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Alice von Laguna leitet eine Apo­theke in Grefrath. Die ­Beratung über Nebenwirkungen von Medikamenten gehört zu ihrem Berufsalltag. Wir haben mit ihr gesprochen:

Frau von Laguna, wie ist Ihre Erfahrung: Haben Patienten tatsächlich Angst vor Nebenwirkungen?

Ja, sehr oft. Manche reduzieren dann die Dosis auf ­eigene Faust oder setzen das Medikament ab. Im Beratungsgespräch sagen viele Patienten, dass sie den Beipackzettel erst gar nicht durch­lesen, weil sie das Mittel dann nicht mehr einnehmen würden.

Woher kommt diese Angst?

Oft liegt es an mangelhafter Information. Viele werfen auch Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Gegenanzeigen in einen Topf. Und der Beipackzettel muss auch richtig interpretiert werden.

Vorsicht! Verwechslungsgefahr:

  • Nebenwirkungen sind Beschwerden, die zusätzlich zur Hauptwirkung eines Arzneimittels auftreten, aber nicht erwünscht sind. Fachleute sprechen daher auch von "unerwünschten Arzneimittelwirkungen".
  • Wechselwirkungen sind gegenseitige Beeinflussungen zweier Arzneimittel oder eines Arznei- und eines Nahrungsmittels. Häufig wird die erwünschte Wirkung abgeschwächt, aufgehoben oder aber unverhältnismäßig verstärkt.
  • Gegenanzeigen sind Erkrankungen, Beschwerden, Therapien oder Lebensumstände, bei denen das Arzneimittel überhaupt nicht ­angewendet werden darf.

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Können Sie ein Beispiel nennen?

Es gibt Medikamente, die bei einem Engwinkelglaukom nicht eingenommen werden dürfen. Die Patienten wissen oft aber nur, dass sie ein Glaukom haben – zwischen Engwinkel- und Weitwinkelglaukom können sie nicht unterscheiden. Im Zweifel nehmen sie das Medikament nicht, obwohl es ihnen gar nicht schaden würde.

Ein Missverständnis also. Gibt es noch weitere?

Manchmal werden Beschwerden einem Präparat zugeschrieben, und später stellt sich heraus, dass ­etwas ganz anderes dafür verantwortlich war. Viele ältere Patienten nehmen mehrere Mittel gleichzeitig ein und ordnen Nebenwirkungen falsch zu. Dazu tragen aber auch die Rabattverträge maßgeblich bei.

Inwiefern?

Die Patienten bekommen dann plötzlich ein Medikament, das völlig anders aussieht als ihr gewohntes. Wir versuchen das zwar in der Beratung aufzufangen, beschriften zum Beispiel die neue Packung. Doch sind die Patienten wieder zu Hause, verunsichert sie das alles trotzdem. Wichtig ist, dass die Patienten im Zweifel bei ihrem Arzt oder eben in der Apotheke nachfragen. Wir sind die Fachleute dafür, und wir nehmen uns die Zeit, die dem Arzt im Praxisalltag so oft fehlt.

Können Nebenwirkungen eigentlich mit der Zeit auch wieder verschwinden?

Manchmal ja, zum Beispiel der Schwindel bei der Blutdruckbehandlung. Oder die anfängliche Übelkeit bei starken Opiat-Schmerzmitteln.

Lassen sich Nebenwirkungen nicht von vornherein verhindern?

Mitunter schon. Wenn Medikamente müde machen, wie manche Antialler­­gika, kann man sie abends einnehmen. Andere Mittel stören den Schlaf, weil sie wach machen oder dazu führen, dass man nachts öfter zur Toi­lette muss. Meist können wir dem Patienten auch hier mit kleinen Änderungen am Einnahmeplan helfen.

Wie häufig ist eigentlich "sehr selten"?

Beipackzettel sind für viele Verbraucher unverständlich. Das bedeutet es, wenn Sie darin von "häufigen" oder "seltenen" Nebenwirkungen lesen.  

