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Die Hauptschlagader oder Aorta gilt jetzt als Organ – eine neue Einstufung, die die medizinische Versorgung verbessern soll. Warum es so lange dauerte, bis diese Entscheidung fiel, inwiefern Verbesserungen eintreten sollen und was das für das Medizinstudium bedeutet, darüber haben wir mit dem Herz- und Gefäßchirurgen Professor Martin Czerny gesprochen. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie im Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen des Universitätsklinikums Freiburg und hat die neue Ausgabe der europäischen Leitlinien für Aortenerkrankungen federführend begleitet.

Herr Professor Czerny, die Aorta ist die große Arterie, die oben vom Herzen abgeht und dann in einem Bogen in den Bauch führt. Von ihr führen zahlreiche Gefäße ab, die den Körper mit sauerstoffreichem Blut versorgen, deshalb wird sie auch Hauptschlagader genannt. Sie ist also ein wichtiges Gefäß. Jetzt wurde sie sogar als eigenständiges Organ eingestuft. Warum?

Die Aorta ist nicht einfach nur ein wichtiges Gefäß. Schauen wir uns einmal die Definition eines Organs an: „Ein Organ ist ein spezialisierter Teil des Körpers, der sich aus unterschiedlichen Zellen und Geweben zusammensetzt. Ein Organ ist eine abgegrenzte Funktionseinheit in einem vielzelligen Lebewesen.“

Was unterscheidet die Aorta von den anderen Gefäßen – außer, dass sie etwas dicker ist?

(lacht) Eine ganze Menge! Zunächst einmal entsteht die Aorta im Embryo aus unterschiedlichen Ursprüngen. Das heißt, sie hat in manchen Abschnitten tatsächlich eine andere Zusammensetzung als andere Gefäße. Dann hat sie im Aortenbogen noch sogenannte Barorezeptoren, das sind Druckrezeptoren. In der Aorta misst der Körper also gewissermaßen selbst den Blutdruck – und nimmt dann entsprechende Anpassungen vor, er stellt etwa die Gefäße weiter oder enger. Die Aorta ist ganz klar ein eigenes Organ – und sollte als solches auch behandelt werden.

Das klingt einleuchtend – aber warum hat die Aorta dann nicht schon früher den Status eines Organs erhalten? Warum erst jetzt, in den gerade erschienenen Neufassungen der europäischen und US-amerikanischen Leitlinien zu aortenchirurgischen Behandlungen?

Tatsächlich steht dieses Vorhaben schon seit einiger Zeit im Raum, man kann sagen, es ist im Laufe der Jahre gereift. Ich selbst habe vor 26 Jahren in der Herz- und Gefäßchirurgie angefangen, damals war es noch nachvollziehbar, dass die Aorta nicht als Organ, sondern entsprechend der Lage ihrer Abschnitte eingeteilt wurde: Die Bauchaorta wurde vom Gefäßchirurgen und der Aortenbogen oben vom Herzchirurgen behandelt. Aber über die Jahre haben wir immer mehr über die Feinheiten der Aorta und ihre Schäden gelernt, etwa über die Aortendissektion.

Prof. Dr. Martin Czerny ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie im Universitäts-Herzzentrum Freiburg – Bad Krozingen und hat die neue Ausgabe der europäischen Leitlinien für Aortenerkrankungen federführend begleitet.

Prof. Dr. Martin Czerny ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie im Universitäts-Herzzentrum Freiburg – Bad Krozingen und hat die neue Ausgabe der europäischen Leitlinien für Aortenerkrankungen federführend begleitet.

Die Aortendissektion ist eine der häufigsten Schäden, die in der Aorta auftreten. Sie ist potentiell lebensbedrohlich: Es handelt sich um einen Riss der inneren Schicht, der dazu führt, dass Blut in die Gefäßwand eindringt, diese dadurch aufdehnt und einreißen kann.

