Die Eltern brauchen Pflege? Zeitig reden und kümmern!
Innerhalb weniger Tage einen Pflegedienst für Opa finden? Nahezu unmöglich, zeigt eine Umfrage aus dem Frühjahr 2023. Demnach mussten 89 Prozent der ambulanten Pflegedienste in den vergangenen sechs Monaten Neukunden ablehnen – und 29 Prozent konnten Leistungen von Bestandskunden nicht aufstocken. Der Hauptgrund: es fehlt an Personal. Für die Umfrage hatte der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP) und der Diakonie Deutschland mehr als 650 ihrer Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste befragt.
Was tun? Pflegebedürftigkeit entsteht oft schleichend. Selbst wenn also die eigenen Eltern oder Großeltern bislang noch wenig Hilfe benötigen – Betroffene und Angehörige sollten sich angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege frühzeitig um passende Angebote kümmern. Anlaufstellen finden Sie hier:
Doch wie spricht man innerhalb der Familie darüber? „Du brauchst Hilfe – mit diesem Satz kommt man nicht weit“, sagt Petra Schlitt, die als Coach Angehörige berät. Gespräche gelingen besser, wenn man wie beiläufig über das Thema spricht.
Versetzen Sie sich in Ihre Eltern
Über die eigenen Schwächen denkt niemand gern nach – auch Ihre Eltern nicht. Dazu kommt, dass man sich vom eigenen Kind ungern etwas sagen lässt. „Wie würde es Ihnen gehen, wenn Ihre Kinder plötzlich ankommen und sagen, alles muss anders werden?“, fragt Petra Schlitt.
Führen Sie das Gespräch in einem guten Moment. Nicht zwischen Tür und Angel und auch nicht, wenn Sie an Weihnachten ausnahmsweise zuhause sind. Gut sind ruhige Situationen – etwa beim Kochen oder beim Spaziergang.
Von sich sprechen
Die Mutter war beim letzten Besuch so unsicher auf den Beinen? Formulieren Sie das nicht als Feststellung, sondern als eigene Beobachtung. Das ist weniger konfrontativ.
Hinhören, was wirklich hilft
Wer nicht zu Hause wohnt, weiß oft nicht, wie der Alltag der Eltern aussieht. Deshalb: gut zuhören und zwischen den Zeilen lesen. Viele ältere Menschen sprechen Probleme nicht an, weil sie ihre Kinder nicht belasten wollen. „Wenn die Mutter erzählt, heute bin ich so müde, könnten Sie sagen: Du machst total viel, das ist super. Wie schaffst du das überhaupt? Manchmal kommt dann: Das frage ich mich auch.“ Nehmen Sie nicht einfach an, dass ein Kinonachmittag oder Kuraufenthalt der Mutter gut tun würde. Fragen Sie genau nach, was hilft. Vielleicht sind es kleine Dinge, zum Beispiel den Rasen mähen oder die Gartenhecke schneiden.
Mit den Geschwistern abstimmen
Sprechen Sie mit Ihren Geschwistern über die Situation. Teilen Sie sich die Arbeit untereinander auf: Vielleicht übernimmt einer die Arztbesuche, ein anderer die Korrespondenz. Bei der Absprache kann eine Messenger-Gruppe helfen.
Gerade Frauen ohne Kinder werden oft zur Pflege gedrängt. „Dann heißt es oft: Du kannst dich doch kümmern, du hast doch nicht so viel zu tun!“, sagt Schlitt. Reagieren Sie unbedingt auf solche Sprüche – und stellen klar, dass das nicht stimmt.
Das Thema ansprechen, wenn es im Umfeld auftaucht
Mit einem konkreten Anlass spricht es sich über schwierige Themen leichter. Eine Bekannte ist gerade in eine Einrichtung für betreutes Wohnen gezogen? Gehen Sie dort gemeinsam einen Kaffee trinken. Das kann Ängste nehmen und den Eltern die Situation vertrauter machen, bevor sie betroffen sind. „Bei manchen hilft das. Andere sehen am Eingang das Wort Pflegeheim und sagen, ich geh da nicht rein“, beobachtet Schlitt.
Man muss nicht pflegen – man kann sich auch anders kümmern
Oft steht zwischen Eltern und Kindern die unausgesprochene Erwartung: Wenn ich alt werde, pflegst du mich. „Machen Sie sich bewusst: Ich muss darauf nicht automatisch reagieren“, sagt Schlitt. Sie sind keine schlechte Tochter, wenn Sie Ihre Eltern nicht pflegen wollen.
Klein anfangen – und den Fuß in die Tür kriegen
Haushaltshilfen, Pflegedienste, Ehrenamtliche: Es gibt viele Möglichkeiten, sich Hilfe von außen zu holen. Doch ältere Menschen wollen oft keine fremden Personen im Haus haben. „Viele haben als Kriegskinder gelernt: Nur wenn man unter sich ist, ist man sicher“, erklärt Petra Schlitt.
Wer mit kleinen Hilfen anfängt, hilft den Eltern, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Über den Hausarzt kann man sich z.B. eine Medikamentengabe durch einen Pflegedienst verschreiben lassen. Dabei kommt jemand regelmäßig ins Haus und richtet die Arzneimittel her. „Das sind kurze Kontakte und gut zum Eingewöhnen.“
Schwierige Dokumente: Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
Eine Vorsorgevollmacht wird auch wichtig, wenn es darum geht, die Pflege der Eltern zu finanzieren. „Viele sagen, wenn’s so weit ist, verkauft ihr halt mein Häuschen“, sagt Schlitt. „Dann können Sie etwa sagen: Ich habe rausgefunden, dass das nur geht, wenn man mit der Vollmacht beim Notar war!“ Wer keine Immobilien oder größeres Vermögen hat, kommt für die Vorsorgevollmacht auch ohne Notar aus. Mit einer Patientenverfügung regelt Ihr Angehöriger, welche medizinischen Maßnahmen er zum Beispiel am Lebensende ablehnt. Das ist auch für Sie wichtig - sonst müssen Sie als Vertreter eine Entscheidung treffen, obwohl Sie sich vielleicht gar nicht sicher sind, was sich Ihre Eltern wünschen. Manchmal hilft es auch, für sich selbst ein Dokument aufzusetzen und davon zu erzählen.
Nicht erwarten, dass sich sofort alles ändern
Nach solchen Gesprächen wünscht man sich einen klaren Plan. Aber in vielen Fällen blocken die Eltern ab. „Wenn jemand keine Hilfe annimmt, muss man das erst mal akzeptieren“, findet Schlitt. Manchmal dauert es einfach länger, bis jemand erkennt, dass er Unterstützung braucht. Immerhin gibt jedes Gespräch einen kleinen Denkanstoß.
Fachliche Beratung: Petra Schlitt, Coach für pflegende Angehörige
Quellen:
- Diakonie Deutschland und Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. : Vier von fünf Pflegeeinrichtungen müssen Angebote einschränken – 89 Prozent der Pflegedienste mussten bereits neue Pflegekunden ablehnen. https://www.diakonie.de/... (Abgerufen am 09.05.2023)