  • "Sehr häufig" – Die Nebenwirkung tritt voraussichtlich bei mindestens einem von zehn Patienten auf. Das heißt im ­Umkehrschluss: Einer ist ­­betroffen, neun andere haben jedoch keine Beschwerden.
  • "Häufig" – Bestenfalls sind von 100 Patienten 99 beschwerdefrei, mindestens aber 90.
  • "Gelegentlich" – Die Nebenwirkungen treten bei bis zu 10 von 1000 Patienten auf.
  • "Selten" – Von 10 000 Patienten sind nur maximal 10 von der Nebenwirkung betroffen.
  • "Sehr selten" – Von 10 000 Patienten ist höchstens einer betroffen.

Gibt es weitere Einflussmöglichkeiten – außer der Einnahmezeit?

Bei manchen Präparaten kann man die Dosierung langsam steigern. Dadurch lassen sich Nebenwirkungen oft vermeiden – wie etwa Kreislaufprobleme bei Blutdrucksenkern oder Magen-Darm-Störungen bei einigen Diabetes-Mitteln. Manche Arzneien müssen aber sofort mit der vollen Dosis eingenommen werden, etwa das Kortison bei allergischen Reaktionen. Die Einnahme deshalb unbedingt mit dem Arzt oder dem Apotheker besprechen.

Kortison ruft wohl die meisten Ängste hervor?

Eine kurzzeitige, auch hochdosierte Einnahme ist in der Regel völlig ­­unproblematisch. Die unerwünschten Wirkungen treten erst dann auf, wenn Kortison aufgrund einer chronischen Erkrankung langfristig eingenommen werden muss. Auch die Darreichungsform spielt eine Rolle: Kortisonhaltiges Asthmaspray wird selbst bei langfristiger Anwendung gut vertragen, weil es hauptsächlich lokal auf der Bronchialschleimhaut wirkt. Mögliche Pilzinfektionen im Mund lassen sich gut verhindern, wenn man den Mund nach der Anwendung ausspült oder eine Kleinigkeit isst.

Apropos essen: Lassen sich Nebenwirkungen auch durch gezielte Mahlzeiten verringern?

Nur manchmal. Ein Eisenpräparat ist zusammen mit einer Mahlzeit besser verträglich. Aber es wird dann auch schlechter aufgenommen. Manche Antibiotika werden sogar wirkungslos, wenn man sie mit etwas Milchhaltigem einnimmt.

Sind Antibiotika wirklich so heikel, wie manche behaupten?

Viele Patienten reagieren auf Antibiotika empfindlich, etwa mit Durchfall oder einer Pilzinfektion. Glücklicherweise müssen die Mittel nur kurzfristig eingenommen werden. Patienten akzeptieren eine schlechtere Verträglichkeit, weil sie wissen, dass die Arzneien sie schnell gesund machen.

Und Nebenwirkungen mit einem anderen Medikament bekämpfen?

Das ist in vielen Fällen möglich und sogar sinnvoll. Pilzinfektionen lassen sich mit speziellen Präparaten gut behandeln, gegen Magen-Darm-Störungen gibt es ebenfalls hilfreiche Mittel. Bei nichtsteroidalen Entzündungshemmern kann beispielsweise ein zusätzlicher Magenschutz sinnvoll sein. Aber ich bin sonst eher dagegen, Nebenwirkungen immer mit Medikamenten zu unterdrücken.

Warum sind Sie dabei skeptisch?

Ein Beispiel: Nicht selten reagieren Patienten auf ACE-Hemmer, die sie zur Blutdrucksenkung verschrieben bekommen, mit Reizhusten. Dieser ließe sich mit einem Hustenstiller leicht blockieren, doch das wäre falsch. Denn der Husten kann ein Warrnzeichen sein. Dann muss der Patient in Absprache mit dem Arzt auf einen anderen Blutdrucksenker umgestellt werden.

Sollen ängstliche Patienten den Beipackzettel besser nicht lesen?

Doch. Die Packungsbeilage enthält viele wichtige Informationen zur The­­­rapie. Wer aber unsicher ist, sollte dann unbedingt den Arzt oder Apotheker fragen.