Platen: Die Situation ist eine Katastrophe, vor allem im Osten und Süden. Wir haben aktuell über 20 zerstörte Kliniken und noch mehr Pflegeeinrichtungen, die auch systematisch beschossen wurden. Die Hilfsmittel gehen an allen Ecken und Enden aus. Seit ein paar Wochen konzentrieren wir uns darauf, gezielt Pflegehilfsgüter in die Ukraine zu bringen.

Ihre Initiative hat auch schon viele Menschen aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit gebracht. Herr Platen, Sie waren selbst dort: Welche Bilder sind Ihnen im Kopf geblieben?

Platen: Das schlimmste Bild war das einer älteren Frau im Rollstuhl, im Schnee. Alleine, ohne Betreuung, sie wurde mehr oder weniger zugeschneit. Wir konnten sie dann retten. Die schlimmste Geschichte war die einer Mutter mit halbseitig gelähmtem Kind, die nicht in die Bunkeranlage in Kiew kommen konnten. Wir haben sie nachts aus der Stadt herausgeschleust. Inzwischen sind sie in einer Pflegeeinrichtung in Nordbayern.

Warum ist die Flucht für Pflegebedürftige schwieriger?

Platen: Es gibt keine Transportmöglichkeiten, mit einem Bettlägerigen kann man kaum fliehen. Teilweise rettet sich der aktive Teil der Familie und lässt die Pflegebedürftigen zurück. Manche verhungern und verdursten, etwa in der Stadt Irpin.

Wie erfahren Sie von Menschen in einer Notlage?

Platen: Als ich am ersten Wochenende dort war, habe ich meine Handynummer weitergegeben. Daraufhin kamen die Anfragen Tag und Nacht, über Telegram, Signal, WhatsApp, ukrainische Helfer haben übersetzt. Aus Mariupol haben wir so zum Beispiel von einer Einrichtung für schwerstbehinderte Kinder erfahren. Die meisten Pflegekräfte waren geflohen. Und es gab keine Spezialnahrung, auf die die Kinder angewiesen sind. Wir haben aus eigenen Mitteln Spezialnahrung organisiert und dorthin gebracht.

#health4ukraine ist eine private Initiative. Wie hat das alles begonnen?

Björn Zeien: Als der Krieg ausbrach, rief mich Sascha Platen an und sagte, wir müssen etwas tun. Wir beraten beide Unternehmen in der Gesundheitsbranche zur Digitalisierung – zusammen mit Christine Vogler, die auch Präsidentin des Deutschen Pflegerats ist, haben wir ein sehr belastbares Netzwerk im Pflegeumfeld. Sascha Platen ist ins Kriegsgebiet gegangen, ich habe in Deutschland die Infrastruktur für die Vermittlung von Pflegeplätzen geschaffen. Und natürlich haben sich viele Freiwillige eingebracht und viele Organisationen haben uns unterstützt. Das war die Schlagkraft von #health4ukraine. Nicht das theoretische Überlegen, sondern das Machen. In den ersten drei Wochen waren wir 20, 22 Stunden am Tag mit nichts anderem beschäftigt.

Ihre Initiative vermittelt Pflegeplätze an Geflüchtete. Wie schwer ist das?

Zeien: Jeden Tag melden sich Pflegeeinrichtungen bei uns, um zu helfen: Auf unserer Website kann man freie Kapazitäten angeben. Wir finden eigentlich immer eine Lösung.

Hat Sie diese Hilfsbereitschaft überrascht? Angesichts des Pflegenotstands sind viele Einrichtungen ohnehin an der Belastungsgrenze.

Zeien: Ja, andererseits: Die Pflege ist die Pflege, das sind Menschen mit einer hohen Sozialkompetenz und Hilfsbereitschaft. Viele Pflegekräfte wollen in ihrer Freizeit helfen. Dazu kommt: Im Moment haben viele Einrichtungen teilweise mehr freie Kapazitäten als normalerweise. Denn wegen der Pandemie haben viele ältere Menschen den Umzug ins Heim vermieden.

Müssen Pflegeheime das selbst zahlen?

Platen: Nein. Jeder, der aus der Ukraine kommt, ist ein anerkannter Kriegsflüchtling und hat Anspruch auf die volle Gesundheitsversorgung. Sämtliche Kosten werden übernommen, die Einrichtungen müssen es nur möglicherweise vorfinanzieren.

Die Vermittlung kann schnell gehen – innerhalb ein paar Stunden, oder?

Platen: Teilweise noch schneller, oft auch nachts.

Wie geht es den Menschen bei der Ankunft?

Platen: Was mich fasziniert hat, ist die Dankbarkeit. Die Leute sind überglücklich, dass ihnen geholfen wird. Das bestärkt uns, weiterzumachen – trotz der Rückschläge aus der Politik.

