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Mal eben an der Bushaltestelle, im Supermarkt oder zu Hause auf dem Sofa ein einfaches EKG ableiten – das ist mittlerweile mit vielen Smartwatches problemlos möglich. Aber wie aussagekräftig sind die Ergebnisse? Und kann ein solches EKG bei der Diagnose von Herzkrankheiten helfen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie funktioniert ein EKG mit der Smartwatch?

Beim Elektrokardiogramm, kurz EKG, werden die elektrischen Impulse gemessen, die den Herzmuskel dazu anregen, sich zusammenzuziehen. „Das Spannende ist, dass diese Ausbreitung der elektrischen Impulse auch auf der Haut messbar ist“, erklärt Prof. Dr. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Das EKG misst diese elektrischen Signale und kann uns dadurch wichtige Informationen über den Herzrhythmus und die Herzfrequenz liefern“, sagt Duncker.

Inzwischen können viele Smartwatches ein einfaches EKG aufzeichnen. Häufig sind dafür keine weiteren Hilfsmittel mehr nötig. „Diese Smartwatches haben eine Elektrode am Handgelenk, die ohnehin auf der Haut aufliegt“, erklärt der Experte. Legt man dann einen Finger der anderen Hand für etwa 30 Sekunden auf einen dafür vorgesehenen Sensor auf der Uhr, erhält man ein sogenanntes Ein-Kanal-EKG, das lediglich eine Ableitung registriert.

Was kann das Smartwatch-EKG über die Herzgesundheit verraten?

Das EKG der Smartwatch ist nicht vergleichbar mit dem großen EKG bei Arzt oder Ärztin. Das EKG der Ärzte liefert deutlich mehr Informationen, etwa über Rhythmusstörungen aller Art oder Durchblutungsstörungen bis hin zum Herzinfarkt. Mit der Smartwatch kann man hingegen nur ein einfaches EKG ableiten, das aber helfen kann, bestimmte Rhythmusstörungen zu erkennen.

„Gerade bei der Suche nach Vorhofflimmern können solche Smartwatch-Anwendungen sehr hilfreich sein“, sagt Duncker. Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung und eine der Hauptursachen von Schlaganfällen. „20 bis 30 Prozent aller Schlaganfälle sind durch Vorhofflimmern bedingt“, sagt Duncker. Weil sich die Vorhöfe nicht mehr gleichmäßig zusammenziehen, verwirbelt das Blut. Dadurch kann sich ein Blutgerinnsel im Herzen bilden, das mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangt und dort zum Gefäßverschluss und somit zum Schlaganfall führt.

Die meisten Betroffenen merken, wenn ihr Herz aus dem Takt gerät, aber etwa 30 bis 40 Prozent spüren ihr Vorhofflimmern nicht. „Dabei ist es bei dieser Herzrhythmusstörung besonders wichtig, sie frühzeitig zu erkennen, um einen Schlaganfall zu verhindern“, erklärt Duncker.

In manchen Fällen kann der Arzt oder die Ärztin das Vorhofflimmern beseitigen – zum Beispiel mithilfe einer sogenannten elektrischen Kardioversion (dem Verabreichen eines leichten Stromimpulses über die Brust in Kurznarkose) oder durch die Gabe von Medikamenten. Diese Therapien sind jedoch nicht immer langfristig erfolgreich, sodass Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern häufig dauerhaft mit gerinnungshemmenden Medikamenten behandelt werden müssen. Damit lässt sich der Bildung von Gerinnseln im Herzen vorbeugen.

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Kann man auch mit dem Smartphone ein EKG aufzeichnen?

Bislang kann kein Smartphone selbst ein EKG aufzeichnen. Zusätzlich zu einer entsprechenden App braucht man immer mindestens zwei Elektroden, die mit dem Smartphone gekoppelt werden müssen. „Hier gibt es mehrere Modelle. Für ein einfaches Ein-Kanal-EKG legt man in der Regel jeweils einen Finger der linken und der rechten Hand auf zwei Sensoren“, erklärt Kardiologe Duncker. „Bei einem Sechs-Kanal-EKG hält man jeweils eine Elektrode in der rechten und linken Hand und legt eine dritte an den linken Knöchel.“

Wie aussagekräftig sind die EKG-Messungen?

EKGs, die mit einer Smartwatch oder einem Smartphone erstellt werden, gelten in Bezug auf die Diagnose von Vorhofflimmern als sehr zuverlässig. Einen Arztbesuch ersetzen sie jedoch nicht. Sie können aber Ärztinnen und Ärzten die Diagnose erleichtern. Denn Vorhofflimmern kann man nur dann diagnostizieren, wenn es gerade besteht. Tritt es nicht ständig, sondern nur hin und wieder auf, kann es beim routinemäßigen EKG in der Arztpraxis oder auch im 24-Stunden-EKG nicht erkannt werden, wenn der Herzrhythmus in dieser Zeit normal ist. In solchen Fällen dauere es manchmal Jahre, bis man den richtigen Moment für ein EKG erwischt, erklärt Duncker. „Für Betroffene ist das oft sehr belastend“.

Eine weitere Möglichkeit der Diagnostik kann dann ein sogenannter Eventrecorder sein. Dabei handelt es sich um ein kleines Gerät, das Patientinnen und Patienten selbst aktivieren können, sobald sie Beschwerden merken. Aber auch Smartwatches sind ergänzende und nützliche Hilfsmittel. „Dadurch, dass die Patientinnen und Patienten jederzeit selbst ein EKG erstellen können, können wir mit relativ geringem Aufwand eine frühere Diagnose stellen“, sagt Duncker.

