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Herr Professor Schaade, seit Kurzem sind Sie Präsident des Robert Koch-Instituts. Welche Reformen planen Sie?

Zunächst werden wir Zuständigkeiten an das Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin, kurz Bipam, abgeben müssen. Dahin wird ein Teil des Robert Koch-Instituts verlagert. Wir werden das neue Institut im Aufbau unterstützen. Dabei wird auch ein Teil der Mitarbeitenden aus dem RKI in das neue Institut wechseln.

Und was wollen Sie beim RKI verändern?

Wir werden wichtige Weichenstellungen für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten weiter voranbringen. Hier möchte ich den Ausbau der sogenannten genomischen Surveillance (Überwachung) nennen, bei der die Verbreitung und Veränderung der Erbgut-Eigenschaften wichtiger Krankheitserreger verfolgt wird. Ein weiteres Beispiel: Wir wollen die Analyse der krank machenden Erreger-Eigenschaften im Labor verbessern.

Das Bipam soll im Jahr 2025 seine Arbeit aufnehmen. Warum brauchen wir diese Einrichtung?

Das Bipam soll die Prävention im Bereich der nicht übertragbaren Krankheiten übernehmen: Es wird Daten zum Beispiel zu Krebserkrankungen, Adipositas und Diabetes zusammentragen, selbst erheben und auswerten. Diese Aufgabe lag bislang beim RKI. Darüber hinaus soll das Bipam Kampagnen und weitere Aktivitäten zur Prävention dieser Erkrankungen organisieren.

Für Letzteres war bisher die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zuständig. Wieso diese Veränderung?

Es ist eine politische Entscheidung, diesen Bereich nun neu zu organisieren. Das ­Robert Koch-Institut hatte bislang kein Mandat, Präventionsmaßnahmen für nicht übertragbare Krankheiten direkt zu empfehlen oder gar umzusetzen. Insofern kann ich nachvollziehen, dass die Zuständigkeiten nun in einem neuen Institut zusammengefasst werden.

Lars Schaade ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie

Lars Schaade ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie

Ihr Vorgänger, Prof. Dr. Lothar Wieler, hat sich in der Pandemie regelmäßig direkt ans Volk gewandt. Mit Appellen, Ermahnungen und Bitten, Empfehlungen auch einzuhalten. Werden Sie als RKI-Präsident das nun übernehmen, sollte sich die Corona-Lage erneut zuspitzen?

Das RKI sammelt weiterhin Daten, wertet sie aus und gibt dann eine Einschätzung der Lage ab. Die Ergebnisse wird es der Presse mitteilen und bei Bedarf beispielsweise dazu raten, Kontakte zu meiden. Das ist zunächst einmal eine wissenschaftliche Botschaft. Doch es wird die Aufgabe des Bipam sein, die auf die Bevölkerung zu­geschnittene Kommunikation zu übernehmen – mit dem Ziel, das Verhalten in diese Richtung positiv zu beeinflussen. Denn das Bipam nennt sich ja „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“. Damit ist es auch für die Bürgerinformation im Bereich der Infektionskrankheiten zuständig, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch schon.

Was unternimmt das RKI, damit wir besser gerüstet sind, wenn wir die nächste Pandemie bewältigen müssen?

Das RKI hat beispielsweise die Weiterentwicklung des elektronischen Meldesystems für Infektionskrankheiten vorangetrieben. Das existierte schon vor Covid-19. Aber Ärztinnen und Ärzte waren noch nicht daran angebunden. Mittlerweile sind fast alle Krankenhäuser und Labore in Deutschland an das elektronische Meldesystem angeschlossen. Und jetzt zum Jahreswechsel dürften auch alle Arztpraxen so weit sein.

Die Faxe, mit denen Corona-Infektionen übermittelt wurden, sind also passé?

Ja. Aber ich möchte noch erwähnen, dass die Gesundheitsämter die Meldedaten zu Infektionskrankheiten bereits seit über 20 Jahren elektronisch ans RKI übermitteln, Faxe gab es nur auf dem Weg von Arzt oder Labor zum Gesundheitsamt. Meldesysteme haben auch immer eine Untererfassung. Die Menschen gehen nicht unbedingt zur Ärztin oder zum Arzt. Es wird auch nicht immer eine Laboruntersuchung veranlasst, das muss es auch nicht.

