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Riesige Bleche, darauf dünne Schichten einer bräunlichen feuchten Masse, ein deutlicher Fischgeruch. Dr. Lena Kopp hat sich gerade die frische Algenernte geholt. „Die meisten kennen Algen nur als Zutat zu Misosuppe oder Sushi“, erklärt die Biologin. „Wir arbeiten hier mit Mikroalgen. Im Meer, wo sie natürlicherweise leben, würde man sie gar nicht sehen, so klein sind sie. Aber diese hier kommen aus der Zucht und kleben zu Tausenden zusammen.“

Getrocknet und zerrieben liefern sie ein Pulver, mit dem Kopp in der Versuchsküche experimentiert. Wie gesund ist die Mikroalge? Taugt sie als Lebensmittel? Das prüft Lena Kopp in ihrer Doktorarbeit an der Universität Hohenheim.

Algen als neue Nahrungsquelle

Algen gelten als Nahrung der Zukunft. Die Weltbevölkerung nimmt zu. „Bis 2050 werden wir um 70 Prozent mehr Kalorien ­benötigen als 2013“, weiß Kopp. Noch sind Fleisch, Fisch und Milchprodukte die Haupt-Eiweißlieferanten. Doch die Meere sind überfischt, die Massentierhaltung trägt zum Klimawandel bei. „Wir brauchen dringend neue Nahrungsquellen“, so die Forscherin.

Bis 2050 werden wir um 70 Prozent mehr Kalorien ­benötigen als 2013

Hülsenfrüchte, Getreide und Nüsse werden bereits zu Eiweißalternativen verarbeitet: Tofu statt Fleisch, Haferdrink statt Milch. Nur beim Fisch hapert es.­ „Was bisher an Ersatzprodukten auf dem Markt ist, sieht zwar aus wie Fisch und schmeckt auch so, liefert aber nicht dessen wichtige Inhaltsstoffe“, so Kopp und meint die langkettigen Omega-3-Fettsäuren. Algen können sie liefern.

Wertvoller Nährstofflieferant

Ausgerechnet Algen! Viele verbinden damit ein grünbraunes, schleimiges Etwas, das ans Ufer gespült den Geruch von faulen ­Eiern verbreitet – eklig. Lena Kopp sind solche Gefühle fremd. Schon als Kind hat sie im Familienurlaub am Watten­meer angeschwemmte Muscheln, Reste von Oktopus, Fischeier und Algen gründlich inspiziert: „Ich träumte davon, Meeresbiologin zu werden.“ Wasser ist überhaupt ihr Element: Sie war viele Jahre Leistungsschwimmerin. „Da ist die richtige Ernährung enorm wichtig, ich habe mich intensiv damit beschäftigt.“

So war der Weg zur Algenforscherin nicht weit. Begeistert beschreibt sie ihr Versuchsobjekt Phaeodactylum tricornutum. Jede Mikroalge ist nur eine Zelle groß, hat es aber in sich: Sie bildet extraviel von den kostbaren Omega-3-Fettsäuren, die sonst nur fetter Fisch liefert. Und der nimmt sie letztlich auch über Algen auf. Die Idee ist nun, Algen direkt als Lebensmittel zu nutzen. Zumal Forschende mit weiteren Gesundheitsvorteilen rechnen.

Keine Gefahr durch den Verzehr von Algen

­Einige Kilometer weiter, in Stuttgart-Vaihingen, wird die Alge in Photobioreaktoren am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik kultiviert. In etwa einen Meter hohen, schmalen, durchsichtigen Tanks sprudelt eine hellbraune Flüssigkeit. Schläuche führen Nährlösung aus großen Flaschen zu. Messinstrumente kontrollieren die Wachstumsbedingungen.

Nach wenigen Tagen haben sich die Algen zu einer dicken braunen Suppe vermehrt und sind erntereif. „Mikroalgen wachsen viel schneller als Landpflanzen, verbrauchen in ihren Reaktoren kaum Land, aber viel CO2 und können regional angebaut werden“, sagt Kopp. „Das sind klare Vorteile fürs Klima.“

Mikroalgen wachsen viel schneller als Landpflanzen, verbrauchen in ihren Reaktoren kaum Land, aber viel CO2 und können regional angebaut werden. Das sind klare Vorteile fürs Klima.

