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Wahrscheinlich drückt jeder mal an einem Pickel herum oder kratzt sich ganz in Gedanken versunken. Ab wann kann das in eine psychische Störung umschlagen, und wie sehen die Folgen aus? Professorin Antje Hunger beschäftigt sich mit diesen Fragen. Die Psychologin und Psychotherapeutin leitet das Fachgebiet Psychosoziale Beratung an der Hochschule Düsseldorf und hat bereits mehrere Arbeiten zur Dermatillomanie veröffentlicht, die neudeutsch auch Skin Picking Störung genannt wird. Diese Störung aus dem Zwangsspektrum veranlasst die Betroffenen, in übertriebenem Maß ihre Haut zu bearbeiten.

Frau Hunger, ab wann spricht man von einer Skin Picking Störung?

Eine psychische Erkrankung liegt vor, wenn man die Kontrolle über das Verhalten verloren hat – in diesem Fall das Knibbeln an der Haut. Wenn es also zum Beispiel häufiger auftritt als gewollt oder länger andauert als beabsichtigt. Oder wenn es zu schweren Hautschäden führt. Zudem leiden die Betroffenen in der Regel sehr stark unter den Folgen des Skin Picking, sowohl körperlich als auch psychisch. Das kann bis zum Selbstekel gehen. Oft fühlen sie sich dadurch deutlich im Alltagsleben beeinträchtigt, also im Beruf, ihren sozialen Beziehungen und im Privatleben.

Welche Ausmaße kann die Skin Picking Störung annehmen?

Betroffene können täglich stundenlang vor dem Spiegel stehen und an der Haut kratzen, zupfen, quetschen oder reiben, vor allem morgens und abends. Es kann genaue Rituale geben, um die Haut möglichst von allen Unreinheiten und Unebenheiten zu befreien. Die entstandenen Hautschäden können zu dauerhaften Vernarbungen der Haut führen.

Worunter leiden Menschen mit Skin Picking Störung am meisten?

Die Betroffenen leiden stark unter den körperlichen Schäden: Es kann zu Verletzungen, Entzündungen und Narben kommen. Und sie leiden an der damit verbundenen Beeinträchtigung der eigenen Attraktivität. Hinzu kommen häufig starke Scham- und Schuldgefühle, weil die Betroffenen selbst nicht verstehen, warum sie immer wieder an der Haut herumnesteln. Und auch andere Menschen im Umfeld reagieren in der Regel sehr ablehnend. Diese negativen Bewertungen führen wie in einem Teufelskreis dazu, dass die Betroffenen erneut knibbeln, um mit dem entstandenen Stress klar zu kommen.

Wie viele Menschen sind von der Skin Picking Störung betroffen?

Noch liegen keine zuverlässigen Zahlen vor, weil das Störungsbild jetzt erst klar definiert wurde. Bisherige Schätzungen sprechen aber dafür, dass etwa 1,5 bis 5 Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten, vermutlich mehr Frauen als Männer. Die Störung beginnt meist in der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter.

Was sind Auslöser für die Krankheit?

Klare Auslöser sind so nicht bekannt. Meistens beginnt die Erkrankung eher schleichend – so wie man sich auch nach und nach angewöhnt, an den Nägeln zu kauen oder zu rauchen. In der Regel dient das Pulen an der Haut als einfacher Mechanismus zur Stressregulierung. Manche der Patienten haben Phasen von massivem Druck erlebt, dem sie nicht mehr standhalten konnten und für den sie eine vorübergehende Lösung zur Stressreduzierung gesucht und gefunden haben. Viele Betroffene haben aber auch nicht grundsätzlich mehr Druck als andere Menschen, jedoch für sich entdeckt, dass das Skin Picking etwas Ruhe und Entspannung im Alltag ermöglicht. Jeder von uns hat da seine ganz eigenen Angewohnheiten, um mit Stress umzugehen. Zum Beispiel ist es heutzutage sehr verbreitet, mit dem Handy zu spielen, um sich ein bisschen abzulenken. Es könnte sein, dass auch eine körperliche Veranlagung dazu besteht, sich mit dem Kratzen an der Haut besonders gut beruhigen zu können. Man kann es aber auch einfach bei anderen beobachtet und nachgeahmt haben.

Wird die Krankheit leicht erkannt, zum Beispiel von Hautärzten?

