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Der Anteil derer, die insgesamt (eher) wenig Vertrauen in die Bundesregierung haben, ist seit April von 25% auf aktuell 39 % gestiegen. Wo wurde Vertrauen verspielt? Wie lässt sich Vertrauen zurückgewinnen? Der Heidelberger Sozialpsychologe Florian Kutzner und die Risikoforscherin Odette Wegwarth vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin geben Antworten:

Wenn in Sachsen - einem Bundesland, in dem sich derzeit besonders viele Menschen mit dem Corona-Virus anstecken – die Leute trotz Lockdown weiterhin viel in der Öffentlichkeit unterwegs sind, wirft das Fragen auf. Haben die Bürger die Maßnahmen verstanden? Und wenn ja: Wieso ändern sie ihr Verhalten dann so wenig?

Oder nehmen wir die Corona-Impfung, die ja als wichtiger Baustein bei der Bewältigung der Pandemie gilt. In dem Maß, indem ihre Verfügbarkeit näher rückt, desto mehr Menschen kündigen an, sich nicht impfen lassen zu wollen.

Die Krisenkommunikation ist verbesserungswürdig

"Menschen tun auf Dauer nur, wovon sie wirklich überzeugt sind", sagt der Heidelberger Sozialpsychologe Florian Kutzner. Um das zu erreichen, sei es für Politiker der einzige Weg, sich ihr Vertrauen zu verdienen. Kutzners Fazit nach einem Dreivierteljahr Umgang mit der Corona-Pandemie: "Vor allem bei der Kommunikation hätte man vieles besser machen können." Damit meine er nicht etwa, rhetorisch geschickter zu formulieren, stellt der Kutzner klar. Vielmehr gehe es für Politiker darum, die Bedenken der Bürger ernst zu nehmen und auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Dr. Florian Kutzner ist Sozialpsychologe an der Universität Heidelberg

Dr. Florian Kutzner ist Sozialpsychologe an der Universität Heidelberg

Beispiel Corona-Impfung: So lange der Impfstoff in weiter Ferne war, hat man sich kaum Gedanken darüber gemacht. Jetzt, wo die Impfung quasi vor der Haustüre steht, tauchen plötzlich – berechtigte – Fragen und Bedenken auf: Sind Geimpfte unter Umständen immer noch ansteckend? Kann der Impfstoff die Erkrankung zwar verhindern, aber möglicherweise nicht vor Ansteckung schützen? Und: Wie sicher ist er?

"Wo eine Politik bislang einseitig kommuniziert hat, wo Pharmakonzerne in den Himmel gelobt und die Impfung zur Wunderwaffe deklariert wurden, droht die Verunsicherung besonders groß zu sein", sagt Florian Kutzner. Ganz einfach, weil Vertrauen verspielt wurde. Medien, die kritische Aspekte aufgreifen, sind eine beinahe logische Konsequenz. "Wer die Argumente der Gegenseite entkräften will, muss dies frühzeitig selbst tun", weiß der Sozialpsychologe. Im anderen Fall riskiere er, das Vertrauen der Menschen zu verlieren.

"Menschen wollen ernst genommen werden"

Am Beispiel der Maßnahmen in der Gastronomie hat sich dies eindrücklich gezeigt. Die Gastwirte bekamen Möglichkeiten aufgezeigt, von denen sie aber nur kurzfristig etwas hatten: aufgestellte Glaswände und Desinfektionsspender, auseinandergerückte Tische? Trotz eines häufig enormen Aufwands mussten die Lokale wieder geschlossen werden. So etwas schafft Frust.

Wären nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die bestehenden Unsicherheiten angesprochen worden, wäre vermutlich so manches anders gelaufen. Einige Gastronomen hätten nach dem ersten Lockdown womöglich gar nicht erst wieder aufgesperrt. So manch einem dürfte dies unterm Strich dennoch besser gefallen haben als das, was tatsächlich passiert ist, konstatiert Kutzner: "Menschen wollen sich ernst genommen fühlen und selbst entscheiden können."