Eine Herausforderung jedoch ist der Geschmack. Umso mehr, als Lena Kopp die ­Alge als Ganzes verwenden und ein Gericht kreieren will, das mit einer Portion das Tagessoll an Omega-3-Fettsäuren erfüllt. ­Erster Anlauf: ein Algensmoothie, fix angerührt, sehr praktisch. Zwei Wochen lang tranken gesunde Testpersonen täglich eine Portion davon. Danach konnte Kopp in deren Blut ähnlich hohe Mengen an Omega-3-Fettsäuren messen wie nach der Einnahme von Fischölkapseln oder dem Verzehr von Lachs.

Auch wichtig: Die untersuchten Blut- und Stuhlwerte ­waren unauffällig, es besteht also keine Gefahr durch die Alge. So gesehen: Ziel erreicht. Doch nicht alle Teilnehmenden hielten bis zum Ende durch, der Smoothie schmeckte ihnen einfach nicht.

Tortellini, hergestellt aus der Mikroalgen-Zucht von Dr. Lena Kopp.

Tortellini, hergestellt aus der Mikroalgen-Zucht von Dr. Lena Kopp.

Viele offene Fragen

Lena Kopp ließ sich davon nicht beirren. Probierte es mit Algen in Blätterteig und Flammkuchen. Erst mit den Tortellini mit Algen-Basilikum-Bärlauch-Füllung war sie selbst zufrieden. Für eine ­Verkostungsstudie fertigte sie hunderte Stück davon in Handarbeit an. Auch die Versuchspersonen mochten die Pasta.

Sie ist nun Basis für weitere Versuche. Denn um die Mikroalge in Lebensmitteln verwenden zu dürfen, ist noch viel ­Forschungsarbeit nötig. Die Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union sieht nämlich vor, dass ein Lebensmittel, das vor 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang konsumiert wurde, erst ausdrücklich zugelassen werden muss. „Dafür muss man zum Beispiel nachweisen, dass das ­Lebensmittel sicher ist“, erklärt Algenforscherin Kopp. Löst die Alge auch keine Allergien aus? Wie schnell werden die Omega-3-Fette aufgenommen? Diese Fragen wird die Biologin als Nächstes klären.

Ihr Vertrag an der ­Universität Hohenheim läuft bis Ende 2024. Was danach kommt: unklar. Aber ihr Engagement ist ungebrochen. Gerade hat sie einen Industriepartner gefunden. Kopp strahlt: „Jetzt geht es von der Forschung in die Anwendung.“ Doch sie bleibt realistisch: „Bis wir Phaeodactylum auf dem Teller haben, vergehen noch drei bis fünf Jahre.“ Sie wäre gern mit von der Partie, wenn es so weit ist. „Ich arbeite seit vier Jahren mit Mikroalgen, aber sie faszinieren mich jeden Tag aufs Neue.“


Quellen:

  • UN: World must sustainably produce 70 per cent more food by mid-century – UN report. https://news.un.org/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Uniper SE: Was essen wir 2050?. https://www.uniper.energy/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Fraunhofer IGB: Algen als Lebensmittel. https://www.fraunhofer.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • wwf: Essen wir das Klima auf? . https://www.wwf.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Stiefvatter L, Lehnert K, Frick K, et al: Oral Bioavailability of Omega-3 Fatty Acids and Carotenoids from the Microalgae Phaeodactylum tricornutum in Healthy Young Adults. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Stiefvatter L, Neumann U, Rings A, et al: The Microalgae Phaeodactylum tricornutum Is Well Suited as a Food with Positive Effects on the Intestinal Microbiota and the Generation of SCFA: Results from a Pre-Clinical Study. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Stiefvatter L, Frick K, Lehnert K, et al: Potentially Beneficial Effects on Healthy Aging by Supplementation of the EPA-Rich Microalgae Phaeodactylum tricornutum or Its Supernatant—A Randomized Controlled Pilot Trial in Elderly Individuals. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Tingö L, Hutchinson AN, Bergh C, et al: Potential Modulation of Inflammation by Probiotic and Omega-3 Supplementation in Elderly with Chronic Low-Grade Inflammation—A Randomized, Placebo-Controlled Trial. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.03.2024)