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Gewicht hat seit meiner Kindheit eine zentrale Rolle gespielt. Ich war sehr dünn. Ich musste immer viel mehr essen als ich wollte und nahm trotzdem nicht zu. Und dann stand ich immer auf der Waage und habe geweint.

Nachdem bei mir mit zehn Jahren Diabetes Typ 1 diagnostiziert worden war, klappte es mit dem Zunehmen besser. Dann kam die Pubertät. Der Diabetes ließ sich wegen der Hormone furchtbar schlecht einstellen. Nachts hatte ich häufig Unterzuckerungen. Deshalb aß ich abends im Bett vorsorglich etwas. Und so geriet ich mit 15 Jahren vom Untergewicht fast ins Übergewicht. Meine Eltern fanden mich zu dick. Sie wollten, dass ich mehr Sport treibe. Mitschüler hänselten mich. Das war furchtbar deprimierend.

Zerstörerische Trotzphase

Mit 18 Jahren nahm ich mir fest vor, wieder abzunehmen. Ich trieb mehr Sport. Allerdings klappte alles nicht so schnell wie erhofft. Die Schuld für mein Scheitern gab ich dem Diabetes. Aus Frust wurde Trotz. In der Schule kontrollierte ich nicht länger meine Blutzuckerwerte. Ich wollte ein normales Leben führen. Und ich erinnerte mich daran, dass ich vor meiner Diabetesdiagnose zu dünn gewesen war, weil mir das Insulin fehlte. Daraus wurde ein System: Ich spitzte bewusst wenig, um abzunehmen. Es klappte – und die Komplimente dafür bestärkten mich weiter in meiner Strategie.

Insulin-Purging und Notlügen

Das Basalinsulin ließ ich komplett weg und das schnell wirkende Insulin spritzte ich nur dann, wenn es mir richtig schlecht ging und ich mich übergeben musste. Zu diesem Zeitpunkt wohnte ich nicht mehr zuhause bei meinen Eltern, sondern in einer WG. Manchmal wunderten sich meine Mitbewohner, dass mein Insulinvorrat im Kühlschrank nicht kleiner wurde. Dann musste ich mit Notlügen kontern. Gut hat es sich nicht angefühlt – aber irgendwann glaubte ich fast selbst an die Lügen.

Der Schock, der nötig war

Eines Tages wurde ich im Bett ohnmächtig. Meine Mitbewohnerin rief den Notarzt. Ich war 23 Jahre alt, als ich mit einer schweren Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) und im Koma ins Krankenhaus kam. Mein Blutzucker-Langzeitwert Hba1c lag bei 14 Prozent, war also extrem hoch. Als ich mitten in der Nacht in der Klinik erwachte, war ich komplett verkabelt - mit Herzmonitor, Sauerstoffgerät, Blasenkatheter. Ich bekam panische Angst. Ein sehr netter Pfleger kam mir zur Hilfe. Das Koma war für mich der Tritt, den ich gebraucht habe. Sonst würde ich das heute noch so machen mit dem Insulin-Purging.

Ein neuer kreativer Weg

Nach zwei Wochen Intensivstation entließ mich der Oberarzt unter der Bedingung, dass ich noch am selben Tag eine Diabetologin aufsuche. Dem Taxifahrer hatte er schon ihre Adresse gegeben. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar. Es dauerte Monate und Jahre, bis ich meine Essstörung in den Griff bekam. Was mir geholfen hat? Natürlich die Diabetologin und eine Psychotherapie. Entscheidend war für mich aber auch mein Blog. Im Netz begann ich, meine Erfahrungen niederzuschreiben. Damit wollte ich den Diabetes auf positive Art in mein Leben integrieren. So viele Menschen haben auf meine Geschichten reagiert.

Trotz Rückfällen nicht aufgeben

Heute trage ich eine Insulinpumpe. Die hatte ich lange verweigert. Ich lebe in einer glücklichen und ehrlichen Beziehung. Mein Partner hat an einer Diabetesschulung teilgenommen und kennt sich heute besser damit aus als ich. Natürlich gab es auch Rückfälle. Aber heute, mit 31 Jahren, kann ich sagen: Ich habe es geschafft. Vor einigen Wochen bin ich Mama geworden und habe ein völlig neues Körpergefühl. Ich wiege noch immer mehr als vor der Schwangerschaft – aber zum ersten Mal macht es mir gar nichts aus.