Am Anfang wurden zwei Typen von Aortendissektionen unterschieden: Typ A umfasst die Aorta ascendens, vereinfacht gesagt den vom Herz aus aufsteigenden Teil der Aorta. Typ B umfasst die Aorta descendens, den absteigenden Teil. Der dazwischen gelegene Aortenbogen war in dieser Klassifikation noch nicht berücksichtigt. Deswegen kam der Begriff der Non-A-non-B-Dissektion dazu, um diese Komponente abzubilden. Um Aortendissektionen heute zu behandeln, braucht es einen umfassenderen Blick, die Aortenmedizin.

Und eine solche übergeordnete, interdisziplinäre Beurteilung soll durch die Anerkennung der Aorta als eigenständiges Organ gestärkt werden?

Ja, das ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Betrachtung der Aorta – und der Therapie von Aorta-Erkrankungen. Wir wollen nicht mehr nur Fachärzte haben, die einen bestimmten Teil der Aorta mit abdecken. Wir wollen eine Entwicklung hin zu Spezialistinnen und Spezialisten anstoßen, die das gesamte „Organ Aorta“ im Blick haben. Die Entscheidung, die Aorta als Organ anzuerkennen, ist – natürlich in Abstimmung mit den US-Kollegen – von den mehreren Dutzend Medizinerinnen und Medizinern gemeinsam beschlossen worden, die die neue europäische Leitlinie verfasst haben. Die Entscheidung in Europa und den USA fiel einstimmig aus, es gab nicht eine Nein-Stimme. Auch das zeigt, dass es an der Zeit dafür war.

Was wird sich mit der Entscheidung nun in der Praxis ändern, für die Medizinerinnen und Mediziner und die Patientinnen und Patienten?

Nun sind erst einmal die nationalen Gremien und Fachgesellschaften gefragt, die Weiterentwicklung voranzutragen: Es liegt nahe, dass in den jeweiligen Ländern jeweils Zertifikate für Aortenmedizin entwickelt werden. Dass sich also Mediziner, etwa Herz- und Gefäßchirurgen, weiterbilden und spezialisieren können in Richtung Aortenmedizin. Und wenn es eine solche Fachweiterbildung gibt, dann werden im Laufe der Zeit auch mehr Zentren für Aortenmedizin entstehen. Die Onkologie hat eine solche Entwicklung mit der Entstehung der sogenannten Comprehensive Cancer Centers in ähnlicher Weise schon durchgemacht.

In den Comprehensive Cancer Centers werden Krebspatientinnen und -patienten interdisziplinär behandelt, bei sogenannten Tumorboards treffen sich Strahlenmediziner, Chirurginnen, Onkologen, Psychoonkologen und andere Fachrichtungen, um einzelne Patientinnenfälle zu beraten und die optimale Therapieempfehlung zu finden.

Etwas in diese Richtung braucht es angesichts des immer genaueren Wissens über die Aorta, ihre möglichen Erkrankungen und deren Ursachen und die Therapien ebenfalls. Denn auch in der Behandlung eines Patienten mit einer Aortenerkrankung arbeiten mehrere Fachrichtungen zusammen: Da ist der Kardiologe, der kein Chirurg ist, sondern Arzt für Innere Medizin. Da sind die Radiologen, die mit bildgebenden Verfahren die Aorta durchleuchten. Da sind die Anästhesisten und Intensivmediziner. Und natürlich die Chirurgen. Sie alle arbeiten in einem Zentrum für Aortenmedizin idealerweise in einem geregelten und eingespielten Rahmen zusammen.

Wird sich auch im Medizinstudium etwas ändern?

Auch hier gehen wir davon aus, dass die Aortenmedizin im Studium einen eigenen Raum bekommt. Bei uns in Freiburg bieten wir bereits als Teil der Chirurgischen Hauptvorlesung auch mehrere Einheiten in Aortenmedizin an – für die Studierenden ist das sehr motivierend, sich in diese Richtung zu orientieren. In den letzten Jahren haben einige Studierende zur Aorta promoviert, manche von ihnen arbeiten heute bei uns im Universitäts-Herzzentrum. Dort haben wir schon seit über einem Jahrzehnt einen Schwerpunkt zur Aortenmedizin.

Aneurysma

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