So beugen Sie Reiseübelkeit vor
Übelkeit, Erbrechen und Schwindel, aber auch Schweißausbrüche, Kopfschmerzen oder Benommenheit: Die Symptome der Reisekrankheit – in der Fachsprache Kinetose genannt – sind vielfältig. „Wie die Kinetose genau entsteht, weiß kein Mensch“, sagt Reisemediziner Professor Thomas Küpper von der Uniklinik der RWTH Aachen. Es gibt aber die sogenannte Störsignal-Theorie.
Widersprüchliche Signale der Sinne
Demnach entsteht Reiseübelkeit, weil die Wahrnehmung der Augen nicht mit den Signalen anderer Sinnesorgane zusammenpasst – etwa mit denen des Gleichgewichtsorgans, das im Ohr sitzt. Das kann zum Beispiel auf einem Schiff passieren: Durch den Wellengang bekommt das Gehirn vom Gleichgewichtsorgan das Signal: „Hier ist ordentlich Bewegung“. Gerade unter Deck melden die Augen aber: „Der Raum bewegt sich nicht“.
„Das Gehirn greift alles auf und prüft, ob das Bild stimmig ist oder nicht“, sagt Küpper, Erster Vize-Präsident der Deutschen Fachgesellschaft für Reisemedizin. Auch wenn es sich so anfühlt: „Der Magen ist nicht der Kern des Problems. Aber er muss es ausbaden“, sagt Professor Tomas Jelinek. Der Leiter des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin spricht von einer Kommunikationsstörung im Gehirn. Durch die widersprüchlichen Informationen kommt es zur Überreizung – und damit zu Übelkeit. Und: Die Bereiche im Gehirn, in denen die Infos zusammenlaufen, liegen relativ nah am Brechzentrum.
Übelkeit am häufigsten im Bus
Je nach Verkehrsmittel variiert die Wahrscheinlichkeit, reisekrank zu werden: Beim Busfahren ist sie laut Küpper am höchsten, danach folgen Auto- und Bahnfahren – und zuletzt das Fliegen. Tomas Jelinek vermutet, dass der Blick aus dem Flugzeugfenster soweit weg von der Realität sei, dass man das Gefühl habe, still zu sitzen. Im Gehirn entsteht so weniger Verwirrung. Fliegen geht natürlich nicht immer – und ist auch für den ökologischen Fußabdruck nicht die beste Wahl.
Gut, dass es für alle anderen Verkehrsmittel ein paar Tricks gibt, mit denen die Reiseübelkeit bestenfalls gar nicht erst entsteht. Es beginnt schon bei der Platzwahl. Faustregel hier: Im Auto oder Bus besser vorne sitzen, auf dem Schiff oder im Flieger in der Mitte. Auf einem Schiff bietet es sich sogar an, flach zu liegen. Und wem im Flugzeug schlecht wird, dem rät Küpper, bewusst die Fliegerbewegungen mitzumachen. „Das heißt, mit in die Kurve legen, nicht aufrecht sitzenbleiben. So bleibt das Bild stimmig.“
Bei Autofahrten auf dem Beifahrersitz oder der Rückbank sollte man einen unbewegten Punkt am Horizont fixieren und öfter mal eine Pause an frischer Luft einlegen. Und das Allerwichtigste: nicht aufs Handy gucken oder lesen. „Die Informationen werden noch verwirrender, wenn die Augen Buchstaben oder einem Film folgen. Dann gibt es ein totales Durcheinander“, sagt Tomas Jelinek.
Die Macht der Ablenkung
Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder. Wobei die Kleinen – vor allem zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr – besonders anfällig für Reiseübelkeit sind. „Die Verschaltungen im Gehirn sind noch nicht fertig, dadurch reagiert es noch sensibler auf Informationsprobleme“, sagt Tomas Jelinek. Hinzu kommt, dass der Platz auf dem Rücksitz das Risiko für Reiseübelkeit erhöht. Vor allem Ablenkung durch Spiele kann dann helfen – von „Ich sehe was, was du nicht siehst“ bis hin zu „Wer entdeckt zuerst fünf rote Autos?“.
Erwachsenen hingegen kann es helfen, sich auf Gespräche zu konzentrieren, statt an die Übelkeit zu denken. Thomas Küpper vom Universitätsklinikum Aachen gibt seinen Studierenden stets scherzhaft einen Tipp: Der Flirt mit dem Sitznachbarn oder der Sitznachbarin sei die sicherste Methode, damit einem nicht schlecht werde. Und im Auto bleibt natürlich die Option, auf den Fahrersitz umzuziehen. Denn wer fährt, erlebt meist keine Reiseübelkeit, „weil man sich auf eine Aufgabe konzentrieren muss“, sagt Jelinek.
Medikamente helfen – aber mit Nachteilen
Auch Medikamente können – vorab oder unterwegs – helfen. Ob als Tablette, Lutschpastille, Zäpfchen oder Kaugummi: Viele Präparate setzen auf den Wirkstoff Dimenhydrinat. Er blockiert den Botenstoff im Gehirn, der das Erbrechen auslösen kann. „Der Nachteil ist, dass man müde wird“, erläutert Jelinek. Bei Kindern sollten Produkte mit dem Wirkstoff Dimenhydrinat nur in der geeigneten Dosierung und nach Rücksprache mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin zum Einsatz kommen.
Linderung gibt es auch zum Kleben: Pflaster mit dem Wirkstoff Scopolamin werden häufig von Seglerinnen und Seglern genutzt. Sie sollten jedoch nicht bei Kindern und Älteren angewendet werden. Auch eignen sie sich nicht als Akutbehandlung, da sie mindestens zwölf Stunden vor der Reise aufgeklebt werden müssen. Thomas Küpper warnt: „Auf keinen Fall sollte man damit noch selbst aktiv zum Flughafen fahren, weil sie Sehstörungen hervorrufen können.“
Wer sanftere Methoden bevorzugt, kann Entspannungstechniken wie Yoga ausprobieren oder auch Akupressur-Armbänder. Sie sollen die Übelkeit lindern durch einen permanenten Druck auf den sogenannten Nei-Kuan-Punkt, der drei Fingerbreit unter dem Handgelenk liegt. Laut Jelinek konnten Studien bislang nicht belegen, dass Methoden wie diese tatsächlich funktionieren. „Aber wenn man das Gefühl hat, dass sie helfen, kann man sie natürlich nehmen. Und wenn sie nur vom eigenen Elend ablenken“, meint Jelinek.
Die Übelkeit verabschiedet sich schnell
Es gibt auch Hoffnung. Denn anders als etwa ein Migräne-Anfall mit Übelkeit ist eine Kinetose schnell wieder vorbei. „Wenn Ihnen nur ein bisschen schummerig war, kommen Sie schon eine Viertelstunde nach der Ankunft wieder auf die Füße“, weiß Thomas Küpper. „Wenn es Ihnen richtig schlecht ging, etwa nach einer oder eineinhalb Stunden.“
Übrigens: Vor der Reise gar nichts zu essen, hilft nicht. Statt zu Pommes mit fetter Mayonnaise zu greifen, empfehlen die Reisemediziner allerdings leicht verdauliche Nahrung. Und für Kinder hat Tomas Jelinek noch einen ganz speziellen Tipp: „Eine englische Kollegin rät zu Toast mit Erdbeermarmelade.“ Das verhindere zwar nicht das Übelsein oder gar den Brechreiz, würde im Fall des Falles jedoch weniger unangenehm schmecken.