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Frau Lewina, in Ihrem Buch „Ex“ schreiben Sie über sich: „Lebenserwartung ungewiss, kann morgen tot sein oder in dreißig Jahren.“ Ziemlich drastisch.

Ach, man gewöhnt sich dran. Im ersten Moment ist alles total dramatisch, gerade, wenn der Tod laut anklopft. Vor zwei Jahren dachten wir noch: Kippt jetzt einer nach dem anderen von uns weg?

Da bekamen Sie und weitere Familienmitglieder die Diagnose „arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie“, kurz: ARVC. Eine Herzkrankheit.

Alles begann 2021 mit dem plötzlichen Tod unseres Sohnes. Der hat die Diagnosemaschine angekurbelt.

Sie haben vor diesem Interview gesagt, dass Sie nicht viel über den Tod Ihres Sohnes sprechen wollen, was wir respektieren. Nur so viel: Er starb überraschend mit sieben Jahren, Ursache unklar. Erst später kam die Vermutung auf, dass er ebenfalls an dieser Erkrankung litt.

ARVC ist erblich. Meine Mutter hat sie an mich und meinen Bruder weitergegeben, ich an meine große Tochter und meinen Sohn. Vermutlich hätte ohne den Tod niemand so schnell und genau hingeschaut. Dabei hatte ich schon länger mit dem Herzen zu tun.

Inwiefern?

Ich hatte Herzrasen, Palpitationen …

… bei denen das Herz stolpert?

Genau. Ich dachte zuerst an Panikattacken. Drei Wochen nach dem Tod meines Sohnes wurde es sehr heftig. Sicher psychosomatisch …

Ließen sich Trauer und Krankheit auseinanderhalten?

Unmöglich. Ich dachte: Klar, Broken-Heart- Syndrom. Doch es fühlte sich zunehmend bedrohlich an. Ich bin einmal in die Notaufnahme, weil ich dachte, ich hätte einen Herzinfarkt.

Den Defribillator nenne ich mein drittes Schulterblatt.

Sie bekamen schließlich einen Defibrillator implantiert. Was tut der?

Der Defi gibt einen Schock ab, sobald das Herz lebensbedrohlich schnell schlägt.

Wie groß ist so ein Defibrillator eigentlich?

Etwa handflächengroß. Er sitzt hier unter der Achselhöhle, ich nenne ihn „mein drittes Schulterblatt“.

Spüren Sie ihn immer?

Auf der linken Seite schlafen ist doof. Und wenn ich meinen Oberkörper dehnen will. Aber ich mache eh keinen richtigen Sport mehr. Früher bin ich viel gejoggt, und rückblickend ist es ein Glück, dass mir da nie etwas passiert ist.

Bekommt man einen anderen Bezug zu dem erkrankten Organ?

Ich muss auf mein Herz aufpassen, daher bin ich empfindsamer geworden. Aber ich habe Zutrauen. Vor ein paar Monaten wurde bei mir Herzgewebe verödet, weil ich starke Rhythmusstörungen hatte.

Trotz des Schockgebers?

Der Defi ist nur eine Absicherung gegen plötzlichen Herztod. Aber so eine fortgeschrittene ARVC kann ziemlicher Mist sein. Irgendwann war kaum mehr Leben möglich, ich konnte keine Treppen mehr laufen, hatte mehrere Defi-Schocks. Die Ärzte ­rieten zur Verödung. Seitdem geht es mir so gut! Ich kann sogar dem Bus hinter­herlaufen, obwohl ich es eigentlich nicht sollte.

Sie schreiben, alte Leute hätten Herzgeschichten. „Aber ich doch nicht.“

Diese Herzgeschichte ist eine einzige Enttäuschung. Gerade als ich dachte, wieder in meine Kraft zu kommen, weil die Kinder größer wurden, beruflich wieder was voranging – da kam die totale Rolle rückwärts. Aber als es mir richtig mies ging, hatte ich nur noch den einen Fokus: Ich musste alles tun, damit meinen Kindern die Mutter erhalten bleibt.

