In der Klinik aus der Krise
Mit ihrer Lage inmitten idyllischer Natur könnte die Klinik Rosenberg in Bad Driburg auch ein Wellnesshotel sein. Doch die Gäste sind nicht hier, um auszuschlafen und abzuhängen. Wenn um halb acht Uhr das Frühstück serviert wird, haben viele schon einen Morgenspaziergang oder eine Runde Gymnastik hinter sich.
Rund 150 Fachkliniken bieten in Deutschland medizinische Rehas speziell für Menschen mit Diabetes an. Wer einen Antrag darauf stellt, bekommt ihn in der Regel innerhalb von etwa vier Wochen bewilligt und kann schon bald darauf starten.
"Weil die Kliniken nicht voll belegt sein dürfen, kann es in Corona-Zeiten allerdings auch zu längeren Wartezeiten kommen", weiß der Diabetologe Dr. Wolfgang Wagener, Ärztlicher Referent der Deutschen Rentenversicherung Rheinland in Düsseldorf.
Die Liste der Leiden ist lang
Für die meisten Menschen, die eine Reha beantragen, sei der Diabetes nur eines von mehreren Gesundheitsproblemen, berichtet Wagener. Gelenkbescherden, psychische Leiden, Herz- und Nervenerkrankungen – die Liste der Diabeteskomplikationen und Begleitkrankheiten ist lang. In einer Reha, die in der Regel drei Wochen dauert, lassen sich die Gesundheitsbelastungen aus mehreren Gründen besser bewältigen.
Zunächst einmal bekommen die Patienten in der Klinik das, was im Alltag und der ambulanten Versorgung oft fehlt: Zeit. "Das medizinische Personal kann sich viel Zeit nehmen und die Patienten auch", sagt Dr. Harald Fischer, Diabetologe und Ärztlicher Leiter der Klinik Rosenberg. "Sie sind ihre Alltagsverpflichtungen los und haben den Kopf frei, um sich mit ihrem Diabetes zu beschäftigen."
Unterstützt werden sie dabei von einem gut aufgestellten Team: Ärzte, Diabetesberater, Psychologen, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Sportlehrer, Ernährungsberater – in der Rehaklinik arbeiten alle Berufsgruppen Hand in Hand unter einem Dach. "Dieser ganzheitliche Ansatz ist die Grundlage jeder medizinischen Rehabilitation, unabhängig davon, welche Erkrankung im Mittelpunkt steht", erläutert Arzt und Sozialmediziner Wagener.
Die Theorie in der Praxis testen
Ein weiteres großes Plus der stationären Therapie sieht Klinikleiter Fischer darin, dass sich Theorie und Praxis sehr gut verbinden lassen. Er nennt ein Beispiel: "Als Arzt kann ich erzählen, dass Bewegung gut für den Blutzucker ist." Während einer Reha könne jeder erleben, wie stark dieses "Medikament" tatsächlich wirkt.
"Vormittags in der Schulung erklären wir die Theorie", erzählt er. Dann werde der Zucker gemessen und in der Gruppe gehe es beispielsweise zum Walking. "Wenn danach der Wert von 200 auf 100 mg/dl gesunken ist, erleben die Teilnehmer einen Aha-Effekt. Das motiviert enorm."
Im geschützten Umfeld der Klinik können auch eingefahrene Routinen hinterfragt und neue Dinge ausprobiert werden, etwa alternative Insulin-Spritzstellen, das Kochen gesunder Gerichte oder spezielle Sportangebote. In einem Therapieplan verzeichnen Ärzte und Therapeuten, welche Behandlungen anstehen. Diese werden mit dem Gast zu Beginn seines Aufenthalts abgestimmt und auf seine Ziele, Bedürfnisse und Interessen zugeschnitten.
"Realistisch ist eine Diabetestherapie nur, wenn sie zum Leben passt", betont Diabetologe Fischer. "Ein Finanzbeamter mit regelmäßigen Arbeitszeiten wird im Alltag feste Sporttermine realisieren können, eine Krankenschwester im Schichtdienst eher nicht."
