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Nachgefragt! Folge 295 mit Dr. Andreas Dräger

Das Transkript zur Folge 295 mit Dr. Andreas Dräger:

Ein Interview über ein Computermodell, das die Medikamentenentwicklung unterstützt mit...

Mein Name ist Andreas Dräger, ich bin Juniorprofessor für Systembiologie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Systembiologie ist ein Teilbereich der Bioinformatik. An der Schnittstelle zum Bio-Ingenieurwesen und der Molekularbiologie.

Was kann Ihr Computermodell leisten?

Unser Computermodell kann simulieren, was passiert, wenn eine Zelle von dem Virus SARS-CoV-2 befallen ist. Und welche Vorgänge dann ablaufen. Welche verstärkt ablaufen. Und wo man da vielleicht eingreifen könnte.

Wir haben das Modell erst ganz vor Kurzem noch einmal für die ganzen Virusmutanten, die gerade grassieren, aktualisiert und auch noch mal mit neuen Daten hinterlegt. Es war ja im Februar letzten Jahres nicht so viel bekannt. Zum Beispiel war gar nicht genau bekannt, wie viele Viruskopien sich wohl in einer Zelle bilden würden. Diese Zahlen stehen jetzt zum Beispiel zur Verfügung. Auch noch einige andere.

Wir konnten einbinden, wie viel Fett tatsächlich in der Hülle gebraucht wird und so weiter. Und konnten das jetzt auch konkret auf die aktuellen Virusmutanten, insbesondere die Delta-Variante, anwenden. Und das hat unsere Ergebnisse bestätigt, die wir vorher schon hatten. Und auch das konnte gerade von einer Fachjury begutachtet werden und ist gerade erst erschienen.

Wie funktioniert das Computermodell?

Sie können sich das vorstellen wie beim Hausbau. Sie brauchen so und so viele Ziegel, so und so viel Mörtel, Sie brauchen Dachziegel... Und das wissen Sie alles vorher, was Sie da brauchen. So ist das Virus auch.

Das Virus braucht Material, um sich zu reproduzieren. Und dieses Material muss irgendwo herkommen. Und dieses Material bekommt das Virus vom Wirt, und zwar vom Stoffwechsel des Wirtes. Und muss es dort absaugen, sozusagen. Und wenn Sie wissen, welches Material es genau ist, und wie viel davon, können Sie herausfinden, was denn der Stoffwechsel des Wirtes bereitstellen muss, damit das Virus sich reproduzieren kann.

Ganz wichtig auch noch, Sie müssen wissen, wie viele Viruskopien es in einer Zelle dann gibt. Und dann können Sie das eigentlich alles ganz gut zählen, wie viel Material man braucht. Im Fall von einem Virus sind das dann Proteine, Fettsäuremoleküle oder irgendwelche Nukleotide in bestimmten Mengen.

Und sobald Sie das alles wissen, können Sie auch ausrechnen, wo mögliche Störpunkte sind. Wo man diesen ganzen Prozess stören kann, sodass das Virus sich eben nicht mehr vervielfältigt, wenn Sie eben bestimmte Materialien nicht mehr zur Verfügung stellen.

Welche Ziele verfolgen Sie mit den Berechnungen?

Wenn Sie jetzt systematisch alle Prozesse durchgehen, die in der Zelle stattfinden, und einen nach dem anderen ausschalten, dann können Sie rausfinden, welche dabei die Virusproduktion stoppt, ohne dass die menschliche Zelle selbst Schaden nimmt. Es gibt manche Stoffe, die braucht das Virus unbedingt. Die sind aber für den Menschen nicht ganz so entscheidend. Und wenn Sie rausfinden, wo man da intervenieren kann, dann haben Sie eine Stelle gefunden, wo ein Medikament angreifen könnte. Und genau das haben wir gemacht.

Im Computermodell konnten wir tausende von Reaktionen einfach so ausschalten. Was im Experiment im Labor normalerweise gar nicht möglich ist in diesem Umfang. Und dadurch konnten wir herausfinden, wo man das Virus wirklich gut in seiner Reproduktion hemmen kann.

Wie werden die Berechnungen in der Praxis überprüft?

Als Nächstes muss man unbedingt ins Labor zurückgehen. Und muss schauen, dass das, was wir da vorhergesagt haben, dass man das alles überprüft. Ob sich das dann also auch bestätigt. Und wenn das erfolgreich ist, hat man da eine Stelle, wo man mit einem Medikament ansetzen kann. Aber unsere Tests haben schon ergeben, dass da sehr vielversprechende Ergebnisse vorliegen, wo man also sehr gut intervenieren könnte.

Und interessanterweise haben wir auch gefunden, dass gerade bei diesen aktuell grassierenden Virusmutanten wie Delta, Alpha und so weiter, ebenfalls dieselbe Stelle eine Schwachstelle wäre.

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„Nachgefragt!“ ist ein Videopodcast und befasst sich mit allen Aspekten rund um die Corona-Pandemie: Wir sprechen mit Expert:innen aus Medizin, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch mit Menschen, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Dabei kommt ein breites Spektrum von Menschen in den unterschiedlichsten Positionen zu Wort, von der Soziologin bis zum Labormediziner, vom Hautarzt bis zur pflegenden Angehörigen.

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