Ich vertraue darauf, dass ich nichts in der Hand habe. Also muss ich mir auch keine Sorgen machen.

Sie trauerten und hatten zugleich Angst um Ihr eigenes Leben?

Ja. Es war kaum Zeit, mich mit dem auseinanderzusetzen, was gerade passiert war. Wir mussten weitermachen, sind von Arzttermin zu Arzttermin. Aber vielleicht war es auch gut, es hat uns stark in die Gegenwart geholt. Was ebenfalls hilft, so etwas zu überstehen, ohne verrückt zu werden, ist, den Tod anzunehmen. Zu sagen: So ist das. Hadern macht uns krank und fertig.

Worauf vertrauen Sie?

Dass ich die Dinge nicht in der Hand habe. Deswegen gibt es keinen Grund mehr, sich irre viele Sorgen zu machen. Damit hole ich mich aus meiner größten Angst raus.

Hätten Sie so was auch vor drei Jahren gesagt?

Nein. Damals hatte ich das Gefühl, mein Leben total unter Kontrolle zu haben.

Hat das Leben Sie gelehrt, loszulassen?

Inzwischen weiß ich, wie fragil es ist. Ich habe mein Testament und Briefe an die Kinder geschrieben. Ich bin keinesfalls bereit, schon zu gehen, aber es würde mich nicht unvorbereitet treffen. Ich weiß, wie es ist, zu denken: „Ich sterbe gleich.“ Da braucht nur der Defi nicht anschlagen.

Wie fühlt sich so ein „Gleich-sterbe-ich“-Moment an?

Da ist dann doch riesige Angst. Davor, meine Kinder alleinzulassen.

Und wie ist es, wenn der Defibrillator anspringt?

Ein plötzlicher Schmerz im Brustkorb, eine krasse Wucht dahinter, als ob man umgeschmissen wird. Danach muss ich mich ausruhen, für den Körper ist das eine unglaubliche Belastung. Und wie gesagt: Er braucht nur einmal nicht reagieren. Die Geräte haben eine geringe Fehlerquote, aber es gibt sie. Und dann? Dann ist es vorbei, vielleicht. Oder mein Herz beruhigt sich von selbst wieder, wer weiß das schon?

Nach all den Begegnungen mit dem Tod – welche Lebenslügen konnten Sie entlarven?

(lacht) Die von der Ewigkeit. Vor allem in der Liebe. Die meisten von uns bemerken dann doch, dass das eine schwierige Sache ist. Ich sage daher: Ich will dich für immer lieben. Es wird einfacher, wenn man den Ewigkeits-Anspruch aufgibt. Man strengt sich so auch ein bisschen mehr an.

Ist das nicht Sprachfuchserei?

Nein. Ich finde wichtig, dass man sich bewusst macht, was man so zum anderen sagt. Man kann nicht wissen, was für immer sein wird. Damit sind wir auch wieder zurück beim Thema Endlichkeit. Wir haben die Dinge nicht in der Hand.

Sie schreiben freizügig über Ihren Sex, Ihre Männer, Ihre offene Beziehung…

Ich mag es, wenn Menschen sich nackig zeigen. Viele schätzen das wie ich. Wir rennen doch alle durch die Welt mit zigtausend Komplexen und hoffen, dass niemand davon etwas mitbekommt. Ich glaube, es ist wohltuend, wenn sich da jemand öffnet, kathartisch sogar. Es stiftet an, selbst offener zu werden.

Definieren Sie bitte das von Ihnen oft benutzte Wort „Kaputtness“!

(lacht) Ich hatte leider ein Händchen fürs Nichtgelingen von Beziehungen. Ich habe Drama und Aufregung gesucht – und wenig die Entspannung.

Sie benutzen zumindest die Vergangenheitsform.

Ja, es hat sich was verändert. Ich habe keine Zeit mehr für Quatsch.

Keine Zeit mehr für Drama?

Genau. Nicht für ständige emotionale Abstürze oder Menschen, die mir nicht guttun. Ich möchte mein Leben gern mit schönen, leichten Dingen füllen.