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Viele Eltern stellen sich die Sache mit dem Essen einfach vor: Irgendwann, wenn Brust oder Fläschchen nur noch Nebensache sind, fangen die Kinder von selber an. Die meisten bekommen erstmal Brei, manche gleich stückige Nahrung. Und nach dieser Übergangszeit sitzt die ganze Familie zusammen und isst – alle das gleiche, alle gemeinsam, allen schmeckt es.

Eine schöne Vorstellung. Mütter und Väter merken dann aber oft schnell: So reibungslos klappt es doch nicht mit der so genannten Familienkost. Viele Kinder mögen kein Gemüse, sondern lieber Süßes, wollen nicht am Tisch sitzen bleiben, sondern lieber spielen, essen sich nicht satt, sondern snacken dafür ständig. Die Liste ließe sich um viele weitere Punkte verlängern. Und bei den Eltern dreht sich das Gedanken­karussell: Bekommt das Kind genug Nährstoffe? Entwickelt es sich bei dieser Ernährung gesund? Eignet es sich so nicht auf Dauer falsche Essgewohnheiten an? Auch diese Liste ließe sich um viele weitere Punkte verlängern.

Unsere Expertinnen beruhigen: Zwar tragen wir Eltern eine große Verantwortung, unseren Kindern eine gute Beziehung zu gesundem Essen mit auf den Weg zu geben. „Kinder lernen am Vorbild der Erwachsenen. Damit steht und fällt die gesamte Ernährungserziehung“, sagt Professorin Ma­thilde Kersting vom Forschungs­department Kinderernährung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendgesundheit Bochum.

Zu viel Druck sollten ­Eltern sich aber auch nicht machen. Professorin Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung am Max Rubner-Institut in Karls­ruhe, betont: „Eltern müssen nicht jeden Tag rechnen: ,Wie viel hat mein Kind wovon gegessen?‘“ Wichtig sei, dass die Ernährung vielfältig ist, dass Kinder verschie­dene gute Lebensmittel probieren können und Spaß an den Mahlzeiten haben. Denn die ersten Lebensjahre prägen sowohl den Geschmack als auch das Essverhalten, erklärt Ensenauer. „Das ist eine Chance für ­Eltern: Was mir schmeckt und wie ich Mahlzeiten gerne ge­stalte, das kann ich an mein Kind weitergeben.“

Klar, ganz ohne Hindernisse gelingt das in den meisten Fällen nicht. Neun wichtige Fragen und Antworten, wie Sie mit Problemen am Ess­tisch umgehen können und wie ­eine gesunde, leckere Ernährung in der Praxis funk­tioniert.

Woran erkenne ich eigentlich, dass mein Kind bereit für die Familienkost ist?

Prof. Dr. Mathilde Kersting vom Forschungsdepartment Kinderernährung, Bochum: Kleinkinder können und dürfen alles essen, was sie schon gut beißen und kauen können – sobald sie also esstechnisch dazu in der Lage sind. In den ersten drei Lebensjahren sollten sie nur noch keine rohen tierischen Lebensmittel bekommen, um die Gefahr von Lebensmittelinfektionen zu senken. Das könnte für ihr noch nicht aus­gereiftes Immunsystem schwer zu bewältigen sein. Also etwa keine rohe Wurst, Rohmilchkäse, Sushi mit rohem Fisch oder Speisen mit rohen Eiern geben.

Aufpassen sollte man außerdem bei kleinen, harten Lebensmitteln, die leicht verschluckt werden können, wie etwa Erdnüsse, weil so etwas in die Luftröhre geraten kann. Hartes Gemüse, wie zum Beispiel Karotte, muss eventuell noch leicht ge­dünstet werden, damit die Kleinen es essen können. Gewürzte Speisen sind in Ordnung, wenn Sie Salz und Gewürze sparsam verwenden. Wichtig ist, dass Sie jo­dier­tes Salz nehmen. Das Jod brauchen Kinder für ihre Entwicklung. Erwarten Sie nicht, dass Ihr Kleinkind sofort alles isst, was auf den Tisch kommt. Kinder gewöhnen sich Schritt für Schritt an die für sie zunächst fremden Lebensmittel. Gut kommt es oft an, Essen als Fingerfood anzubieten, also so, dass es die Kinder in die Hand nehmen können.

Mein Kind isst zwar verschiedene Obstsorten, aber ­überhaupt kein Gemüse. Was kann ich tun?

Daniela Leder, Referentin am Landeszentrum für Ernährung Baden-Württemberg (Landesinitiative Bewusste Kinderernährung), Schwäbisch Gmünd: Fangen Sie zum Beispiel mit den süß und mild schmeckenden Gemüsearten an. Kürbis, Karotte, Tomate, Gurke und Paprika kommen bei Kindern meistens am besten an. Versuchen Sie immer wieder, das Interesse zu wecken und Lust auf das Gemüse zu machen. Probieren Sie auch unterschiedliche Konsistenzen. Manche Kinder mögen gedünstetes Gemüse, also weich und lauwarm. Die meisten aber finden Rohkost leckerer. Auch Farbe und Form spielen eine Rolle. Vielleicht kommt die orangefarbene Paprika besonders gut an. Manche Kinder mögen Streifen und Raspel lieber als ­Scheiben. Zeigen Sie beim Essen auch selbst, dass Ihnen das jeweilige Gemüse schmeckt.

Wichtig zu wissen: Kinder müssen manchmal bis zu 20 Mal mit einem Lebensmittel in Kontakt kommen, bis sie es akzeptieren. Es ist auch okay, wenn etwas abgelehnt wird. Aber nicht aufgeben, sondern immer wieder anbieten und ohne Zwang und Druck zum Kosten ermuntern. Hilfreich ist auch, das Kind bei Einkauf, Ernte und Zubereitung mit einzubinden. So sieht es, wo das Gemüse herkommt, wie es im Naturzustand aussieht. All das macht Lust, es selber zu essen. Gesundheitsbewusste Eltern über­schätzen vielleicht auch manchmal die nötige Ge­müse­­menge. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt: ‚Fünf am Tag‘, also drei Por­tionen Gemüse und zwei Portionen Obst. Bei Kindern ist die eigene Hand das Maß für eine Portion.

In der Kita bekommt mein Kind leider kaum Gemüse, aber öfter mal süße Mittagessen und viele nährstoffarme Weißmehlprodukte. Kann ich das mit anderen Mahlzeiten ausgleichen?

Daniela Leder: Ja, Eltern sollten dann darauf achten, dass das Essen zu Hause wirklich ausge­wogen ist. Kleine Kinder brauchen täglich drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten, damit sie über den Tag verteilt genug Energie haben. Es gibt also mehrere Gelegenheiten, Gemüse, Obst, Milch- und Vollkornprodukte zu essen. Am Nachmittag können Sie etwa buntes Gemüse oder Obst in Streifen geschnitten mit einem kleinen Quark als Dip geben. Und abends einen sehr hohen Gemüseanteil anbieten, etwa Vollkornnudeln mit Gemüsesoße. Generell können Sie zu Hause stark auf Vollkornprodukte setzen. Vollkornbrot mit feinem Mehl akzeptieren auch viele Kinder. Zusammen mit Frischkäse und einer Kinderhand voll Gemüse ist das ein ausgewogenes Abendbrot.

Wie befülle ich die Brotdose für den Kindergarten attraktiv und gesund?

Daniela Leder: Die Brotzeit mit Gemüse und Obst bunt machen, mit Formen spielen und viel Abwechslung reinbringen. Bieten Sie Obst und Gemüse unterschiedlich an, mal in Streifen, mal in Scheiben. Ein zusammengeklapptes Brot mit Gemüseaufstrich zum Beispiel in Rauten oder in kleine Quadrate schneiden. Auch Müsli kommt gut an, zum Beispiel Haferflocken, separat dazu Natur­joghurt und ebenfalls separat klein geschnittenes Obst. Kinder mögen es oft lieber, wenn noch nicht alles miteinander vermischt ist. Toll sind dafür Brotboxen mit Trenn-Einrichtungen.

Aber nicht alles auf einmal versuchen: Sehr kleine Kinder sind leicht überfordert, wenn sie in einer Box zu viele ver­schiedene und neue Dinge finden. Neue Lebensmittel daher mit Bekanntem kombinieren. Und: Für Kinder wirkt zum Beispiel das gleiche Brot in einer anderen Form gebacken wie ein anderes Produkt. Eine Brotbox ist ­immer auch eine Verbindung mit der Familie. Die Kinder sehen dann in der Kita: Meine Eltern haben an mich gedacht. Liebe muss nicht über Süßes funktionieren. Es kann zum Beispiel das Lieblingsgemüse dabei sein oder ein gemalter Smiley auf der Banane. Süßigkeiten oder Lebensmittel mit Kinder-Optik gehören nicht in die Brotbox.

Mein Kind bleibt nicht am Tisch ­sitzen, sondern steht oft nach ­wenigen Bissen wieder auf. Es wird gar nicht richtig satt und will kurze Zeit später wieder etwas essen.

Prof. Dr. Katja Kröller, Ernährungspsychologin an der Hochschule Anhalt, Bernburg: Da kann man ruhig fragen: ,Magst du nicht noch kurz sitzen bleiben und etwas essen?‘ Wenn ja: wunderbar. Wenn das Kind nicht möchte, darf es weggehen. Aber: Bis es dann wieder etwas zu essen gibt, lassen Sie Ihren Nachwuchs am besten etwas warten. Das heißt: Natürlich auf keinen Fall hungern lassen, aber eben auch nicht ungefragt einen Snack anbieten. Und den Abstand, bis es die nächste Zwischenmahlzeit gibt, immer etwas vergrößern.

Generell sind lange Mahlzeiten oder solche, bei denen die Art des Essens eintönig ist, für viele Kinder ­schwierig. Suppe ist oft eine Katastrophe. Es dauert lange sie zu essen, sie wird monoton gelöffelt und jeder Löffel schmeckt gleich. Besser sind ver­schiedene Komponenten wie Kartoffeln oder Nudeln und Gemüse: So sind die Kinder beim Aufpieksen motorisch gefordert und können zwischen verschiedenen Geschmacksrichtungen wählen. Erwarten Sie nicht zu viel: Wenn kleine Kinder zehn Minuten am Tisch bleiben, ist das schon super.

Wir treffen am Nachmittag oft den besten Kita-Freund meiner Tochter. Er bekommt ständig Quetschbeutel und Süßigkeiten. Meine Tochter will das dann auch. Andernfalls schreit sie sich die Seele aus dem Leib.

Katja Kröller: Manchmal klappt es vielleicht, dass das Kind die eigenen Snacks isst, ohne auf die der anderen Kinder zu achten. Wenn diese aber erstmal als besonders reizvoll aufgefallen sind, wird es ganz ohne Traurigkeit oder Wut beim Nachwuchs wohl nicht ausgehen. Komplett verbieten sollte man Quetschbeutel und Co. vom Spielkameraden ohnehin nicht. Das würde nur den Reiz erhöhen. Manchmal sind Eltern auch einfach machtlos: Dann, wenn die Kinder Essen tauschen. Das sollten Sie nicht unterbinden, sondern sich denken: Nun habe ich etwas Gutes für das andere Kind getan.

Bei den Großeltern isst mein Kind ungesund und alles wild durcheinander – wie soll ich damit umgehen?

Katja Kröller: Das hängt davon ab, wie häufig das Kind zum Essen bei den Großeltern ist. Wenn es nur alle zwei Wochen oder noch seltener dort isst, dann ist es völlig okay, dass der Speise­plan mal nicht so optimal ist. Dann gilt: andere Umgebung, andere Regeln. Viele Großeltern genießen es, ihre En­- kel zu verwöhnen – und das ist für beide Seiten schön. Isst das Kind allerdings häufiger bei Oma und Opa, sollten Sie versuchen, in Sachen Ernährung Kom­promisse mit Ihren Eltern oder Schwie­ger­eltern zu finden.

Wenn mein Kind zu Abend essen soll, habe ich oft noch gar keinen Hunger. Reicht es, wenn ich einfach dabeisitze?

Katja Kröller: Nein. Sie sollten auch etwas essen. Kin­der merken, wenn man nur zuschaut und verlieren so selber die Lust am Essen. Außerdem haben sie so kein Vorbild in Sachen gesunder Nahrungsauswahl. Aber Kinder zählen die Bissen nicht. Sie können sich mit einem Teller mit etwas Gemüse oder einer halben Scheibe Brot dazu setzen. So essen Sie, übergehen aber nicht Ihr eigenes Hunger- und Sättigungsgefühl.

Daniela Leder: Niemand sollte sich zum Essen ohne Hunger gezwungen fühlen – auch Eltern nicht. Aber machen Sie sich bewusst, dass Ihr Kind von Ihnen als Vorbild lernt. Beim Essen geht es nicht nur um Nahrungsaufnahme, sondern auch um Austausch und Beziehung. Kinder nähern sich einem Lebensmittel an, wenn Mama und Papa es auch essen. Das Kind erweitert nebenbei seinen Wortschatz, wenn Sie Dinge benennen. Wie heißt dieser Käse oder dieses Gericht? Man kann sich auch mal vom Kind füttern lassen, wenn man selber nicht den großen Hunger hat. Wichtig ist die Gemeinschaft und die ungeteilte Aufmerksamkeit. Das heißt: Nebenbei bitte nicht auf Handy oder Fernseher schauen. Dafür gerne über das Essen reden: ,Hör mal, wie die Paprika knackt beim Kauen.‘ Das macht Lust darauf, es selber auch zu probieren.

Unsere Familie ernährt sich vegetarisch, eigentlich am liebsten sogar vegan. Ist das für mein kleines Kind okay?

Prof. Dr. Regina Ensenauer vom Institut für Kinderernährung, Karlsruhe: Von einer rein veganen Ernährung für kleine Kinder rate ich ab, wie auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Gefahr eines Nährstoffmangels ist zu groß. Vegetarische Ernährung ist eher möglich, erfordert aber ausreichend Kenntnisse und kompetente Beratung. Bisher gibt es kaum Studien zu den Langzeitwirkungen dieser Er­nährungsformen. Vegetarier – und erst recht Veganer – sollten zum Beispiel Vitamin B 12, das vor allem in Fleisch und anderen tierischen Produkten vorkommt, über Nahrungsergänzungs­mittel zu sich nehmen. Es ist aber unklar, ob Supplemente genauso wirksam für die Entwicklung sind, wie die Nährstoffe und Vitamine aus tierischen Produkten. Je vielfältiger die Ernährung von Kindern ist, desto besser.