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Was macht mRNA-Impfstoffe so interessant für die Wissenschaft?

Die Corona-Pandemie hat der Menschheit eine völlig neue Art von Impfstoffen beschert. Sie basieren auf Boten-Ribonukleinsäure (mRNA), die Zellen quasi den Auftrag gibt, bestimmte Proteine zu produzieren. mRNA galt lange als zu instabil für eine Anwendung als Impfstoff. Bestimmte Änderungen an ihr selbst und ihre Verpackung in Fettpartikel haben das geändert.

Was weniger bekannt ist: Schon Jahrzehnte vor diesem Einsatz wurde ihre Eignung für die Krebstherapie untersucht. Die Idee dahinter: Wächterzellen des Immunsystems könnten der Körperabwehr Krebsproteine präsentieren und die Abwehrzellen so dazu bringen, den Tumor effektiver anzugreifen. Ähnliche Versuche zur Krebsimpfung mit dem Erbmaterial DNA oder Proteinen hatten bisher nicht den Durchbruch gebracht.

Nun ist mRNA der große Hoffnungsträger. Nach dem Erfolg gegen Coronaviren nehmen Forscherinnen und Forscher sie wieder als therapeutischen Impfstoff gegen Krebs ins Visier. Inzwischen laufen dazu einige klinische Studien. mRNA ist einfach, billig und schnell herzustellen. Herausfordernd allerdings ist es, Angriffsziele zu finden, die nicht auch gesunde Zellen treffen. Die Forschung versucht, diese Hürde mit einem individualisierten Ansatz zu überwinden: Der Impfstoff müsste immer für die einzelne Person hergestellt werden. Und nur mRNA enthalten, die zu deren Tumor passt und nicht in gesunden Zellen vorkommt.

Wieso wird jetzt darüber geredet?

Beim weltweit wichtigsten Kongress der Krebsforschung in Chicago (USA) präsentierte eine Arbeitsgruppe die am weitesten gediehene Studie zur individualisierten Impfung. Gegenstand der Untersuchung: das Melanom. Die vergleichsweise günstige Überlebensrate bei „schwarzem Hautkrebs“ beruht vor allem auf frühen Diagnosen. Im fortgeschrittenen Stadium, wenn Lymphknoten oder andere Organe befallen sind, sinkt sie jedoch rapide.

Genau solche Patientinnen und Patienten nahmen an der Studie teil. Zusätzliche Herausforderung: Die Erkrankten waren alle operiert worden und erhielten eine Immuntherapie, die ihre Prognose bereits deutlich verbesserte. Könnte da eine mRNA-Impfung zusätzlich nützen? Sie konnte. Die 157 Probandinnen und Probanden wurden zwei Gruppen zugewürfelt: Die Kontrollgruppe erhielt nur die Immuntherapie, die andere Gruppe zusätzlich die mRNA. Nach 18 Monaten war der Krebs bei 62 Prozent der Behandelten in der Kontrollgruppe nicht fortgeschritten. Mit mRNA stieg die Stillstandsrate auf fast 79 Prozent. Teilweise zum Tod führende Metastasen betrafen 24 Prozent der Kontrollgruppe, jedoch „nur“ 8,4 Prozent mit zusätzlicher mRNA-Therapie.

Eine ähnliche Studie in einem frühen Stadium weckt ebenfalls leise Hoffnung auf eine neue Behandlungsmethode bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bei acht von 16 Erkrankten konnte mRNA für mindestens 18 Monate eine Rückkehr des Tumors nach dessen operativer Entfernung verhindern.

Einfach erklärt: So wirken mRMA-Impfstoffe

Tumor DNA mRNA-Abschriftkrebsspezifische Gene Impfstoff Tumorzelle OberflächenProtein Zellkern Dendritische Zelle(Wächterzelle) zerstörteTumorzelle mitOberflächenprotein Antikörper aktivierte Immunzellen Proteine Protein-produktion T-Zelle Plasma-zelle Aktivierung desImmunsystems Zelle nimmtmRNA auf Impfung

Aus dem Tumor der Patientin wird eine Probe entnommen.

Im Labor wird der genetische Code des Tumors entschlüsselt und nach Genen gesucht, die im gesunden Gewebe nicht vorkommen.

Die gefundenen tumorspezifischen Gene werden im Labor hergestellt und millionenfach vervielfältigt. Sie bestehen aus doppelsträngiger, spiralenartig umeinander gewickelter DNA.

Die DNA wird in ihre Einzelstränge aufgeteilt. Mithilfe eines Enzyms wird eine mRNA-Abschrift hergestellt.

