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Der Kampf gegen Krebs ist eine Erfolgsgeschichte. Denn immer mehr Menschen gewinnen ihn. Kinder und Jugendliche überleben die Krankheit in mehr als 80 Prozent der Fälle. Und auch bei Erwachsenen übersteht mittlerweile jeder zweite den Krebs. Daten des Robert Koch-Instituts zeigen: Fünf Jahre nach der Krebsdiagnose sind 58 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer am Leben. Sie gelten als „Langzeitüberlebende“. Denn nach dieser Zeit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs wiederkommt. Allein in Deutschland geht man von 2,6 Millionen Langzeitüberlebenden aus. Tendenz steigend.

Betroffene oft erschöpft und weniger belastbar

Doch das Weiterleben ist nicht immer einfach. „Geheilt heißt noch lange nicht gesund“, sagt Dr. Marianne Sinn, Oberärztin am Zentrum für Onkologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Denn es gibt auch eine Schattenseite der heute so effektiven Behandlungsmöglichkeiten. Hochdosierte Chemotherapeutika und Bestrahlungen hinterlassen oft dauerhaft körperliche Schäden. So fühlen sich viele der Geheilten noch Jahre später chronisch erschöpft und weniger belastbar. Auch Nervenschäden, Herzerkrankungen, Lymphödeme oder sogar Zweittumore können als langfristige Nebenwirkung oder Spätfolge der Krebstherapie auftreten.

Die Bandbreite ist groß und variiert je nach Krebsart und Behandlungsform. Eine frühe Diagnose kann hingegen schützen: „Je aggressiver und weiter fortgeschritten der Krebs ist, desto massiver und länger andauernd ist die Therapie. Das Risiko für Folgeschäden steigt“, erklärt Sinn. Studien zeigen, dass Betroffene zudem öfter an Depressionen leiden. Auch das Armutsrisiko ist erhöht.

Folgeschäden werden zunehmend erforscht

Doch erst langsam gerät all das in den Fokus der Forschung. „Das meiste Wissen über mögliche Spätfolgen einer Krebstherapie stammt aus den letzten 30 Jahren“, sagt Sinn. Die Auswirkungen sind bei Kindern und Jugendlichen am besten untersucht. Da diese hohe Heilungschancen haben und nach überstandener Erkrankung noch deutlich länger leben, existieren über sie die meisten Langzeitdaten. Und die sind eindeutig: Laut einer 2006 veröffentlichten US-Studie litten zwei Drittel der Patientinnen und Patienten 30 Jahre nach Ende der Therapie an Folgeproblemen.

Die Hoffnung sei aber groß, dass diese Zahl in Zukunft deutlich niedriger ausfalle, sagt Kinderonkologe Professor Thorsten Langer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Langer leitet die bundesweite Arbeitsgruppe Spätfolgen (LESS), die Nachsorge-Daten zu krebskranken Kindern analysiert. „Die Therapien werden immer wieder an die neuen Erkenntnisse angepasst“, erklärt er. Zum Beispiel werden Bestrahlungen bewusster und zielgenauer eingesetzt oder herzschädigende Medikamente niedriger dosiert. Zudem erweisen sich neue Methoden im Kampf gegen Tumorerkrankungen wie die Immuntherapie als schonender.

Langzeitnachsorge nicht klar geregelt

Dennoch zeigt eine Umfrage von 2018: Mehr als ein Drittel der Überlebenden fühlt sich auch fünf bis 15 Jahre nach der Diagnose noch als „Krebspatient“. Sie spüren noch immer Belastungen, körperlich und seelisch. Das Problem ist aber: Die reguläre Krebsnachsorge endet nach fünf Jahren und ist danach nicht klar geregelt. „In der langfristigen Versorgung von Krebspatienten klafft eine Lücke“, sagt Langer. Dabei sei eine umfassende Nachsorge auch über die fünf Jahre hinaus extrem wichtig, betont der Krebsspezialist.

Oft fühlten sich Onkologen aber nicht mehr zuständig. Und längst nicht alle Hausärzte wüssten über die neuesten Empfehlungen in der Langzeitnachsorge Bescheid. Ein durchwachsenes Fazit zieht auch die Arbeitsgruppe „Langzeitüberleben nach Krebs“, die seit 2018 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) die Versorgungslage untersucht: So mangle es zwar prinzipiell nicht an Angeboten für Krebsüberlebende, wie zum Beispiel Reha-Programme, psychosoziale Beratungsstellen oder Physio- und Ergotherapien. Doch es fehle eine Vernetzung, eine koordinierende Instanz.

Patienten müssen selbst aktiv werden

Betroffene fühlen sich oft alleingelassen, beobachtet Langer. Ihnen bleibe nichts anderes übrig, als selbst die Fäden in die Hand zu nehmen und sich um die nötigen Termine zu kümmern. Das kann selbst gut informierte Patientinnen und Patienten überfordern, so der Onkologe. Erst kürzlich hatte ihm ein Patient sein Leid geklagt. Der 55-Jährige habe als Kind einen Knochentumor gehabt. Seit über 40 Jahren organisiere er nun seine Nachsorge selbst. Zum Beispiel lässt er regelmäßig sein Herz untersuchen, da die Chemotherapie von damals eventuell sein Herz geschädigt hat.