Das käme durchaus häufig vor, berichtet der Kardiologe. „Bei uns in der Rhythmusambulanz sehe ich täglich digitale EKGs von Patientinnen und Patienten – und stelle damit auch regelmäßig die Diagnose oder nutze es zum Management nach Diagnosestellung.“ Natürlich gebe es Vor- und Nachteile. Beispielsweise sind die Messungen nicht immer korrekt. Bei körperlicher Bewegung kann es etwa zu falschen Warnhinweisen kommen, die Betroffene verunsichern können. „Wenn man die Technologie aber zielgerichtet einsetzt, könnten wir hier unsere knappe Ressource Facharzt besser nutzen“, sagt Duncker.

Dadurch, dass die Patientinnen und Patienten jederzeit selbst ein EKG erstellen können, können wir mit relativ geringem Aufwand eine frühere Diagnose stellen

Für wen sind die einfachen EKG-Messungen sinnvoll?

„Täglich EKGs zu produzieren, ist zwar technisch möglich, aber nicht unbedingt für jeden sinnvoll“, sagt der Kardiologe. Es gebe zwei mögliche Szenarien, in denen solche Anwendungen sinnvoll seien: Zum Beispiel, wenn jemand zwischendurch einen sehr unruhigen Puls habe und sich zudem nicht gut fühle. „Dann kann er, sobald es anfängt, in der Brust zu stolpern, mit solchen digitalen Devices ein EKG schreiben“, erklärt Duncker.

„Außerdem empfehlen sich solche Systeme für Patientinnen und Patienten, die aufgrund ihres Alters (ab 65) oder anderer Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern haben“, erklärt der Experte. Das gilt beispielsweise besonders für Menschen nach einem Schlaganfall, mit einem Schlafapnoesyndrom oder für Diabeteskranke.

Wie oft sollte man mit der Smartwatch ein EKG erstellen?

Bisher gibt es keine klaren Empfehlungen, wie oft die EKG-Messungen mit der Smartwatch durchgeführt werden sollten – aber einige Untersuchungen liefern erste Hinweise. In der schwedischen Strokestop-Studie wurden alle 75- und 76-Jährigen in den Regionen Stockholm und Halland zu einem Test auf Vorhofflimmern (Screening) sowie zu einer Kontrollgruppe eingeladen.[1] Die Personen in der Screening-Gruppe zeichneten zwei Wochen lang zweimal täglich ein Ein-Kanal-EKG auf. Konnte ein Vorhofflimmern festgestellt werden, wurde den Betroffenen unter anderem eine gerinnungshemmende Therapie angeboten, um Schlaganfälle zu verhindern. Zudem wurden sie mindestens fünf Jahre nachbeobachtet.

„Schon nach diesem relativ kurzen Untersuchungszeitraum konnte man einige Jahre später einen signifikanten Unterschied beobachten: In der überwachten Gruppe gab es weniger Schlaganfälle und Todesfälle“, erklärt Kardiologe Duncker. „Deshalb rate ich meinen Patientinnen und Patienten, die danach fragen: Sie sollten kurzzeitig, also zum Beispiel für ein bis zwei Wochen, zweimal täglich messen – sowie jedes Mal, wenn sie Unregelmäßigkeiten spüren.“ Seien dabei keine Auffälligkeiten festzustellen, könnten sie den Test nach zwei Jahren wiederholen.

Bei diesen digitalen Devices besteht immer die Möglichkeit, einer Fehlanwendung

Was tun, wenn das Smartwatch-EKG auffällig ist?

„Bei diesen digitalen Devices besteht immer die Möglichkeit, einer Fehlanwendung – und damit auch die Gefahr, dass plötzlich Menschen die kardiologischen Praxen fluten, die eigentlich gesund sind“, sagt Duncker. „Richtig strukturiert können uns diese digitalen Tools aber auch helfen, Arztkontakte einzusparen und damit Raum zu schaffen für Menschen, die wirklich ärztliche Hilfe benötigen.“

Der Kardiologe empfiehlt: „Wer über 65 ist, auf seinem Gerät eine Rhythmusauffälligkeit sieht und vielleicht sogar Beschwerden hat, sollte das ärztlich abklären lassen.“ Das gilt bei Beschwerden grundsätzlich – unabhängig davon, was das Smartphone oder die Smartwatch anzeigt.

Auch wer unter 65 Jahre alt ist und bereits Vorerkrankungen hat, sollte angezeigte Rhythmusauffälligkeiten ärztlich abklären lassen. „Vorhofflimmern kann bei jungen Menschen vorkommen, ist aber selten“, so der Experte. Der Arzt oder die Ärztin entscheidet in jedem Einzelfall anhand bestimmter Risikofaktoren, ob eine gerinnungshemmende Behandlung nötig ist.


Quellen:

  • [1] Svennberg E, Friberg L, Frykman V et al.: Clinical outcomes in systematic screening for atrial fibrillation (STROKESTOP): a multicentre, parallel group, unmasked, randomised controlled trial. https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 10.06.2024)
  • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK): Kardiologen veröffentlichen erste Einschätzung zur EKG-Funktion der Apple Watch 4. https://dgk.org/... (Abgerufen am 10.06.2024)