Schluss mit peinlich: So gehen Sie offen mit Diabetes um
Schämen Sie sich manchmal, weil Sie Diabetes haben? Die Frage erscheint absurd. Wa- rum sollte man sich für eine Krankheit schämen? „Leider ist Diabetes bei einigen Betroffenen tatsächlich mit Scham und Schuldgefühlen verbunden“, beobachtet die Hamburger Psychotherapeutin Dr. Sandra Kamping, die in ihrer Praxis schwerpunktmäßig Menschen mit Diabetes begleitet. Warum ist das so? In welchen Situationen plagen uns unangenehme Gefühle? Und wie können wir uns wieder frei davon machen? Wir haben Diabetes-Profis um Rat gefragt.
Der Besuch beim Arzt fühlt sich an wie eine Beichte
Wieder die Zielwerte nicht erreicht? Wieder nicht abgenommen? Der Besuch in der Hausarztpraxis oder der Termin beim Diabetologen ist oft ein hochsensibles Thema. Besonders für Menschen mit Diabetes Typ 2, die schon öfter mal gehört haben, dass sie ja „nur abnehmen“ müssten, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen. „Gerade bei Frauen erlebe ich oft, dass sie sich rechtfertigen“, sagt Dr. Christian Klepzig, Facharzt für Allgemeinmedizin und Diabetologe aus Rodgau.
Doch dafür gibt es gar keinen Grund. Diabetes-Management ist anstrengend. Abnehmen ist schwer. Das zu akzeptieren hilft, besser mit der Krankheit zu leben. Richten Sie den Blick nach vorn! „Meine Aufgabe als Arzt ist es, gemeinsam mit den Patienten nach Ursachen zu suchen, warum die Therapieziele nicht erreicht wurden“, so Klepzig. „Danach können wir gemeinsam Lösungen überlegen.“ Hierzu brauche es auf Patientenseite aber auch Offenheit und Ehrlichkeit – zu sich selbst. „Nur dann kann ich als Arzt wirklich helfen.“
Es ist mir peinlich, meiner neuenPartnerin von meiner Krankheit zu erzählen
Natürlich ist es keine gute Idee, den Diabetes zu verschweigen. Die Krankheit ist ja nun mal ein Teil von Ihnen und nimmt in Ihrem Alltag viel Platz ein. „Allzu hoch hängen nach dem Motto ‚Du, Schatz, wir müssen reden!‘ würde ich das Thema zu Beginn einer neuen Beziehung jedoch nicht“, rät Psychotherapeutin Sandra Kamping. Vielleicht lieber das Thema erst einmal beiläufig ansprechen. Nach dem Motto: „Bevor wir spazieren gehen, esse ich noch schnell eine Banane, weil mein Blutzucker sonst zu niedrig ist.“ So ergeben sich Fragen, es kann sich ein Gespräch entspinnen, ohne dass es allzu verkrampft und peinlich wird.
Auf einer Party unterzuckere ich plötzlich und benötige Unterstützung. Alle starren mich an, ich fühle mich sehr unwohl.
Es ist nachvollziehbar, dass es Ihnen peinlich ist, wenn Sie auf einer Party eine Unterzuckerung haben und meinen, alle Blicke würden sich auf Sie richten. „Dieses Gefühl ist da und es ist unangenehm. Akzeptieren Sie das“, rät Kamping. „Machen Sie sich auch klar, dass es nur ein Gefühl ist und dieses nicht die Realität abbildet.“
Studien zeigen nämlich, dass wir maßlos überschätzen, wie viel Zeit andere damit verbringen, über uns nachzudenken. „Menschen haben gar nicht die geistigen Kapazitäten, sich so viele Gedanken über andere zu machen“, so Kamping weiter. „Sie sind viel zu sehr mit sich beschäftigt.“ Vielleicht ist es auf der Party jemandem aufgefallen, dass es Ihnen nicht gut geht – mehr aber nicht. Kümmern Sie sich also in aller Ruhe um Ihren Blutzucker. Falls Sie Hilfe benötigen, bitten Sie um Unterstützung.
Ich fühle mich schuldig, weil ich zu dick bin
„Iss doch einfach weniger, dann nimmst du ab.“ Wie reagiert man auf solch einen platten Spruch? „Wenn einem die Person wichtig ist, kann man ihr den Rat geben, sich näher über die Krankheit zu informieren“, rät Psychologin Kamping. Mit Übergewicht zu kämpfen ist Teil einer Diabetes-Typ-2-Erkrankung und keine Frage von Schuld oder mangelnder Willensstärke.
Leider sind selbst Ärzte und Ärztinnen nicht immer sensibilisiert für das Problem. Falls Ihnen mal wieder ein Arzt mit dem Spruch „Nehmen Sie 20 Kilo ab und Ihre Probleme sind gelöst“ kommt, empfiehlt Diabetologe Klepzig einen Konter: „Sie haben doch bestimmt ein gutes Konzept fürs Abnehmen – mein Diabetologe sucht noch immer danach.“
Ich geniere mich beim Kuchenessen
Ein Treffen mit Freunden im Café. Sich jetzt ein schönes Stückchen Torte gönnen? Oder denken die Freunde dann: „Wer so fett ist, sollte sich echt zurückhalten“? Mal ehrlich: Würden Sie so über eine Freundin denken? Sicher nicht. Und Ihr Freundeskreis tut das vermutlich auch nicht. Psychologin Kamping rät: „Machen Sie Ihre Gefühle zum Thema und sprechen Sie Ihre Sorge offen an.“
Piepst meine Insulinpumpe für alle hörbar, würde ich gern im Erdboden versinken
Egal ob im Bus, im vollen Kinosaal oder in der Uni: Wenn die Insulinpumpe oder der Glukosesensor Alarm schlagen, fühlt man sich schnell ertappt. Vor allem ist es superpeinlich. Oder? Nicht selten stellen Betroffene aus diesen Gründen ihre Alarme auf „stumm“. Das kann jedoch gefährlich werden – etwa wenn Unterzuckerungen zu spät bemerkt werden. Also mal ehrlich: Warum sollte es peinlich sein, dass der „Lebensretter“ vor einer bedrohlichen Situation warnt? Welchen Sinn sollte es haben, den Diabetes vor anderen Menschen zu verstecken?
Im Zweifel können andere viel besser helfen, wenn sie mehr darüber wissen. Diabetologe Christian Klepzig rät Menschen mit Typ-1-Diabetes zu „Auffrischungsschulungen“, in denen es weniger um Wissensvermittlung geht als eher darum, wie man in bestimmten Situationen reagieren kann: Was mache ich, wenn ich blöd angeguckt werde? Wie reagiere ich, falls jemand meckert, weil ich mitten in der Vorlesung anfange zu essen und zu trinken?
Klepzig rät: „Gehen Sie in die Offensive, entschuldigen Sie sich nicht und sagen Sie klar, was Sache ist.“ Denken Sie daran: Jeder kann mal in eine peinliche Situation kommen – egal, ob man Diabetes hat oder nicht.
Quellen:
- Ärzteblatt/Klepzig: Patienten mit Typ 2 Diabetes plagen oft Schuldgefühle. In: Ärzteblatt 15.08.2016, 10: 10