Dass ein wachsender Teil der Bevölkerung durch die derzeitige Kommunikation der Politik nicht mehr erreicht wird, erklärt der Psychologe mit Kommunikationsmustern, die solchen "auf Augenhöhe" konträr sind. Lob fällt darunter. Da ist der Politiker, der den Menschen in seinen Reden für ihr Verständnis und ihr vernünftiges Verhalten dankt.

"Die Bundeskanzlerin hat dies zu Beginn der Pandemie oft getan", so der Wissenschaftler. Langfristig sei dieses Muster wenig zielführend. "Wer lobt, bewertet. Das bringt die Angesprochenen in eine untergeordnete Position." Fast so, als würde ein Erwachsener zu ihnen sprechen, als seien sie ein Kind.

Ebenso schädlich wie der Appell ans "Brav-Sein": Das Drohen mit Strafe. Auch dabei fühlten sich die Angesprochenen nicht behandelt wie mündige Bürger. Oft würden die Regeln im Folgenden nur dann beachtet, wenn im anderen Fall Sanktionen drohen. Sprich: Wo man glaubt, nicht erwischt zu werden, schafft man sich Spielräume.

Auch über Unsicherheiten muss gesprochen werden

Eine gelungene Kommunikation beinhaltet für den Sozialpsychologen Kutzner, dass die Akteure erklären, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen werden. Und dass immer wieder ehrlich gesagt wird: Dieses hat bislang gut funktioniert, jenes nicht so.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin haben sich angesehen, wie es in der Bevölkerung ankommt, wenn wissenschaftliche Unsicherheiten zur Corona-Pandemie offen kommuniziert werden. "Politiker und Gesundheitsexperten scheuen davor manchmal zurück, weil sie fürchten, dass dies zu Misstrauen führen könnte", sagt die Risikoforscherin Odette Wegwarth. "Wenn man aber vorgibt, dass eine Prognose zum weiteren Verlauf der Pandemie absolut sicher sei, riskiert man das Vertrauen der Bürger, wenn die Vorhersagen dann doch so nicht eintreffen."

Unter Wegwarths Leitung hat ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts und der Berliner Charité in einer repräsentativen Online-Umfrage über zweitausend Bürger befragt. Die Teilnehmer bekamen vier verschiedene Versionen des weiteren Pandemie-Verlaufs präsentiert. Die Varianten reichten von festen Angaben bei Infizierten- und Todeszahlen bis hin zum Nennen möglicher Spannen.

Die "zahlenfixierten" Versionen standen dabei weitgehend für sich. Dagegen wiesen jene, die auf feste Größen verzichteten, zusätzlich darauf hin, dass das Vorhergesagte möglicherweise, aber nicht sicher eintreten würde. Die beobachteten Unterschiede könnten auch mit zufälligen Schwankungen zusammenhängen, hieß es beispielsweise. Abgeschlossen wurde jede Version mit demselben Appell: vorbeugende Maßnahmen wie das Tragen von Masken weiter fortzuführen.

Prof. Odette Wegwarth ist Risikoforscherin am Max-Planck-Institut

Prof. Odette Wegwarth ist Risikoforscherin am Max-Planck-Institut

"Welche der vier Versionen halten Sie für am geeignetsten, um die Bevölkerung künftig über den Pandemie-Verlauf zu informieren?" wurden die Probanden gefragt. Als Antwort wählte die größte Gruppe (32 Prozent) das Format, das wissenschaftliche Unsicherheiten am deutlichsten dargestellt hatte. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (54 Prozent) zog die Formate, die Unsicherheit transportierten, den anderen vor. Am schlechtesten schnitt die Version ab, die wissenschaftliche Unsicherheit unerwähnt ließ: Diese überzeugte nur 21 Prozent der Befragten.

