In vier Schritten gegen Panikattacken
"In Deutschland erlebt jeder Fünfte einmal im Leben eine Panikattacke, bei knapp vier Prozent entwickelt sich eine Panikstörung", sagt Professor Andreas Ströhle. Der Psychiater leitet die Arbeitsgruppe Angsterkrankungen an der Charité in Berlin. Bei einer Panikstörung kehrt die Angst immer wieder zurück. Entweder einfach so, scheinbar aus dem Nichts, oder in bestimmten Situationen. Plätze mit vielen Menschen oder volle Kaufhäuser sind typische Auslöser. Je ausgeprägter die Krankheit, desto mehr bestimmt sie den Alltag der Betroffenen.
Panik ist extrem: Jeder Herzschlag ist spürbar, mitunter schmerzhaft. Man schwitzt, zittert, hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Angst, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, wallt hoch. Die Angst, verrückt zu werden, kommt hinzu, weil alles um einen herum unwirklich wird. Man will davonlaufen – was nicht geht, weil die Angst mitläuft. Und alles gipfelt in der Angst zu sterben. Was aber nicht geschieht.
Panikattacke klingt nach einer halben Stunde ab
"Eine Panikattacke ist im Grunde harmlos", sagt Professor Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Uniklinikum Mainz. Und sie geht auch wieder vorbei. In den ersten zehn Minuten erreicht die Attacke in der Regel ihren Höhepunkt, nach etwa einer halben Stunde ist sie abgeklungen. Länger könnte unser Körper den extremen Zustand gar nicht aufrechterhalten.
Evolutionär betrachtet, ist die Alarmreaktion sogar gesund. Sie soll uns auf Gefahr aufmerksam machen und uns – je nachdem, wie wir die Situation einschätzen – zu Flucht oder Kampf verhelfen. Unsere Aufmerksamkeit ist erhöht. Der Körper schüttet das Stresshormon Adrenalin aus, stellt die Gefäße eng, pumpt mehr Blut durch die Adern und bereitet die Muskeln darauf vor, dass sie demnächst arbeiten müssen.
Symptome einer Angststörung
Wenn uns heutzutage Panik erfasst, obwohl wir nicht in freier Wildbahn einem Tiger gegenüberstehen, dann liegt das "an einem Bündel von Risikofaktoren und möglichen Ursachen", sagt Experte Beutel. So kann die Veranlagung für eine generalisierte Angststörung vererbt werden. Inzwischen weiß man zudem, dass übermäßiger Alkoholkonsum und psychoaktive Substanzen wie Cannabis oder Stimulanzien wie Kokain die Attacken begünstigen. Und schließlich spielen Krankheitsereignisse, etwa Herzinfarkte, ebenfalls eine Rolle.
Vor allem aber ist es auch eine Frage der Persönlichkeitsstruktur, wie anfällig ein Mensch für Panikattacken ist. Hat er generell Vertrauen in das Leben und in sich selbst? Wie gut kann jemand mit Ängsten umgehen, sie einordnen und verarbeiten? Hat er eine Strategie, um mit Stress fertigzuwerden? Erkennt er überhaupt selbst, dass er in einer stressigen, emotional schwierigen Situation steckt? Vieles davon wird bereits in der Kindheit anerzogen und erlernt. Wer überbehütet wurde, hat es schwerer. Sätze wie "Kind, leg dich ins Bett und kurier dich aus, damit du nicht noch kränker wirst", wenn die Nase ein bisschen läuft, helfen nicht, das Vertrauen in die Widerstandskraft des eigenen Körpers zu stärken.
Stress überfordert das Gehirn
"Doch auch wer emotional vernachlässigt wurde und nicht genug Unterstützung und Geborgenheit bekam, hat ein erhöhtes Risiko für Angsterkrankungen", so Beutel. Wir brauchen die Sicherheit, dass wir uns bei Gefahr an unsere Bindungspersonen wenden können. Dass uns schon jemand helfen und sich um uns kümmern wird. Diese Art Vertrauen macht gelassen.
Bahn bricht sich die Panik nämlich oft in schwierigen Lebenssituationen, in denen das Stressniveau hoch ist. "Wenn ich mit vielen Dingen extrem beschäftigt bin, ist das Gehirn irgendwann überfordert und hat weniger Ressourcen, um das Furchtnetzwerk richtig zu steuern", erläutert Psychiater Andreas Ströhle.
Jeder reagiert auf Panik anders
Welche dieser möglichen Faktoren zusammenkommen müssen, damit jemanden die Panik überfällt, ist individuell verschieden – genau wie die Art und Weise, wie Betroffene mit dem Erlebnis umgehen.
Den einen ereilt die Attacke abends auf dem Sofa vor dem Fernsehgerät. Scheinbar aus dem Nichts. Dennoch geht er das Ganze rational an, vereinbart am nächsten Tag einen Termin beim Hausarzt. Er will abklären lassen, ob mit seinen Organen alles okay ist. Alle Befunde sind unauffällig. Das genügt ihm, um den Vorfall als für sein weiteres Leben bedeutungslos abzuhaken.
Andere lässt die Angst nicht los, auch wenn die Panikattacke schon länger zurückliegt. Die Furcht hat sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie grübeln, gehen das Erlebte immer wieder durch. Malen sich alle möglichen Krankheiten aus, die sie haben könnten.
Betroffene geraten häufig in eine Spirale, bei der sie Angst vor der Angst entwickeln. Wer etwa in der U-Bahn eine Panikattacke hat, meidet vielleicht in Zukunft Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Hat ihn die Furcht im Fahrstuhl ereilt, nimmt er ab sofort Treppen. Das ist eine normale Reaktion, fördert aber, dass sich die Problematik verfestigt. Der Betroffene lässt sich womöglich von seiner Angst leiten.
Frühe Hilfe lohnt sich
Weil die Symptome einer Panikattacke relativ unspezifisch sind und weil die Patienten selbst häufig nicht zulassen können, dass Stress, verdrängte Konflikte oder Gefühle sie quälen, dauert es oft mehrere Jahre, bis die Diagnose Panikstörung gestellt wird. Dann lässt sich die Krankheit aber relativ gut behandeln.
Eine Therapie, in der sich die Patienten ihrer Angst stellen und herausfinden, was genau sie stresst, kann Erfolge erzielen. "In etwa 80 Prozent der Fälle funktioniert das", sagt Ströhle. Je früher man damit beginnt, desto besser die Heilungschancen. Ist die Angsterkrankung stark ausgeprägt oder kommen Probleme wie Depressionen hinzu, setzen Ärzte zusätzlich Psychopharmaka ein. Diese Medikamente können das vermehrt aktivierte Furchtnetzwerk im Gehirn regulieren.