Täglich stehen für jeden vier bis fünf Termine an, von der Diabetesschulung über Gespräche mit Psychologen bis zur Wassergymnastik. Dazu kommen die "Zuckervisiten", die besonders für Patienten mit Insulintherapie wichtig sind, um Glukoseverläufe und Dosisanpassungen zu besprechen. Wer bei Reha an Urlaub oder entspanntes Nichtstun denkt, liegt falsch. Die Tage sind straff organisiert.
Auf einmal macht Sport Freude
Doch außerhalb der Mahlzeiten und Anwendungen bleibt auch noch freie Zeit. Nach dem Abendessen ist der offizielle Teil beendet. Zu Hause würden es sich viele spätestens jetzt auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem machen. In der Klinik bleiben die Zimmer dagegen oft noch leer. Zu verlockend sind die Alternativen. Ein paar Bahnen im Schwimmbad ziehen oder noch mal durch den Wald spazieren? Mit der neu gewonnenen Energie kostet es viele keine Überwindung mehr, sondern macht sogar Spaß.
Bevor es wieder nach Hause geht, bekommen die Patienten der Klinik Rosenberg von ihren Ärzten noch einen Auftrag mit. Sie sollen sich überlegen: Welche Dinge, die in der Klinik gut funktioniert haben, können sie zu Hause fortführen? Gemeinsam mit den Betreuern werden dann fünf konkrete Ziele formuliert. Eines könnte zum Beispiel lauten, die (Vollkorn-)Frühstücksbrötchen nicht mehr mit dem Auto, sondern zu Fuß vom Bäcker zu holen. Das tut auch dem Blutzucker gut. Außerdem schmeckt das Essen nach einer kleinen Sporteinheit ohnehin doppelt so gut!
Demet Celikadam (24 Jahre, Typ-1-Diabetes)
Bis 2020 war mein Diabetes eigentlich ganz gut eingestellt. Doch innerhalb des letzten Jahres erkrankte ich dreimal schwer: an Influenza, Corona und einer Nierenbeckenentzündung, aus der sich eine Blutvergiftung entwickelte. Jedes Mal lag ich im Krankenhaus, mein Blutzucker entgleiste. Weil ich danach körperlich und psychisch sehr mitgenommen und mein Zucker-Langzeitwert dramatisch hoch war, haben meine Ärzte zu einer Reha geraten.
In der Klinik Rosenberg habe ich gelernt, egoistisch zu denken – was den Diabetes angeht. Das heißt, auf die Signale meines Körpers zu achten und Anforderungen von außen auch mal zurückzustellen. Ich konnte altes Wissen auffrischen, viel dazulernen und Neues ausprobieren. Jetzt fühle ich mich gestärkt und freue mich wieder auf die Arbeit und meine Kollegen.
Markus Klaffki (47 Jahre, Typ-2-Diabetes)
Nach 20 Jahren Diabetes weiß ich theoretisch bestens Bescheid. In der Praxis lief es leider oft nicht gut. Ich bin beruflich sehr ausgelastet und habe den Diabetes oft hintangestellt. Kein Wunder, dass die Insulintherapie mehr schlecht als recht lief, mit hohen Morgenwerten und Unterzuckerungen.
Mit der Reha in der Klinik Rosenberg habe ich die Notbremse gezogen. Ich hatte das Gefühl, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, wenn ich nichts ändere. In der Klinik habe ich erkannt, um wie viel besser alles klappt, wenn ich dem Diabetes genug Zeit widme, den Tag gut strukturiere, auf regelmäßige Mahlzeiten achte. Auch Sport soll künftig wieder fest zu meinem Leben gehören. 10 000 Schritte sind mein Tagesziel. Und die Fitnessgeräte, die jahrelang nur zu Hause herumstanden, werde ich künftig wieder regelmäßig nutzen.