Hilfe für Flüchtlinge

Das Bildwörterbuch für Geflüchtete

Unser Wörterbuch erklärt in acht Sprachen wichtige medizinische Begriffe anhand von Bildern und Piktogrammen – jetzt auch in Ukrainisch und Russisch. Hier geht‘s zum Download. zum Artikel

Welche Rückschläge?

Zeien: Wir hätten eine viel größere Frequenz, wenn wir durch die Länder- und Bundesebene unterstützt würden. Deshalb ist unser Bestreben, hier Unterstützung zu erhalten.

Platen: Die Politik hat uns indirekt dazu aufgefordert, keine größeren kontrollierten Transporte mehr nach Deutschland zu machen oder nur in Abstimmung mit den Landratsämtern, weil der Bedarf hier schon extrem hoch ist. Wir machen deshalb nur noch individuelle Transporte und kümmern uns auch um geflüchtete Pflegebedürftige in Moldau oder vermitteln Pflegeplätze hier in Deutschland.

Hätten Sie sich von der Politik mehr erwartet?

Platen: Ich bin einfach enttäuscht. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir auf diese zweite Flüchtlingswelle so schlecht vorbereitet sind. In einer Einrichtung haben wir Menschen untergebracht, die sonst gestorben wären. Die Pflegekräfte wollten kostenfrei Überstunden machen. Am nächsten Tag kam die Heimaufsicht und hat die Fachkraft-Quote in Frage gestellt.

Ähnelt die Situation der Fluchtwelle 2015/2016?

Zeien: Bei uns kommen jetzt viel mehr Menschen mit Handicap an. Die, die es bis zur polnischen Grenze schaffen, hätten die Landfluchtwege damals nicht geschafft. Bedauerlicherweise wurde die Zeit seit 2015 in Deutschland nicht genutzt, um eine Struktur für Flüchtlingsströme zu schaffen. Erst recht nicht für Menschen mit Handicap.

Wie können Privatpersonen helfen? Am besten über Spenden?

Platen: Wir freuen uns über jede Spende, aber das Wichtigste ist nicht Geld. Es kommt auf die Integration der Menschen vor Ort an. Jeder, der privat helfen möchte, soll sich bei uns melden. Die Einrichtungen brauchen Hilfe bei der täglichen Mehrarbeit. Auch Wohnraum ist wichtig, wenn jemand ein Gästezimmer frei hat.

Was ist mit der Sprachbarriere?

Zeien: Man kann sich kostenfrei die AnDeinerSeite-App herunterladen, die automatisiert übersetzt. So kann man sich unterhalten. Stellen Sie sich bitte vor, Sie kommen aus einem Kriegsgebiet in ein fremdes Land. Eine Person zu haben, die einfach da ist und zuhört, das ist etwas sehr Wertvolles.

Verbandszeug, Inkontinenzmaterial, Hilfsmittel: Soll man dies den Pflegeheimen in Deutschland spenden?

Platen: An Pflegeeinrichtungen in Deutschland würde ich das nicht spenden. Anders sieht es bei Dingen des täglichen Bedarfs aus: Kleidung, Kosmetik, Hygieneartikel – das macht durchaus Sinn, denn das wird nicht von den Sozialträgern übernommen. Hilfsgüter in größeren Mengen können wir mit ukrainischen LKW ins Land bringen.

Welche Bilanz ziehen Sie für #health4ukraine?

Zeien: In der ersten Woche konnten wir 216 Frauen mit 200 Kindern dabei unterstützen, stationär oder privat in Deutschland unterzukommen. Wir konnten 119 Menschen in der ersten Woche beim Transport nach Deutschland helfen. In der zweiten Woche waren wir bei über 700 Menschen und sind inzwischen bei 1.600 Menschen, die wir unterstützen konnten. Das war im Vorfeld nicht vorstellbar. Beeindruckend ist für uns, wie viele Menschen uns unterstützt haben. Viele kennen wir bis heute nicht persönlich. Das zeigt, wie groß die Macht der Netzwerke ist. Das Wichtige dabei ist: einfach tun.

Ist Ihre Arbeit jetzt vorbei?

Platen: Im Gegenteil. Auch, wenn eine erste Flüchtlingswelle zu Teilen abgeflaut ist: Der Bedarf ist immens und wird über die nächsten Wochen und Monate so bleiben. In der Ukraine wird die Situation immer schlimmer. Es werden jetzt viele Menschen zu uns kommen, die länger für die Flucht brauchen. Wir dürfen da nicht nachlassen. Die wahre Flüchtlingswelle kommt jetzt noch.

Lesen Sie auch: