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Morgens, 3.30 Uhr. Während die meisten Menschen noch schlafen, beginnt in der Großküche des Caterers VielfaltMenü in Berlin-Lichtenberg die Arbeit. Die Firma gehört zu den führenden Anbietern für Kita- und Schulverpflegung in Deutschland, hat bundesweit über 30 regionale Standorte. Das Essen wird dort frisch zubereitet. Am Wareneingang kommt an, was heute in die Töpfe muss – unter anderem eine Tonne Kartoffeln. Kurze Zeit später klappern in der Küche die Deckel, die Dampfkocher rauschen.

15 Frauen und Männer hantieren geschickt mit armlangen Kellen und Schneebesen. Sie rühren, füllen, schwenken – und sind gut gelaunt. Schließlich wissen sie, wofür sie jeden Morgen hier stehen: für die zuverlässige Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Schon bald liegt der Geruch von Mittagessen in der Luft.

In den 300 Liter fassenden Kesseln blubbern Kartoffeln, Erbsen- und Möhrengemüse sowie Reis vor sich hin. Seelachsfilets simmern leise im Dampfgarer. 5000 Portionen bereitet das Team von Culinary Manager Henning Schroedter jeden Tag zu. Eltern oder Einrichtungen können aus drei unterschiedlichen Menüs wählen. Dazu kommen 450 Mahlzeiten für Kinder mit Allergien oder Unverträglichkeiten.

Deutliche Preissteigerungen

Vielerorts müssen Familien fürs Essensgeld mittlerweile tiefer in die Tasche greifen. Neben den Rohstoffpreisen sind die Kosten für Miete, Energie und Lohn gestiegen. Dazu kommt die Mehrwertsteuer, die zu Beginn des Jahres wieder von sieben auf 19 Prozent angehoben wurde. Die Preiserhöhungen betreffen die gesamte Branche. 87 Prozent der Schul- und Kitacaterer haben 2023 die Preise angehoben. 90 Prozent rechnen mit weiteren Preissteigerungen noch in diesem Jahr, so eine Umfrage des Verbandes deutscher Schul- und Kitacaterer.

Ärmel hoch: In der Küche packt Edward Koroma schon vor dem Morgengrauen an, damit das frisch zubereitete Essen mittags in den Kitas auf dem Tisch steht.

Ärmel hoch: In der Küche packt Edward Koroma schon vor dem Morgengrauen an, damit das frisch zubereitete Essen mittags in den Kitas auf dem Tisch steht.

Für viele Eltern ist Kita-Essen inzwischen zu teuer. Abmeldungen bedeuten unter Umständen: Einige Kinder bekommen ein warmes Essen serviert, die anderen nicht. Aus pädagogischer Sicht eine Bankrotterklärung.

Inzwischen fordern Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen, allen Kindern in Kitas, Krippen und Schulen eine warme Mahlzeit aus Steuermitteln zu finanzieren. Der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Beispiel sieht darin einen Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit und für die Prävention von ernährungsabhängigen Krankheiten.

Sogar in der Bevölkerung stößt die Idee einer steuerfinanzierten Mahlzeit auf breite Zustimmung. Vor einigen Monaten empfahl der Ernährungsrat – ein Gremium, das den Querschnitt der Bevölkerung abbildet und die Bundesregierung in Sachen Ernährungspolitik berät –, Finanzmittel für eine künftige Kindergelderhöhung lieber für das kostenfreie Mittagessen umzuwandeln.

Utopie kostenloses Kita-Essen?

VielfaltMenü begrüßt eine Bezuschussung der Verpflegung durch den Staat. Eine komplette Übernahme der Kosten habe jedoch auch Nachteile. In Berlin, wo das Essen komplett aus Steuermitteln finanziert wird, sei der Anteil an Lebensmittelresten deutlich höher als an anderen Standorten in Deutschland, gibt Geschäftsführer Markus Grube zu bedenken. Das sei nicht nachhaltig und verursache doppelte Kosten: in der Zubereitung und in der Entsorgung. Und Zuschüsse alleine reichen nicht aus, um die aktuellen, teilweise massiven Preisanstiege abzumildern.

Bundesweit essen 78 Prozent der Kinder unter sieben Jahren mittags in einer Betreuungseinrichtung, etwa in der Kita. Sie nehmen hier circa 40 Prozent der Gesamtenergie des Tages zu sich. „Ein gesundes Mittagessen ist eine wichtige Basis für eine gute körperliche und geistige Entwicklung der Kinder“, sagt Sonja Fahmy. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin und Expertin für die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Und unabhängig von der Kostenfrage ist es für Eltern eine wichtige Unterstützung, wenn ihr Kind in der Kita ein vollwertiges Essen bekommt.

Chicken-Nuggets: Beliebt, aber ungesund

Doch leider ist Kita-Essen in vielen Fällen nicht wirklich gesund. Es kommt zu häufig Fleisch und Frittiertes und zu wenig Obst und Gemüse auf den Tisch. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die die Speisepläne von 1408 Kitas unter die Lupe nahm. „Allerdings gibt es sehr große Unterschiede in den Einrichtungen“, so Sonja Fahmy. Manche Träger bieten hervorragende Mahlzeiten in Bioqualität und täglich frisches Obst an, andere tischen jede Woche Chicken-Nuggets auf. Die DGE hat daher schon vor etwa fünfzehn Jahren Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kitas, Krippen und Schulen entwickelt.

Doch diese Standards sind nur in wenigen Bundesländern wie dem Saarland oder Berlin verpflichtend für die Essensanbieter. Bundesweit ist deshalb nur ein Teil aller Kitas und Schulen inklusive Caterern entsprechend zertifiziert. „Das heißt natürlich nicht, dass alle anderen Caterer zwingend eine schlechte Qualität anbieten“, sagt Sonja Fahmy. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir plant im Rahmen der Ernährungsstrategie, die Qualitätsstandards bundesweit umzusetzen. Wie weit der Grünen-Politiker hier kommt, ist allerdings fraglich. Denn die Verpflegung in Kitas und Schulen ist Ländersache. Ein Caterer und 5000 Kita-Essen pro Tag.

„Ein gesundes Mittagessen ist eine wichtige Basis für eine gute körperliche und geistige Entwicklung der Kinder“

Von der Küche in die Kita

Zurück in der Küche des Caterers VielfaltMenü, der nach DGE-Standards kocht. Inzwischen ist es acht Uhr, das Essen ist fertig. Jetzt geht alles sehr schnell, niemand aus dem Team darf im Weg stehen. Mit ausladenden Bewegungen und der nötigen Muskelkraft füllt Koch Edward Koroma das Erbsen-Möhren-Gemüse in silberne Edelstahlbehälter, die auf einer Waage stehen. Die Menge an Fleisch, Fisch, Gemüse oder Kohlenhydraten, die ein Kind in einer Kita erhält, wird gemäß den Ernährungsempfehlungen der DGE festgelegt und in Absprache mit den Einrichtungen angepasst. Nachdem die Speisen abgefüllt sind, kommen die Behälter in gelbe oder schwarze Thermoboxen.

Culinary Manger: Henning Schroedter behält im Blick, wie sein Team das letzte Mal durch die Kessel rührt, bevor das Essen abgefüllt wird.

Culinary Manger: Henning Schroedter behält im Blick, wie sein Team das letzte Mal durch die Kessel rührt, bevor das Essen abgefüllt wird.

Mit gelben Boxen werden die Kitas beliefert, die „Warmkost“ bestellt haben – das Essen wird dafür direkt nach dem Kochen heiß abgefüllt und in Thermobehältern warm gehalten. Wer die schwarzen Kisten erhält, bekommt Mahlzeiten nach dem Verfahren „Cook & Chill“: Kurz vor Ende des Garprozesses werden die Gerichte auf ein bis vier Grad Celsius heruntergekühlt, ausgeliefert und in der Kita nochmals erwärmt. Sie sind nach einer Ruhezeit verzehrfertig. Besonders praktisch für Tagesstätten, die etwas weiter von der Küche entfernt liegen oder flexible, längere Pausenzeiten haben.

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Abnehmen - die Rolle der Großeltern

Essverhalten schauen Kinder nicht nur von den Eltern ab. Auch bei Oma und Opa lernen sie, wie man gesund kocht und isst, weiß Dr. Susanna Wiegand zum Artikel

Bundesweit servieren 55 Prozent der Einrichtungen Warmkost von externen Dienstleistern. Nur knapp elf Prozent wählen „Cook&Chill“-Gerichte. „Eine gute Verpflegungsqualität lässt sich prinzipiell mit jedem System erreichen“, sagt Sonja Fahmy. Wichtig sei eine möglichst kurze Warmhaltezeit. So blieben mehr Vitamine erhalten und das Essen schmecke besser. Inklusive Transport liegen bei VielfaltMenü zwischen Abfüllung und Ausgabe maximal drei Stunden.

