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„Es kann ja nicht schaden“, denken viele, wenn sie zu frei verkäuflichen Vitamin- und Mineralstoffpräparaten greifen. Der Markt boomt: Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung schluckt etwa ein Drittel der Menschen in Deutschland regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel. Vermutlich insbesondere in der kalten Jahreszeit. Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage weiter steigen lassen. Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Mintel greifen 14 Prozent der Befragten nun häufiger zu Nahrungsergänzungsmitteln. Das Unternehmen geht davon aus, dass sich dieser Trend auch nach der Pandemie fortsetzen wird: Für 2025 prognostiziert es einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Euro. Verglichen mit 2020 wäre das eine Steigerung von 13 Prozent. Aber: Brauchen wir diese Mittel wirklich?

Nur ergänzen, wenn es nötig ist

„Wer gesund ist und sich normal ernährt, braucht keine Nahrungsergänzungsmittel“, sagt Donatus Nohr, Professor am Institut für Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim. Er rät zu einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung: „Der Teller muss bunt sein.“ Dann sei man in der Regel auf der sicheren Seite.

Sich ungesund zu ernähren und dazu Vitamintabletten zu schlucken, ist keine Alternative. Die Präparate enthalten nicht alle Stoffe, die für den Körper wichtig sind. Darum sind Hersteller dazu verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis auf der Verpackung abzudrucken, etwa: „Nahrungsergänzungsmittel dürfen nicht als Ersatz für eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung verwendet werden.“

Zweifellos gibt es Situationen, in denen die zusätzliche Einnahme von Vitaminen oder Spurenelementen Sinn ergibt, beispielsweise während der Schwangerschaft. Grundsätzlich sollte aber nur dann etwas zusätzlich zugeführt werden, wenn tatsächlich ein erhöhter Bedarf oder Mangel vorliegt. Ob dem der Fall ist, sollte man stets mit einem Arzt oder eine Ärztin klären.

Vitamine einfach so, quasi auf Verdacht, einzunehmen ist wenig sinnvoll. Zumal Studien darauf hinweisen, dass wohl oft gerade diejenigen zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen, die sich ohnehin eher gesund und ausgewogen ernähren. Nicht selten überschreiten sie damit die Werte, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) jeweils als Tagesdosis empfiehlt. Eine Überdosis an Vitaminen kann aber - entgegen der gängigen Annahme - sehr wohl schädlich sein. Während mit der normalen Ernährung eine Überdosierung fast ausgeschlossen ist, können Vitaminpräparate, die ohne entsprechenden medizinischen Grund eingenommen werden, sich unter Umständen negativ auswirken.

Vorsicht mit Vitamin A und D

Das gilt insbesondere für fettlösliche Vitamine (A, D, E, K). Hat man zu viel davon aufgenommen, können sie - anders als wasserlösliche Vertreter - nicht einfach über Niere und Harn ausgeschieden werden. Die Stoffe reichern sich im Körper an. „In den letzten Jahren gab es einige Fallberichte von Menschen, die eigenmächtig über längere Zeit hoch dosierte Vitamin D-Supplemente eingenommen und sich dadurch einen Nierenschaden zugefügt haben“, berichtet Dr. Anke Weißenborn, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Risikobewertung. Durch übermäßig hohe Vitamin D-Zufuhr erhöht sich der Calcium-Spiegel im Blut. Das belastet die Niere und kann schlimmstenfalls zum Versagen des Organs führen. In weniger drastischen Fällen können Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen oder Erbrechen auftreten.