Und warum nicht?

Das RKI betreibt schon seit vielen Jahren weitere Überwachungssysteme, die unabhängig von der Testhäufigkeit sind. Dazu zählt zum Beispiel GrippeWeb, bei dem übrigens jede Bürgerin und jeder Bürger teilnehmen kann. Außerdem brauchen wir zusätzlich noch Querschnitts-Untersuchungen an einer repräsentativen Gruppe der Bevölkerung. Ein solches Panel soll in den nächsten Monaten an den Start gehen. Wir wollen dafür zunächst 30 000 Freiwillige gewinnen, die wir regelmäßig befragen und untersuchen. So finden wir heraus, wie häufig ein bestimmter Erreger in der Bevölkerung vorkommt. Dafür können uns die Teilnehmenden beispielsweise sogenannte Trockenblutproben zuschicken, und wir analysieren diese im Labor.

Dr. Achim Schneider (links), Leiter des Medizin-Ressorts bei der Apotheken Umschau, im Gespräch mit dem RKI-Präsidenten

Dr. Achim Schneider (links), Leiter des Medizin-Ressorts bei der Apotheken Umschau, im Gespräch mit dem RKI-Präsidenten

Zur Überwachung akuter Atemwegserkrankungen nutzen Sie also weiterhin die lange etablierten Systeme. Und Corona reiht sich nun darin ein?

So ist es. Für Corona haben wir jetzt noch zusätzlich die Überwachung des Abwassers. Aktuell umfasst sie die Analyse von Proben aus mehr als 120 Kläranlagen. Damit können wir die Dynamik der Coronaviren frühzeitig verfolgen. Doch eine Sache möchte ich klarstellen. Wir brauchen weiterhin auch die Meldepflicht für labordiagnostisch bestätigte Infektionen: Darüber werden uns wichtige Informationen etwa zu Alter, Geschlecht oder Impfstatus übermittelt. Und wenn es zum Beispiel in einem Altenheim oder Krankenhaus zum Ausbruch kommt, kann das Gesundheitsamt dort gezielt Maßnahmen ergreifen.

Alte Menschen tragen ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Wer sonst muss sich jetzt noch vor Corona fürchten?

Personen mit einem geschwächten Immunsystem oder mit Grunderkrankungen haben nach wie vor ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf. Dazu zählen zum Beispiel Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems und der Lunge, sowie Diabetes. Aufpassen sollten auch Menschen, die immununterdrückende Medikamente benötigen, etwa zur Therapie von Rheuma. Und Schwangere tragen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19. Für alle genannten Gruppen ist es besonders wichtig, dass sie gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission geimpft sind.

Die Ständige Impfkommission, kurz Stiko, stand während der Pandemie oft in der Kritik, weil sie angeblich zu langsam, zu schwerfällig arbeitete. Zu Recht?

Die Stiko hat der Bewertung der Covid-19-Impfstoffe während der Pandemie oberste Priorität eingeräumt. Viele Daten kamen aber nur schrittweise und waren nicht sofort verfügbar. Und wenn man eine Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis treffen will, dann muss man die dafür nötige Zeit investieren. Die Stiko-Geschäftsstelle wurde in der Pandemie natürlich durch internes Personal unterstützt. Die Mitarbeiter haben sehr viele Überstunden geleistet und die neuen wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse sehr schnell für die Stiko aufbereitet, das kann man nicht dauerhaft machen. Inzwischen ist die Stiko personell besser ausgestattet, auch mit Modellier-Experten, die für eine moderne Impfkommission inzwischen unverzichtbar sind.

Bei ihrer ersten Corona-Impfempfehlung für Kinder hat sich die Stiko viel Zeit gelassen. Einige Politikerinnen und Politiker fanden das zu zögerlich. Was meinen Sie dazu?

Die Stiko arbeitet evidenzbasiert. Sie hat gewartet, bis ausreichend Daten für Kinder vorlagen. Im Übrigen setzte die Stiko an vielen Stellen Maßstäbe. Es gab im europäischen Raum zwei Impfkommissionen, die für viele andere Länder ein Vorbild waren: die britische und die deutsche. Im Ausland gibt es nicht die Wahrnehmung, dass die Stiko ihre Arbeit schlecht oder zu langsam gemacht hat.