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Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs, sind verschreibungsfähige digitale Helfer. Dabei handelt es sich um Apps oder Online-Programme, die auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können, wenn es als Begleitung einer Behandlung sinnvoll erscheint. Ein Jahr nach dem Start dieses neuen Angebots wird in deutschen Praxen noch kaum davon Gebrauch gemacht, zeigt die neue Studie “Ein Jahr Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Praxis” der Stiftung Gesundheit. Warum das auch an der Corona-Pandemie liegen könnte, erklärt Christoph Dippe, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Gesundheit im Interview.

Herr Dippe, wie erklären Sie sich die geringe Antwort-Rate, die selbst unter den eigenen Erwartungen der Stiftung zurückbleibt?

Dippe: Die Antwortraten sind häufig ein Kennzeichen für die akute Relevanz eines Themas. Möglicherweise stand zum Zeitpunkt der Befragung 2021 bei den Ärzten eben das Thema nicht so weit oben in der Wahrnehmung. Themen wie Corona, elektronische Patientenakte oder E-Rezept waren vielleicht mehr im Fokus.

Die Studie zeigt in Teilen eine sehr skeptische Ärzteschaft. Wie sehr ist das eine demografische Frage? 62 Prozent der teilnehmenden Ärzt:innen sind über 40 Jahre.

Dippe: Wir sehen keine Korrelation zwischen Alter und Bereitschaft, sich mit DiGAs auseinanderzusetzen. Eher sind die über 50-Jährigen für das Thema überdurchschnittlich offen, weil diese Altersgruppe über hohe Routine und gut laufende Praxen verfügt.

Eine Erkenntnis der Studie lautet: Es gibt einen Widerspruch zwischen zunehmender Nutzung von digitalen Gesundheits-Angeboten und der in breiten Teilen der Bevölkerung mangelnden Gesundheitskompetenz. Entsteht eine neue Klassengesellschaft in der Medizin zwischen digital-affinen und digital-fernen Patient:innen?

Dippe: Diese Möglichkeiten gibt es. Und damit die Gefahr, dass hier mehr und mehr Angebote entstehen, zu denen finanzkräftige und bildungsnahe Schichten mehr Zugang haben. Das ist eine eindeutig erkennbare Herausforderung. Und zusätzlich wird es noch die Veränderungen geben, die auf uns zukommen, wenn große internationale Internet-Unternehmen den Bereich Gesundheit offensiv angehen

Stichwort Veränderung der aktuellen Studie zu der vor einem Jahr: Die Einstellung zu Risiken der digitalen Gesundheitsanwendungen hat sich verändert, ist weniger geworden. Wieso?

Dippe: Das ist ein normaler Reifungsprozess bei digitalen, neuen Angeboten. Ich halte das für eine normale Lernkurve. Bei der Einführung digitaler Produkte gibt es eine Phase mit einer sehr hohen Euphorie. Dann folgt die Ernüchterung.

Am Ende des Tages bleiben einige DiGAs als gute Lösungen übrig, aber sie lösen auch nicht alle Probleme. Es sind eben hauptsächlich hybride Werkzeuge, die im Zusammenspiel mit den Ärzten und letztlich auch mit den Patienten funktionieren. Und bei den Ärzten mindern sich die Ängste, dass DIGAs ihnen Arbeit wegnehmen werden.

Thema Datenschutz: Glauben Sie, dass sich die Ärzteschaft mit dem Thema Datenschutz wirklich auseinandergesetzt hat? Oder geht es hier um generelles Misstrauen auch gegenüber den Anbietern und Herstellern?

Dippe: Hier sind Ärzte eben ein gutes Spiegelbild der generellen Haltung der Bevölkerung. In Deutschland haben Themen wie Sorge um Datenschutz und Skepsis gegenüber Social Media in bildungsnahen Schichten einen hohen Stellenwert. Das ist in anderen Ländern gern anders. Bemerkenswert an dieser Stelle: Viele Arztpraxen setzten noch immer auf das Fax-Gerät. Dabei ist das Fax unter Datenschutz-Gesichtspunkten kein sicherer Kommunikationsweg.

Spannend waren die Kommentare der Befragten Ärt:innen und Therapeut:innen. Man liest von schweren Arbeitsbedingungen in der Praxis und dem Wunsch nach mehr empathischem Umgang mit den Patient:innen. Das ist bemerkenswert, denn wenn man mit Patienten redet, vermissen diese gerade die Empathie besonders. Wie erklären sie sich diese Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstbild?

Dippe: Ärzte und Patienten leben im selben System und wünschen sich mehr Empathie und Zeit füreinander. Aber es gibt eben auch das medizinische Abrechnungssystem. Offenbar führt diese Tatsache dazu, dass Ärzte den Eindruck haben, sie hätten zu wenig Zeit für ihre Patienten.

Herr Dippe, wir danken für das Gespräch.

Christoph Dippe, Vorstandsvorsitzender die Stiftung Gesundheit

Christoph Dippe, Vorstandsvorsitzender die Stiftung Gesundheit

Zur Person:

Christoph Dippe leitet seit August 2021 als Vorstandsvorsitzender die Stiftung Gesundheit. Er hat über 20 Jahre Führungserfahrung im Handel und in der Beratung. Im Laufe seines beruflichen Werdegangs entwickelten sich die Themen Digitalisierung und das Management von Datenverwaltungssystemen zu seinen Schwerpunkten.

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