Vermutlich können Hautärzte recht schnell erkennen, dass die Hautverletzungen nicht direkte Folge einer Hauterkrankung sind, sondern selbstverursacht. Allerdings ist noch zu wenigen Hautärzten bekannt, dass es sich beim Skin Picking um eine ernsthafte psychische Erkrankung handeln kann. Oftmals gehen Hautärzte ebenso wie Angehörige davon aus, dass man das Knibbeln "einfach sein lassen kann". Es fehlt also meistens das Verständnis dafür, dass die Betroffenen verlernt haben, dieses Verhalten willentlich zu kontrollieren. Und dass das Skin Picking bei ihnen eine so wichtige Funktion in der Stressregulierung besitzt, dass sie nicht ohne weiteres darauf verzichten können.

Wie diagnostizieren Experten die Krankheit?

Die Erkrankung ist mittlerweile genau definiert: Das wiederkehrende Bearbeiten der Haut muss zu sichtbaren Schäden führen. Die Betroffenen haben wiederholt erfolglos versucht, damit aufzuhören. Sie leiden sehr stark darunter, dass sie immer wieder an der eigenen Haut knibbeln und fühlen sich dadurch stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Zusätzlich schließt der erfahrene Arzt aus, dass die Symptomatik auf eine andere körperliche oder psychische Erkrankung zurückgeht. Diese diagnostischen Kriterien werden in einem vertraulichen Gespräch mit dem Betroffenen überprüft. Bei kleineren Kindern werden gegebenenfalls die Aussagen der Eltern oder von anderen nahen Bezugspersonen berücksichtigt.

Was können Betroffene selbst dagegen tun? Manche raten, die Hände zu beschäftigen, beispielsweise durch Stricken oder QiGong-Kugeln. Andere empfehlen, das Kratzen durch Peeling zu ersetzen, die Nägel kurz zu schneiden und sich anderen Menschen anzuvertrauen...

Ja, das sind durchaus gute Ideen für einen ersten Schritt. Es geht zunächst einmal darum, eine gute Ersatzbeschäftigung zu finden, die den Druck zum Skin Picking abbaut. In den meisten Fällen müssen zusätzlich noch zugrundeliegende emotionale Probleme und ungünstige Gedanken und Bewertungen abgebaut werden, um das Skin Picking dauerhaft aufgeben zu können. Hier können Selbsthilferatgeber eine gute Unterstützung sein.

Welche Psychotherapie eignet sich zur Behandlung der Skin Picking Störung?

Ich würde eine Kognitive Verhaltenstherapie empfehlen, in der konkret und zielgerichtet an einer Lösung des individuellen Problems gearbeitet wird. Dabei entdecke ich die Bedingungen, die mich immer wieder zum Skin Picking verleiten. Diese lerne ich dann durch Veränderungen im Denken und Verhalten abzubauen. Quasi eine Hilfe zur Selbsthilfe, denn unter Stress kann es immer wieder zu Rückfällen kommen. Ich lerne, sie zunehmend selbstständig in den Griff zu bekommen.

Wie sieht die Verhaltenstherapie im Detail aus?

Zunächst einmal nimmt der Therapeut eine genaue Diagnostik vor, denn jeder Fall ist einzigartig. Es geht darum, die ganz persönlichen Frühwarnzeichen und Risikosituationen herauszufinden. Wenn diese bekannt sind, lassen sich Schutzmaßnahmen und Verhaltensalternativen erarbeiten. Dadurch können die Patienten die Erfahrung machen, dass der scheinbar unwiderstehliche Drang zum Skin Picking doch kontrollierbar ist. Zudem geht es darum, die persönlichen Stressquellen herauszufinden und an diesen zu arbeiten. Für "unnötigen" Stress werden Maßnahmen zum Druckabbau erarbeitet, für "unvermeidlichen" Stress werden hilfreiche Schritte zur Bewältigung erlernt. Nur wer eine gute innere Balance im Leben findet, wird langfristig auf das Skin Picking verzichten können. Deshalb geht es in der Therapie auch darum, die persönlichen Motive und Auslöser zu erkunden und zu bearbeiten. Häufig sind perfektionistische Ziele, zu hohe Erwartungen an sich selbst und andere, aber auch ungelöste emotionale Probleme vorhanden, die immer wieder zum Skin Picking beitragen.

Wie stehen Sie zu Selbsthilfegruppen?

Selbsthilfegruppen können eine gute zusätzliche Unterstützung sein, wenn sich die Gruppe besonders auf die Bewältigung der Erkrankung konzentriert. Also wenn sie sich nicht nur über die bestehenden Probleme austauscht, sondern den Blick auch auf eigene Lösungsmöglichkeiten, soziale Unterstützung und persönliche Stärken richtet.

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