Was bringen Defokus-Brillen für kurzsichtige Kinder?

Kurzsichtigkeit bei Kindern nimmt zu. Häufige Ursache: Die Augäpfel wachsen zu stark in die Länge. Nah sehen die Kinder dann scharf, in die Ferne verschwommen.

Wie sollen Defokus-Brillen bei Kurzsichtigkeit helfen?

Kurzsichtigkeit lässt sich mit einer herkömmlichen Streulinse im Brillenglas korrigieren. Sie verschiebt den Brennpunkt der Lichtstrahlen nach hinten auf die Netzhautebene. Sie verhindert aber nicht, dass die Augen weiter in die Länge wachsen, mit den Jahren immer kurzsichtiger werden. Im Gegenteil: Wegen der Augenwölbung brechen die Lichtstrahlen in den äußeren Netzhautbereichen mit Korrekturbrille erst hinter der Netzhaut. Dadurch könnte das Längenwachstum sogar angeregt werden. Prof. Bettina Wabbels, Leiterin des Bereichs Orthoptik und Neuroophthalmologie an der Universitäts-Augenklinik Bonn, erklärt: „Vermutlich wächst das Auge dem Brennpunkt entgegen.“

Lange Augäpfel und starke Kurzsichtigkeit sind mit einem höheren Risiko für Augenerkrankungen wie grüner Star oder Netzhautablösung verbunden. Das übermäßige Längenwachstum der Augen zu bremsen, erscheint daher als eine gute Idee. Unterschiedliche Strategien kommen infrage: So könnte die längerfristige Anwendung von verdünnten Atropin-Augentropfen das Augenlängenwachstum bremsen.

Seit einigen Jahren werden zudem Defokus- oder Multisegment-Brillengläser entwickelt. Je nach Hersteller unterscheidet sich das Design, das Prinzip ist gleich: Die Gläser bestehen aus mehreren Zonen. Die zentrale Zone korrigiert die Kurzsichtigkeit: Eine Streulinse lenkt die Lichtstrahlen so, dass sie auf der Netzhaut landen. Eine äußere Zone bewirkt das Gegenteil: Bei einem Modell sind in ihr fast 400 winzige Sammellinsen mit jeweils circa einem Millimeter Durchmesser eingearbeitet. Diese bündeln die Lichtstrahlen jeweils so, dass sie in den äußeren Netzhautbereichen schon vor der Netzhautebene auftreffen. Defokus-Brillengläser korrigieren also die Kurzsichtigkeit und bremsen gleichzeitig das Längenwachstum, indem sie den Fokus vor die Netzhautebene verlagern („Defokus“). „Theoretisch ist das eine brillante Idee“, sagt Bettina Wabbels.

Was bringen Defokus-Brillen in der Praxis?

Hersteller von Multisegmentgläsern versprechen etwa 60 Prozent weniger Längenwachstum, wenn die Kinder ihre Brille zwölf Stunden am Tag tragen. Das hält Prof. Wolf Alexander Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg für unrealistisch: „In einer großen Studie zeigte sich nach zwei Jahren Tragedauer nur eine Verlangsamung des Längenwachstums um etwa 30 Prozent. Ein eher bescheidener Erfolg.“ Laut Lagrèze sind weitere internationale und herstellerunabhängige Studien nötig, um den Effekt von Multisegment-Brillengläsern auf die Kurzsichtigkeit beurteilen zu können.

Auch der Kostenfaktor spielt eine Rolle: Multisegment-Brillengläser sind teurer als normale Gläser zur Korrektur von Kurzsichtigkeit und werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt. Da das Längenwachstum nur verlangsamt und nicht gestoppt wird, brauchen viele Kinder etwa ab dem Grundschulalter jedes Jahr neue Gläser, bis ihre Augäpfel etwa mit 18 bis 20 Jahren nicht mehr weiterwachsen. Das macht diese Therapiemethode zu einer kostspieligen Angelegenheit.

Bei der Frage, ob man Defokus-Brillen den Eltern kurzsichtiger Kinder empfehlen soll, ist auch Bettina Wabbels eher skeptisch: „Umweltfaktoren wie Tageslicht oder das Sehverhalten haben möglicherweise einen stärkeren Einfluss auf die Augen und werden häufig im Alltag zu wenig berücksichtigt. Wegen der teuren Brille auf Urlaub oder Freizeitaktivitäten draußen zu verzichten, ist jedenfalls keine gute Idee.“

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