Eigentlich sind Unsicherheiten eher unbeliebt

"Auffallend ist, dass besonders die Menschen, die die gegenwärtigen Maßnahmen kritisch sehen, eher bereit zu sein scheinen, diese mitzutragen, wenn Politik und Fachleute wissenschaftliche Unsicherheit klar benennen", sagt Studienleiterin Wegwarth. Mit einer Frage war auch die Haltung zu den gegenwärtigen Maßnahmen abgefragt worden. Die Koginitionspsychologin zeigt sich über die Ergebnisse selbst ein Stück weit überrascht: "Aus anderen wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass Menschen die Kommunikation von Unsicherheit eigentlich nicht so mögen."

In einer Zeit, in der die Unsicherheiten des Lebens wie jetzt bei der Corona-Pandemie überdeutlich zutage treten, ändere sich dies aber offenkundig. Aus Sicht der Forscherin sollten Regierung und Medien daher den Mut haben, vorhandene Unsicherheiten klar zu benennen.

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Vor allem, wenn Abwägungen getroffen werden, sollte dies für Florian Kutzner dabei stets deutlich kommuniziert sein. Bei der Frage, ob die Schulen geöffnet bleiben oder schließen, wäre es beispielsweise eine Abwägung zwischen Infektionsrisiken, wirtschaftliche Interessen, Bildungseinbußen und drohender häuslicher Gewalt. Wenn die Schulen mit Beginn der Pandemie kurzerhand geschlossen werden und wenig später zu hören ist, Schulen seien kein Pandemietreiber, irritiert das natürlich.

"Wenn ich als Vater schulpflichtiger Kinder dann ernst nehme, was mir noch im Oktober gesagt wurde, fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, wieso im Dezember wieder alles dicht macht", erläutert Kutzner seine persönliche Sicht. Zumal wenn immer wieder nur stark vereinfachte Erklärungen geliefert würden.

Transparenz ist wichtiger denn je

Hintergrund einer in den vergangenen Monaten vielfach unglücklich gelaufenen Kommunikation ist für den Wissenschaftler etwas, was er "politischen Instinkt" nennt: Politiker wollten reflexartig Wissen für sich behalten. "Verständlich, denn so behält man die Interpretationshoheit."

In einer Situation wie der derzeitigen, in der viel Verunsicherung herrscht und nicht nur die Mehrheit, sondern alle Bürger kooperieren müssen, rächt sich der Reflex allerdings. Ein Teil der Menschen fühlt sich nicht mehr mitgenommen. Sie verlieren an Vertrauen, haben im schlimmsten Fall sogar den Eindruck, ihnen würde etwas verschwiegen.

Nie war Transparenz hinsichtlich der Entscheidungsprozesse so wichtig wie in diesen Tagen, fasst Florian Kutzner zusammen. "Ich entscheide für euch" – das ist das Gegenteil davon. Genau das geschehe aber, wenn etwa die gegenwärtige öffentliche Diskussionskultur von Politikern als problematisch dargestellt würde. Dieser unlängst eröffnete Diskurs gehe "gar nicht".

Wie könnte man es besser machen? "Indem man als Politiker zum Beispiel in Interviews die Chance ergreift, die sich einem bietet." Noch vor wenigen Wochen hätte er vor Hysterie gewarnt, konfrontierte eine Nachrichtensprecherin unlängst den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) mit seinen eigenen Äußerungen. Wie er das denn zwischenzeitlich sehe. "Wenn ein Ministerpräsident dann in Allgemeinplätzen antwortet und eine schwierige Lage beschreibt, statt Fehler einzugestehen und seine Entscheidungen zu erklären, hat er die Chance jedenfalls nicht ergriffen", sagt Florian Kutzner.

Der Bundeskanzlerin hingegen spricht er ein Lob aus. Deren letzte Ansprache im Bundestag hätte authentisch gewirkt. "Angela Merkel hat über sich geredet, darüber, wofür sie eintritt und was sie persönlich für wichtig hält." Sie habe damit vielleicht ein Stück Macher-Macht-Image verloren, dafür aber Entscheidendes gewonnen: Ebenbürtigkeit. Und damit: Vertrauen.