„Ich dachte, er hat das voll im Griff“, sagt Langer. „Doch dann sagte der Patient zu mir: ‚Herr Langer, das ist so anstrengend, ständig bei den verschiedenen Fachärzten Termine auszumachen. Manchmal verstehen sie nicht, warum ich überhaupt einen Herzultraschall will – dann muss ich erst mal erklären, dass mir das als ehemaligem Krebs- patienten empfohlen wurde. Ich muss regelrecht darauf bestehen.‘“

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Sexuelle Probleme oft noch Tabuthema

Nicht nur die Suche nach den richtigen Ärztinnen und Ärzten ist mühsam. Viele Betroffene sind psychisch stark belastet, sie können sich schlechter konzentrieren, finden teils nicht mehr in den alten Beruf zurück oder haben Probleme in der Partnerschaft. Denn die muss oft einiges aushalten. Hinzu kommt immer auch die Angst vor einem Rückfall.

„Bei jüngeren Erwachsenen spielt oft auch das Thema Fruchtbarkeit eine große Rolle“, sagt Marianne Sinn. Das habe die Medizin mittlerweile gut im Blick. Andere Themen hingegen würden noch immer vernachlässigt, etwa sexuelle Probleme nach einer Prostatakrebserkrankung. „Das ist oft noch immer ein Tabuthema“, sagt Sinn.

Spezielle Anlaufstellen bieten umfassende Hilfe

Um dagegen anzugehen und Betroffene zu unterstützen, haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren zunehmend mehr Nachsorgeangebote etabliert (siehe Tipps und Adressen unten). Betroffene finden dort nicht nur medizinische Ansprechpartner.

Es gibt auch psychoonkologische Hilfe, also Psychologinnen und Psychotherapeuten, die sich auf Menschen spezialisiert haben, die mit oder nach einer Krebserkrankung leben. Doch längst nicht alle Krebsüberlebenden wissen von solchen Angeboten. Automatisch kommen sie nicht in ein solches Beratungskonzept, oft „Survivorship Programme“ genannt. Angeboten werden sie meist von bestimmten Unikliniken oder spezialisierten Krebszentren (Comprehensive Cancer Center).

Marianne Sinn leitet eine solche „Leben nach Krebs“-Sprechstunde am Universitären Cancer Center in Hamburg. „Im Fokus steht dabei nicht die Krebskontrolle, sondern die Themen drum herum“, erklärt sie. Egal wann Überlebende Hilfe brauchen: Die Sprechstunden sind in jedem Stadium für Betroffene da. Kurz nach der Behandlung, wenn es mit dem Berufseinstieg Schwierigkeiten gibt, wenn sich Probleme entwickeln, egal ob gesundheitlicher oder psychischer Art. „Es ist uns ein Anliegen, Betroffene früh darauf aufmerksam zu machen, dass es diese Angebote gibt und sie diese jederzeit wahrnehmen können“, sagt Sinn. Die Nachsorge wird gemeinsam mit den betreuenden Hausärzten und Onkologen koordiniert.

Gesunder Lebensstil kann Spätfolgen vorbeugen

„Im Fokus steht dabei auch, Spätschäden zu verhindern“, sagt Sinn. Ein gesunder Lebensstil ist gerade bei solch einer Vorbelastung wichtig: sich viel bewegen, gesund ernähren, Übergewicht abbauen, nicht rauchen oder zu viel Alkohol trinken. Das Hamburger Cancer Center arbeite daher auch mit Ernährungs- und Sportwissenschaftlern zusammen. Zudem gibt es an den Krebszentren oft die Möglichkeit, an aktuellen Studien teilzunehmen, die neue Therapieansätze etwa bei chronischer Erschöpfung oder Nervenschäden erforschen.

Aktuell sind die Plätze in solchen Nachsorgeprogrammen allerdings stark begrenzt. Das könnte sich jedoch bald ändern: Das BMG fördert Projekte, die an langfristigen Konzepten für die Nachsorge arbeiten. Dass diese dringend benötigt werden, ist längst im Bewusstsein angekommen.

Hilfe für Betroffene: Tipps und Adressen

Onkologische Rehabilitation

  • „Prüfen Sie unbedingt, ob Ihnen eine Reha zusteht“, rät Krebsmedizinerin Marianne Sinn. „Dort bekommt man Tipps, die auf die jeweilige Situation zugeschnitten sind.“ Die Reha findet im Anschluss an die Therapie statt. Teils ist auch eine zweite Reha zu einem spätereren Zeitpunkt möglich. Klären Sie dies mit Ihrer Krankenkasse.
  • Ausführliche Informationen finden Sie zum Beispiel in der Broschüre „Wegweiser zu Sozialleistungen“ von der Deutschen Krebshilfe in Zusammenarbeit mit der Deutschen Krebsgesellschaft.

Anlaufstellen für die langfristige Nachsorge

Selbsthilfegruppen

  • Selbsthilfe für Langzeitüberlebende im erwerbsfähigen Alter bietet: Leben nach Krebs! e.V..
  • Auf der Plattform CancerSurvivor erzählen Menschen mit Krebs von ihrem Weg zurück ins Leben. Die Initiative bietet multimediale Informationen für Krebspatienten, deren Angehörige und das Umfeld.
  • Die „Yes!“-App von „yeswecan!cer“ ist eine kostenlose, digitale Selbsthilfegruppe. Betroffene können sich im digitalen Raum untereinander austauschen und informieren.

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