Laut der Mintel-Umfrage war Vitamin D im Juli 2020 das von den befragten Verbrauchern am meisten zusätzlich zugeführte Vitamin. Gerade in der dunklen Jahreszeit, wo man nicht viel bei Tageslicht nach draußen kommt, haben viele Menschen offenbar Sorge, nicht ausreichend mit dem Vitamin versorgt zu sein, das unser Körper zwar selbst herstellen kann - aber nur mit Hilfe von Sonnenlicht. „Durch zunehmend sitzende Tätigkeiten in geschlossenen Räumen und wenig Bewegung im Freien bilden nicht mehr alle so viel Vitamin D, wie nötig wäre“, räumt Weißenborn ein. Allerdings kann der Körper Vitamin D auch speichern. Wer seine Speicher im Sommer gut füllt, kann im Winter davon zehren. Gefährdet, einen Mangel zu erleiden, sind daher vor allem bestimmte Gruppen. Dazu zählen zum Beispiel Menschen, die bettlägrig sind und nicht mehr an die Sonne kommen oder Senioren, da die Fähigkeit des Körpers, Vitamin D zu bilden mit dem Alter abnimmt.

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Ähnliches gilt für Vitamin A - nur dass hier die Versorgung über die Nahrung besser ist. „Wir sind über unsere normale Kost mehr als ausreichend mit Vitamin A versorgt“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Weißenborn. Nehmen Schwangere zu viel Vitamin A zu sich, kann es beim ungeborenen Kind zu Fehlbildungen kommen. Die von der DGE empfohlene Tagesdosis Retinol für Schwangere liegt bei 800 Mikrogramm, nichtschwangere Frauen solllten 700 Mikrogramm zu sich nehmen, Männer bis 65 Jahre 850 und danach 800 Mikrogramm. Dabei ist zu beachten, dass manche Lebensmittel, insbesondere Leber oder aus Leber hergestellte Produkte, zum Teil sehr hohe Vitamin A-Dosen enthalten. Schwangere sollten darauf vor allem im ersten Drittel der Schwangerschaft besser verzichten. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitamin A sollten Schwangere daher grundsätzlich mit Ihrem Arzt absprechen.

Und es gibt noch ein weiteres Problem: In hohen Dosen nimmt Vitamin A Einfluss auf den Knochenstoffwechsel. Studien deuten darauf hin, dass dadurch vor allem bei Frauen nach der Menopause das Risiko für Osteoporose und Hüftfrakturen steigt. Aus diesem Grund empfiehlt die europäische Lebensmittelbehörde EFSA diesen Frauen, pro Tag insgesamt nicht mehr als 1,5 Milligramm Vitamin A zu sich zu nehmen. Das ist die Hälfte des allgemeinen, maximalen Tageshöchstwertes. „Uns sind zwar bei Vitamin A keine Fälle dramatischer Überdosierung bekannt. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es passiert“, sagt Weißenborn vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Zumal die unerwünschten Wirkungen meist nicht akut auftreten. „Es sind meistens zunächst schleichende, unspezifische Effekte, die man am Ende kaum noch mit der Einnahme des Präparats in Verbindung bringt“, so die Expertin. Eine langfristige Überdosierung von Vitamin A kann sich beispielsweise in Haarausfall, trockener Haut oder Kopfschmerzen bemerkbar machen. Auch Leberschäden sind möglich.

Multivitaminpräparate sind eher ungünstig

„Gerade Vitamin A und D sind in hohen Dosierungen frei verfügbar. Bei einer unkontrollierten Einnahme kann es durchaus zu einer Überdosierung kommen“, sagt auch Professor Achim Bub, Ernährungsmediziner am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe. Vitamin A und D wirken gegensätzlich auf den Knochenstoffwechsel. In vielen Nahrungsergänzungsmitteln ist beides enthalten. „Da frage ich mich schon: Wie kommen die Hersteller darauf?“, sagt Weißenborn. Damit würden künstlich gesundheitliche Risiken geschaffen. Auch andere Kombinationen an Vitaminen und Mineralstoffen, die manche Pillen, Kapseln oder Pulver enthalten, sind mitunter problematisch: So kann Folsäure beispielsweise die Aufnahme von Zink hemmen.