Die mRNA wird in kleine Fetttröpfchen verpackt.

Die Fetttröpfchen mit der mRNA werden der Patientin in den Oberarm gespritzt.

Dendritische Zellen im Körper nehmen die mRNA auf und produzieren daraus die entsprechenden krebsspezifischen Proteine.

Diese oder Teile davon, die den Oberflächenproteinen der Krebszellen entsprechen, präsentieren sie auf ihrer Oberfläche. Bestimmte Zellen des Immunsystems erkennen sie und werden dadurch aktiviert.

Die aktivierten Immunzellen greifen den Tumor an. Plasmazellen setzen passende Antikörper frei, T-Zellen durchlöchern mit speziellen Molekülen die Membran von Krebszellen.

Was haben Erkrankte davon?

Noch sind die mRNA-Impfstoffe gegen Krebs nicht reif für die Praxis, die Ergebnisse müssen erst in Studien mit wesentlich mehr Teilnehmenden bestätigt werden. Das gilt für den Impfstoff gegen schwarzen Hautkrebs, für den die Forschungsgruppe eine solche bereits angekündigt hat. Und erst recht für den Impfstoff gegen Pankreaskrebs. „Trotzdem“, sagt Prof. Dr. Niels Halama, Leiter der Abteilung Translationale Immuntherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, „haben wir jetzt einen guten Beleg, dass die mRNA wirkt, dass das Immunsystem den Tumor besser erkennt und bekämpft.“ Ähnlich sieht das Prof. Dr. Carola Berking, Direktorin der Universitäts-Hautklinik Erlangen: „Dass die mRNA eine schon sehr gute Therapie nochmals übertrifft, gibt uns große Hoffnung. Das ist derzeit die spannendste Entwicklung beim Melanom.“

Weil sich jeder Krebs bei Menschen genetisch unterscheidet, könnte der Angriff einzelner, einheitlicher Ziele ins Leere laufen. Stattdessen haben die Forscherinnen und Forscher bis zu 34 patientenspezifische mRNA-Moleküle hergestellt. Die ganze Prozedur (siehe Infografik) dauerte nur sechs bis acht Wochen.

Es gibt allerdings auch noch Forschungslücken. So unterscheiden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei den betroffenen Personen nicht zwischen jenen mit Lymphknotenmetastasen und den weiter fortgeschrittenen Erkrankungen mit Organabsiedlungen. „Man würde schon gerne wissen, ob die Therapie auch bei Fernmetastasen noch funktioniert“, sagt Niels Halama. Und Carola Berking ergänzt: „Wir wissen nicht, ob Patienten genauso profitieren, wenn sie anders vorbehandelt wurden oder wenn eine Operation nicht möglich war.“

Dennoch gibt der erste Erfolg auch Auftrieb für Studien, die bereits für weitere Tumorarten wie etwa Lungen- und Darmkrebs laufen. Wie viele Menschen am Ende davon profitieren könnten, wird aber womöglich auch der schnöde Mammon mitentscheiden. Denn der personalisierte Ansatz könnte die Therapie teuer machen.

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Schwarzer Hautkrebs ist ein bösartiger Tumor, der überwiegend an der Haut auftritt. Alles über Symptome, Ursachen, Therapie und Vorbeugung des malignen Melanoms zum Artikel


Quellen:

  • American Society of Clinical Oncology: Distant metastasis-free survival results from the randomized, phase 2 mRNA-4157-P201/ KEYNOTE-942 trial. Journal of Clinical Oncology: https://ascopubs.org/... (Abgerufen am 17.07.2023)
  • Deutsche Krebsgesellschaft: Malignes Melanom: schwarzer Hautkrebs. https://www.krebsgesellschaft.de/... (Abgerufen am 17.07.2023)
  • Deutsche Krebsgesellschaft; Deutsche Krebshilfe: AWMF: S3 L eitlinie zur Diagnostik Therapie und Nachsorge des Melanoms. Leitlinie: 2020. (Abgerufen am 17.07.2023)

  • Rojas LA et al.: Personalized RNA neoantigen vaccines stimulate T cells in pancreatic cancer. In: Nature 10.05.2023, 618: 144-157
  • Zentrum für Krebsregisterdaten: Krebs in Deutschland für 2017/2018. https://www.krebsdaten.de/... (Abgerufen am 17.07.2023)
  • Biontech: So funktioniert die Herstellung von mRN-AImpfstoffen. https://mrnaverstehen.biontech.de/... (Abgerufen am 17.07.2023)