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Herr Engler, im April startet die Tour zum neuen PUR-Album. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Etwa zwei Monate vor Beginn der Tournee mache ich eine Woche Heilfasten. In dieser Zeit fange ich auch an, drei- bis fünfmal pro Woche Sport zu machen. Hauptsächlich auf dem Hometrainer in meinem kleinen Fitnessraum im Keller. Dabei gucke ich Serien, am besten welche mit vielen Folgen. Wenn ich mich eine Stunde quäle, kann ich mich gleich auf die Fortsetzung freuen.

Ein Livekonzert vor vielen Tausend Menschen ist eine Ausnahmesituation. Was brauchen Sie, um das durchzuhalten?

Seit einigen Jahren begleitet mich ein Physiotherapeut. Ein ganz lieber Freund, der mir auch im Alltag zur Seite steht. Er kümmert sich in der Tat vor und nach dem Konzert um mich, wenn es irgendwo zwickt. Bei mir sind das immer wieder der Rücken oder das rechte Knie. Aber er kriegt mich immer wieder so hin, dass ich abends auf der Bühne Spaß habe. Und ich weiß, was ich kann und was ich sein lassen sollte.

Was sollten Sie lieber lassen?

Ich bin sicher nicht mehr der, der am wildesten sprintet und am höchsten hüpft. Ich springe nicht mehr von Podesten runter. Da komme ich einmal blöd auf und habe ein dickes Knie. Aber das ist es auch nicht, was die Leute bei PUR erwarten. Ich bin sehr froh, dass unsere Musik im Vordergrund steht und deshalb traue ich mir das auch noch einige Jahre zu.

Haben Sie nach mehr als 40 Jahren Bandgeschichte noch Lampenfieber?

Oh ja! Speziell nach der Pandemie. Das war für uns eine fast dreijährige Konzertpause. Wir haben unsere Open-Air-Tour 2019 im September beendet und sind erst im August 2022 wieder zu vier Open-Air-Konzerten zurückgekommen. Um dann unser großes Event auf Schalke vor 68 000 Menschen zu feiern. Sich dem nach fast drei Jahren wieder zu stellen, war ein ganz besonderes Erlebnis. Da war ich sehr angespannt.

Wie geht es Ihnen unmittelbar vor dem Konzert?

Wenn der Auftritt um 20 Uhr beginnt, bin ich spätestens um 19 Uhr in meiner Garderobe, damit ich meine Ruhe habe. Mit einer Logopädin habe ich schon 2005 ein Programm erarbeitet, mit dem ich mich 30 Minuten lang warm singe. Ich wurde damals an den Stimmbändern operiert, es gab den Verdacht auf Stimmband-Krebs. Zum Glück waren es aber doch nur Knötchen, die weggelasert wurden. Aber ich habe damals neu sprechen und singen gelernt. Und im Zuge dessen haben wir dieses Programm entwickelt, ohne das ich heute nicht singe.

Sie haben mal gesagt, PUR-Fans fühlten sich nach so einem Konzert für zwei Wochen energetisch aufgeladen. Aber wie geht es Ihnen? Wie erholen Sie sich?

Ich bin danach wahnsinnig glücklich. Das Konzert auf Schalke im vergangenen Sommer war einer meiner schönsten Glücksmomente nach dieser langen Pause. Alles hat so gut geklappt und wir konnten Corona trotzen. Nach dem Auftritt hilft mir die Gegenwart meiner Lebensgefährtin sehr. Ich weiß, ich bin nicht alleine im Hotelzimmer. Da ist jemand, der meine Seelenlage kennt und weiß, was ich jetzt brauchen kann und was nicht. Es ist wichtig, dass ich am nächsten Morgen in den Spiegel gucken und sicher sein kann: Ich bin gestern nicht zum Riesen-Arschloch mutiert, zum Glück.

Wie viele Künstler hatten auch Sie durch die Pandemie eine lange Auftrittspause. Haben Ihnen die Konzerte gefehlt, der Kontakt zu den Fans?

Vor allem die Aussicht hat mir gefehlt, etwas, auf das ich mich freuen kann. Ich habe überhaupt kein Problem damit, eine Auszeit zu nehmen. Aber ich muss einen Plan haben und wissen, wann es weitergeht. Dieser Plan war nicht in Sicht. Keiner wusste: Können wir je wieder so große Konzerte spielen? Da fragt man sich: Wozu bin ich gut im Leben? Ich bin nun mal jemand, der seit mehr als 40 Jahren in einer Band spielt.

Sie sind seit den Anfängen 1976 dabei.

Das ist ein großer Teil meines Lebens. Das nicht mehr machen zu dürfen – nicht aus eigener Entscheidung, sondern durch die Umstände –, das hat mich sehr getroffen. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und meine Geschichten zu erzählen – aber all das fand nicht statt.

Erfahrungen und Emotionen verarbeiten Sie schon immer in Ihren Liedern. Wie stellen Sie das an?

Ich habe kein Konzept, wenn ich mich an die Arbeit setze. Aber wenn ich zum Beispiel meine Gedanken zum Krieg in der Ukraine schildere, dann möchte ich den Menschen nicht meine Depression präsentieren, sondern so etwas wie den Song „Ein gutes Morgen“. Trotzdem habe ich nach Beginn des Krieges erst einmal vier Wochen lang nichts geschrieben. Wie viele Menschen wusste ich überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich bin 1961 geboren, meine Generation kennt keinen Krieg.

Sie meditieren schon seit mehreren Jahren. Hat Ihnen das während der Pandemie und der Schreibpause geholfen?

Die ganze Zeit. Ich bin keiner, der versucht, immer länger zu meditieren. Wenn es mir gelingt, zu meditieren und ich wirklich still dasitzen kann für 20 Minuten, dann ist das schon toll. Es ist nicht so, dass ich asketisch draußen im Grünen sitze und mich sechs Stunden lang niemand ansprechen darf. Das lässt sich mit meinem Leben gar nicht vereinbaren und war auch nie mein Ziel.

Wie sind Sie zur Meditation gekommen?

Ein guter Freund hat mir in einer Lebenskrise die buddhistische Philosophie nahegebracht. Außerdem ist das Buch „Das weise Herz“ von Jack Kornfield, einem amerikanischen Buddhisten und Meditationslehrer, für mich ein wichtiger Begleiter geworden. Ich weiß, der Begriff „Achtsamkeit“ geht manchen schon auf den Zeiger, aber es ist ein fantastisches Prinzip.

Was gefällt Ihnen daran?

Wenn man achtsam durchs Leben geht, sieht man mehr, ist nicht permanent mit Planen und Verarbeiten beschäftigt, sondern mehr im Hier und Jetzt. Wenn man das hin und wieder schafft, ist das sehr hilfreich.

Können Sie ein Beispiel geben, wo Sie versuchen, achtsam zu sein?

Eine Übung aus dem Buch lautet: Gehe morgens aus dem Haus und erledige alles achtsam. Also war ich achtsam beim Friseur – habe dort ganz aufmerksam die Decke und die Farbe der Wände bewundert. Genauso an der Tankstelle. Ganz achtsam habe ich den Stutzen wieder an die Tanksäule gehängt, mich ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Und habe vor lauter Achtsamkeit vergessen zu bezahlen (lacht). Zum Glück kennt man mich an der Tankstelle gut und ich habe die Rechnung kurz darauf beglichen.