Ölziehen: Bringt das was?
Ausgiebig schneide ich Grimassen vor dem Badspiegel. 20 Minuten lang bewegen meine Gesichtsmuskeln Sonnenblumenöl durch meinen Mund. Aus Neugier spucke ich es in einen Becher. Das anfangs klare gelbe Öl hat sich in eine milchig weiße Masse verwandelt. Die Erklärung ist einfach: Enzyme im Speichel spalten Fette. So entsteht ein Öl-Wasser-Gemisch. Mein Experiment verdeutlicht, dass die Verdauung bereits im Mund beginnt.
Ölziehen gegen Krankheite
In manchen Kreisen wird die Prozedur aber als Wundermittel gehandelt. Ölziehen (auch Ölsaugen, Ölkauen oder Ölkur) soll gegen Bronchitis, chronische Blutkrankheiten, Darmerkrankungen, Ekzeme, Frauenleiden, Herzprobleme, Hirnhautentzündung, Kopfschmerzen, Lähmungserscheinungen, Magengeschwüre, Nierenleiden, Thrombosen und Zahnschmerzen helfen.
Doch wo sind die Belege für solche Heilsversprechen? Schnell stoße ich bei meiner Recherche auf den Namen Dr. Fedor Karach. Der ukrainische Arzt soll sich selbst und seine Patienten mit dem Ölziehen erfolgreich kuriert haben. Angeblich hat er darüber im Jahr 1991 auf einem Fachkongress berichtet. In der medizinischen Fachliteratur finde ich jedoch keine Publikation von Dr. Fedor Karach. Ohne verlässliche Quelle für die Effekte der Therapie lässt sich diese jedoch nicht beurteilen.
Wissenschaftliche Beurteilung
Die Ursprünge des Ölziehens reichen sehr weit zurück. Bereits vor über 2000 Jahren wird die Methode in ayurvedischen Schriften empfohlen. Es gibt auch Forscherinnen und Forscher, die die Wirkungen des Ölziehens in jüngster Zeit untersucht haben. Fast immer geht es dabei um die Mund- und Zahnhygiene. So kann das Ölziehen die Anzahl der Mundbakterien verringern und Zahnbeläge reduzieren. Allerdings umfassen die Studien einen Zeitraum von allenfalls zwei Wochen. Zu kurz, um etwa einen günstigen Effekt auf Kariesbefall und Parodontitis zu belegen.
Insgesamt sind die Daten sehr dürftig. Ein Forschungsteam aus Großbritannien veröffentlichte im August 2020 eine Analyse aller Publikationen zu den Effekten speziell von Kokosnussöl auf die Zahngesundheit. Die Autorinnen und Autoren fanden insgesamt nur vier aussagekräftige Studien. Drei verglichen das Ölziehen mit dem Spülen durch Wasser, eine mit der Anwendung einer desinfizierenden Lösung.
Fazit der Analyse: Ölziehen könnte sich ergänzend zur üblichen Mundhygiene eignen. Doch bessere Studien sind nötig, um den Nutzen wirklich nachzuweisen. Ich persönlich werde bei Zahnpasta und Zahnseide bleiben. Und mein Sonnenblumenöl bleibt in der Küche.