Lust auf Grünzeug kann man lernen

Die Kisten mit den Speisen stehen inzwischen draußen auf der Laderampe. Weiße Transporter warten mit offenen Türen, um Seelachs, Brühreis und Kartoffeln in Berlin und Brandenburg zu verteilen. Daneben stehen Kisten mit tiefroten Äpfeln bereit. In interessierten Kitas bietet der Caterer Vitamin-Naschtheken mit Obst und Projekte zur Ernährungsbildung an.

Abstransport: Aus der Küche kommen die Mahlzeiten auf die Laderampe, von dort in die Lieferwagen.

Abstransport: Aus der Küche kommen die Mahlzeiten auf die Laderampe, von dort in die Lieferwagen.

Kindern mit Steuergeld gesundes Essen spendieren? In Zeiten knapper Kassen klingt das etwas verwegen. Andererseits waren 2021 schon 3,7 Prozent der Kinder bis vier Jahre stark übergewichtig[1]. Adipositas und schlechte Ernährung wiederum begünstigen Krankheiten wie Typ-2-Diabetes. Auch Jugendliche können diesen „Altersdiabetes“ bekommen: 2022 gab es in Deutschland etwa 170 Neuerkrankungen pro Jahr. Die Tendenz ist steigend, die Dunkelziffer vermutlich hoch. [2]Ernährungsbedingte Gesundheitsprobleme belasten das Sozialsystem. Schon heute fließt etwa jeder zehnte Euro der Krankenversicherungsbeiträge in die Therapie von Diabetes und den Folgeerkrankungen.

Frühes Essen ist prägend

Egal, wie man zur Kostenfrage steht – Essen in der Kita hat einen enormen Einfluss darauf, wie sich Menschen als Erwachsene ernähren. „Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass Geschmacksvorlieben, die Kinder in den ersten Lebensjahren entwickeln, ein Leben lang erhalten bleiben“, sagt Prof. Dr. Katja Kröller, Ernährungspsychologin an der Hochschule Anhalt. „Das frühe Essen ist besonders prägend.“

In keiner Phase kann man Menschen leichter für gesundes Essen begeistern. Vor diesem Hintergrund kann sich einem beim Blick auf Kinderspeisekarten in Restaurants und leider auch Kitas buchstäblich der Magen umdrehen. Es ist nämlich kein Naturgesetz, dass Kinder auf Dino-Nuggets, fettige Würstchen und Pommes stehen. Kinder mögen diese Speisen, weil sie sie häufig vorgesetzt bekommen.

Und die Eltern? Die spielen ja auch eine wichtige Rolle in Sachen gesundes Essen – oder? „Viele Eltern wollen beim Thema Ernährung alles richtig machen und sind sehr bemüht“, so die Erfahrung von Katja Kröller. Zu bemüht! Das Thema wird beim Abendbrot schnell zum Kleinkrieg. Den verlieren so gut wie immer die Eltern. Die Expertin rät, keinen Druck zu machen, keine Speisen zu verbieten, Kinder nicht dazu zu zwingen, Gemüse zu probieren. „Zelebrieren Sie gutes Essen. Versuchen Sie, oft frisch zu kochen und bieten Sie Ihrem Kind vielfältige Speisen an“, rät sie.

„Gerade Babys sind sehr neugierig. Nutzen Sie diese Phase und lassen Sie die Kleinen viele Lebensmittel probieren.“ Ab etwa zwei Jahren werden Kinder wieder weniger experimentierfreudig in Sachen Speiseplan. „Und es gibt auch Kinder, die sind leider extrem unflexibel, was neue Speisen angeht“, so Kröllers Erfahrung. Da brauchen Eltern Geduld und gute Nerven. Und das Umfeld in der Kita als Unterstützung: Denn andere Kinder und die Erzieher und Erzieherinnen sind beim gemeinsamen Essen ein wichtiges Vorbild.


Quellen:

  • [1] WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK): Gesundheitsatlas Deutschland, Adipositas (Fettleibigkeit). Online: https://www.gesundheitsatlas-deutschland.de/... (Abgerufen am 23.04.2024)
  • [2] Deutsche Diabetes Gesellschaft, Deutsche Diabetes Hilfe: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2022, Die Bestandsaufnahme. Online: https://www.ddg.info/... (Abgerufen am 23.04.2024)
  • NQZ: Nationales Qualitätszentrum Für Essen in Kita und Schule, NQZ. NQZ: https://www.nqz.de/... (Abgerufen am 24.04.2024)