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Frau Tufts, Sie blicken auf viele Jahre Bühnenerfahrung zurück. Wie gehen Sie mit dem Thema Altern um?

Ich habe nie über mein Alter gelogen, im Gegenteil: In meinen Shows begrüße ich alle, die wie ich 1960 geboren sind. Spätestens, als ich meine Wechseljahre-Show „Some like it heiß“ gemacht habe, wurde mir klar: Warum sollte ich auch? Ich bin am Leben, gesund und empfinde das als ein riesiges Geschenk. Ich finde jede Lebensphase interessant – vor allem als Frau.

Viele Frauen hadern ja mit dem Verfall ihres Körpers.

Wow, was für ein Begriff: „Verfall“. Ich glaube nicht, dass wir Frauen ein Mindesthaltbarkeitsdatum haben. Ich bin – nicht nur in meiner Arbeit – sehr körperlich, habe mich aber nie auf mein Aussehen, Alter oder Gewicht reduziert oder reduzieren lassen. Ich tue viel für meine Fitness, denke aber auch, Intelligenz, Humor und Erfahrung sind sexy – genauso wie Selbstrespekt.

Woher nehmen Sie Ihre Dankbarkeit?

In den 80ern lebte ich in New York. Das war die Zeit der ersten Aids-Welle. Es gab für diese schreckliche Krankheit noch keine Behandlungsmöglichkeiten, und ich habe innerhalb von zwei Jahren 13 Freunde und Kollegen verloren. Es war wie ein Bürgerkrieg! Das hat mir gezeigt, dass wir das Leben in all seinen Facetten zelebrieren und feiern müssen. Auch davor war ich schon mit Krankheit und Tod konfrontiert. Als ich 17 war, starb mein Vater viel zu jung an einem plötzlichen Herzinfarkt. Er war Barkeeper, aß fast nur Fleisch, trank Bier, rauchte Zigarren und war gleichzeitig ein totaler Sportfanatiker. Mir hat das gezeigt: Genuss ist wichtig, aber ich muss auf mich und meinen Körper achten.

Im Fernsehen haben Sie vor einer Weile über ein deutsches Allheilmittel gesprochen: frische Luft.

Das ist kein Scherz, in den USA kennt man das nicht: stoßlüften. Ich bin in eine High School mit 4000 Schülern gegangen, und es gab kein einziges Fenster, das sich öffnen ließ. Nur eine Klimaanlage. Viele USA-Touristen werden das aus ihren Hotels kennen. Während der Pandemie gab es sogar eine Schlagzeile in der New York Times, in dem Artikel wurde über Erkenntnisse aus Deutschland gesprochen. „Outdoor air is good“ lautete die Überschrift. Und das hat dort niemand vorher gewusst?

Sie sind seit 2017 deutsche Staatsbürgerin. Fühlen Sie sich mittlerweile eher deutsch als amerikanisch?

Es werden immer zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Die deutsche Seite sagt: Gayle, achte auf dich, das Leben ist endlich. Und die amerikanische sagt: Schau mal, was du für ein tolles Leben hast, du fühlst dich gut, let’s party! Nach 32 Jahren in Deutschland merke ich, dass ich auf positive Weise sehr deutsch geworden bin. Ich brauche frische Luft, meinen Spaziergang, die Natur, ich brauche meinen Elstar-Apfel und das „eine Nacht drüber schlafen“. Auch das habe ich erst hier gelernt.

Was ist Ihnen am deutschen Gesundheitswesen zuerst aufgefallen, als Sie nach Deutschland gekommen sind?

Dass ich als freischaffende Künstlerin eine Krankenversicherung bekommen konnte! Ich bin sehr dankbar für die Künstlersozialkasse und das Level der Vorsorge, die ich hier bekomme. Ich bin Kassenpatientin und ich muss trotzdem sagen, die Versorgung hier hat Qualität. Vor Jahren hatte ich einen dreifachen Bandscheibenvorfall an der Nackenwirbelsäule und mein Arm war gelähmt. Ich werde nie die Ergo- oder Aquagymnastik-Therapeuten vergessen oder diese toughe Krankenschwester, die mich damals gezwungen hat, aufzustehen und mich zu bewegen. So bin ich 100-prozentig zurückgekommen.

Ich glaube nicht, dass wir Frauen ein Mindesthaltbarkeitsdatum haben

Stehen Städte wie Los Angeles aber nicht auch für Fitness und Gesundheitsbewusstsein?

Amerika ist ein schizophrenes Land voller Extreme. Ich habe das Gefühl, die Leute sind dort entweder krankhaft gesundheitsbewusst oder unglaublich dick. Aber dort ist ja auch vieles frittiert, voller Maisstärke und Zucker, und es gibt riesige Portionen, die hier für eine ganze Familie reichen würden. Das Fitness-Verhalten einiger Amerikaner hat aber nicht nur mit Gesundheit zu tun, sondern auch mit dem Körperbild. Es gibt ja genug Prominente dort, die vorleben, dass es ganz normal ist, verschiedenste Schönheitsoperationen zu machen.

Sind Sie gegen Schönheits-OPs?

Ich habe noch nie etwas machen lassen, alle Teile sind noch die „Originalbesetzung“. Ich möchte niemanden verurteilen, aber ich wünsche mir, dass gerade Frauen hinterfragen: Bin ich wirklich so unzufrieden mit mir? Oder ist das der Blick von außen? Möchte da nur jemand Geld mit mir machen? Wenn wir alle sagen würden „I am beautiful – just the way I am“, würden mehrere Industrien kollabieren.

Was tun Sie selbst, um fit zu bleiben?

Es sind viele kleine Dinge. Zum Beispiel umgebe ich mich mit vielen jüngeren Menschen. Mein Bühnenpartner ist 22 Jahre jünger als ich. Zwar vergesse ich das immer wieder, aber wir lernen voneinander. Ich finde es wichtig, nicht nur in der eigenen Bubble zu bleiben. Außerdem mache ich Pilates und tanze – zum Beispiel morgens nackt am Fenster zu Songs, die ich schon lange nicht mehr gehört habe. Letztens habe ich auf einer Postkarte gelesen: „Man hört nicht auf zu tanzen, weil man alt ist, sondern man wird alt, weil man aufhört zu tanzen.“ Und ich glaube, da steckt viel Wahrheit drin.

Wäre es eine Option für Sie, für den Ruhestand wieder in die USA zu gehen?

Ich denke, ich werde generell nie in den Ruhestand gehen. Und nein, nach Amerika fahre ich nur noch auf Besuch. Aufgewachsen bin ich auf Cape Cod in Massachusetts. Das ist eine Halbinsel, die südlich von Boston liegt. Wichtig ist mir deshalb, Wasser in der Nähe zu haben. Als ich nach Berlin kam und gesehen habe, wie viele Seen es in Brandenburg gibt und wie schnell man am Meer ist, habe ich mir gedacht, hier kann ich bleiben. Außerdem sehe ich das Leben nicht nach dem Motto: Jetzt arbeite ich und danach fange ich endlich an zu leben. Mit meinem Job habe ich ja den Luxus – wenn ich gesund bleibe –, so lange zu arbeiten, wie ich will.

Bis einschließlich Mai 2024 tourt Gayle Tufts noch mit ihrer neuen Show „Please Don’t Stop the Music“ durch Deutschland. Ihre Songs und Geschichten begleitet ihr Bühnenpartner Marian Lux am Piano.