Auch Donatus Nohr sieht Multivitamin-Präparate kritisch. „Da müsste man eigentlich für jeden einzelnen Nährstoff schauen: Wie viel ist drin? Was ist der empfohlene Wert? Und wie bin ich sonst damit versorgt?“ Deckt ein Präparat bereits 100 Prozent des Tagesbedarfs, kann es in Kombination mit der Nahrung schnell zu viel werden. Zumal es auch künstlich angereicherte Lebensmittel gibt. Die einmalige Überschreitung einer Vitamindosis sei unkritisch, sagt Nohr. „Wenn Sie ab und zu so eine Multivitamintablette nehmen, ist das kein Problem. Aber machen Sie das bitte nicht dreimal am Tag.“ Die Einnahme und Dosierung sollte man mit dem Arzt oder der Ärztin abstimmen.

Auch wasserlösliche Vitamine nicht überdosieren

Denn auch bei wasserlöslichen Vitaminen ist eine Überdosierung möglich. Meist ist sie aber erst bei deutlich höheren Dosen zu erwarten. Zu den Lieblingsvitaminen der Deutschen gehört Vitamin C. Es ist nicht nur in Form von Präparaten erhältlich, sondern wird auch Fruchtsäften und anderen Lebensmitteln zugesetzt. In der Zutatenliste findet sich das Vitamin unter dem Namen Ascorbinsäure oder E300 und dient unter anderem der Konservierung. Selbst als aufmerksamer Verbraucher hat man folglich kaum einen Überblick, wie viel davon man täglich zu sich nimmt.

Für Vitamin C hat die ESFA keinen harten Grenzwert festgelegt, laut der DGE ist bis zu etwa ein Gramm pro Tag zusätzlich zur normalen Ernährung vermutlich nicht mit schädlichen Nebenwirkungen verbunden. Die DGE empfiehlt Frauen 95, Männern insgesamt 110 Milligramm pro Tag. Für Schwangere und Stillende gelten abweichende Werte. „Wer viel zu viel einnimmt, bekommt Durchfall. Selten können sich auch Nierensteine entwickeln“, sagt Donatus Nohr, der unter anderem zum Einsatz von Vitamin C in der Krebstherapie forscht.

Auch andere wasserlösliche Vitamine können sich - unbegründet und in zu hoher Menge eingenommen - wohl ungünstig auswirken. Weil man vermutete, dass sie das Risiko für bestimmte Krebsarten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern, wurde Menschen ein Vielfaches der Tagesempfehlungen an Vitamin B12 , B6 oder Folsäure verabreicht. „In Nachbeobachtungen hat man bei einigen der großen Studien gesehen, dass es teilweise erhöhte Krebsraten gab“, fasst Anke Weißenborn zusammen. Auch bei Spurenelementen wie Selen kann eine Überdosierung gefährlich werden: Bereits bei handelsüblichen Dosen zeigte sich in Studien unter anderem ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs und Typ-2-Diabetes.

Warum sind manche Nahrungsergänzungsmittel so hoch dosiert?

Warum sind so hohe Konzentrationen in Nahrungsergänzungsmitteln überhaupt erlaubt? Das Problem ist: Obwohl die Pillen, Pulver und Dragees aussehen wie Arzneimittel, sind sie keine. Sie gelten als Lebensmittel. Folglich müssen die Hersteller nicht nachweisen, dass sie sich in irgendeiner Weise positiv auf die Gesundheit auswirken. Und: Es gibt keine gesetzlich festgeschriebenen Höchstmengen. Auf der Verpackung muss zwar stehen, welchem Anteil an der Tagesdosis der Inhalt entspricht. Doch die Werte dürfen auch überschritten werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in den vergangenen Jahren Vorschläge für Höchstmengen in Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmittel erarbeitet. Diese sollen als Grundlage für rechtsverbindliche, möglichst europaweit geltende Höchstmengen dienen. „Man kann schließlich schwer verhindern, dass ein Produkt, dass in Italien auf dem Markt ist, nicht auch bei uns verkauft wird“, erklärt Expertin Weißenborn. Derzeit werde auf EU-Ebene intensiv diskutiert. Zudem stammten einige Grenzwerte der ESFA bereits aus den 2000er Jahren und müssten überarbeitet werden. „Wir hoffen, dass man sich in den nächsten Jahren auf verbindliche Höchstmengen einigen wird“, sagt die Mitarbeiterin des Bundesinstituts.

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