Masern: Kleinkinder besonders gefährdet
Anfang Februar 2017 in Duisburg: Das städtische Gesundheitsamt meldet zehn mit Masern infizierte Babys und Kleinkinder. 16. Februar: 26 Fälle. 24. Februar: 44 Infizierte, darunter 40 Kinder, davon 13 Säuglinge. 7. März: 77 Fälle, 61 Kinder, davon 22 Babys. 14. März: 100 Erkrankte, darunter 58 Kinder und 24 Säuglinge. Die ersten Medien fragen, ob es schlimmer kommt als 2006. Damals verzeichnete Duisburg 614 Masernfälle. Einige Kinder kamen ins Krankenhaus, sogar Todesfälle gab es.
Das verdeutlicht, was das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln seit Jahren betonen: dass Masern nicht harmlos sind. Und sie sind so ansteckend, dass selbst scheinbar kleine Impflücken zu großen Ausbrüchen führen. Deshalb hat der Bundestag eine Impfpflicht gegen Masern beschlossen: Seit März 2020 müssen alle Kinder vor der Aufnahme in Kita, Schule und der Kindertagespflege nachweisen, dass sie wirksam gegen Masern geimpft worden sind. Kinder, die bereits in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht sind sowie Mitarbeiter dieser Einrichtungen müssen den Impfnachweis bis Ende Juli 2021 erbringen. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch einer Kindertagesstätte ausgeschlossen werden. Gegen Eltern, die ihre dort betreuten Kinder nicht impfen lassen, kann ein Bußgeld verhängt werden. Auch Kindertagesstätten riskieren ein Bußgeld, wenn sie nicht geimpfte Kinder betreuen.
Was Eltern wissen sollten:
Wie gefährlich sind Masern?
Sind Masern harmlos? Impfskeptiker und -gegner behaupten das gerne. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. "Maserninfektionen gehören zu den ansteckendsten und – vor allem für kleine Kinder und Erwachsene ab 20 Jahren – zu den komplikationsreichsten Erkrankungen überhaupt", sagt Professor Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche an den HELIOS Horst-Schmid-Kliniken Wiesbaden und Experte für Pädiatrische Infektionsimmunologie.
Wie gefährlich Masern sind, zeigt sich an einer konkreten Zahl: Im Jahr 2015 mussten 23 Prozent der beim RKI gemeldeten Maserninfektionen im Krankenhaus behandelt werden (siehe auch Grafik unten). "Das Problem ist, dass die Masernviren das Immunsystem der Betroffenen stark schwächen, und zwar über Wochen und Monate hinweg", sagt Knuf. Relativ häufig gehen Masern deshalb mit Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen einher. In 0,1 Prozent der Fälle tritt eine Gehirnentzündung auf, die teilweisemit Nervenschäden oder sogar tödlich endet.
Dass zumindest manche Eltern das Bild der harmlosen Kinderkrankheit vor Augen haben, liegt Knuf zufolge am Erfolg der Masernimpfung, den es trotz allem gebe: "Mit ihr ist die Krankheit weitgehend verschwunden und damit auch die Angst vor ihr."
Wie werden sie übertragen?
Verbreitet werden Masernviren durch das Einatmen infektiöser Tröpfchen, die durch Sprechen, Husten, Niesen freigesetzt werden, sowie durch den Kontakt mit infektiösen Sekreten aus Nase oder Rachen etwa auf Flächen. Wie ansteckend eine Krankheit ist, messen Mediziner anhand des sogenannten Kontagions- und Manifestationsindexes, der bei Masern nahe 100 Prozent liegt. Das heißt: Ein kurzer Kontakt reicht, um sich zu infizieren, und eine Infektion führt so gut wie immer zu einem Ausbruch der Krankheit.
Wie äußern sich Masern?
In der Regel kommt es acht bis zehn Tage nach der Infektion zu Fieber, Schnupfen und Husten. Häufig sind die Augen gerötet und tränen. Zudem treten weiße Flecken auf der Mundschleimhaut auf. Genauso typisch für Masern sind die bräunlich-rosafarbenen Hautflecken, die sich drei bis sieben Tage nach den ersten Symptomen bilden, in der Regel zuerst im Gesicht und hinter den Ohren. Infizierte sind meist schon einige Tage vor der Fleckenbildung ansteckend.
Wie werden Masern behandelt?
Masern an sich werden nur symptomatisch behandelt, also etwa mit fiebersenkenden oder hustenstillenden Medikamenten. "Sobald es zu Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen kommt, ist oft eine Antibiotikatherapie notwendig", sagt Knuf. Die Impfung ist die einzige Möglichkeit, sich gegen Masern zu schützen.
Wann steht die Impfung an?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die erste Impfung zwischen 11 und 14 Monaten, die zweite zwischen 15 und 23 Lebensmonaten. Besuchen Kinder davor eine Krippe, wäre eine Impfung bereits ab neun Lebensmonaten möglich. Dadurch ließe sich die Zeit verkürzen, in der die Kleinen weder geimpft sind noch über ausreichenden Nestschutz verfügen. Den bekommen sie von ihren Müttern, wenn diese geimpft sind oder Masern hatten. Er hält oft höchstens ein halbes Jahr (bei Geimpften eher kürzer).
Wie gut wirkt die Impfung?
Der Vorteil von Lebendimpstoffen ist, dass sie meist besser wirken als Totimpfstoffe – und das ein Leben lang. Laut STIKO gewährleistet die erste Impfdosis in 94 bis 95 Prozent der Fälle einen wirksamen Schutz. "Die zweite Dosis dient dazu, sogenannte Impfversager zu erreichen", erklärt Markus Knuf. Gründe für ein Impfversagen sind zum Beispiel eine falsche Lagerung des Impfstoffs oder dass er beim Spritzen nicht ins Muskel-, sondern bloß ins Fettgewebe gelangt.
Manche Impfskeptiker behaupten, Geimpfte würden gar keinen Immunschutz aufbauen, und argumentieren mit einem niedrigen Antikörper-Spiegel im Blut. "Es ist normal, dass Antikörper, die nach einer Impfung oder einer Infektion gebildet werden, oft wieder verschwinden", erklärt Knuf. Zurück bleiben Gedächtniszellen, die bei erneutem Viren-Kontakt blitzschnell Antikörper bilden.
Was bringt die Impfung?
Die Impfung ist – wie erwähnt – der einzig wirksame Schutz gegen Masern. Zudem soll mit ihr 2020 das klappen, was eigentlich schon hätte erreicht werden sollen: die Ausrottung der Masern in Deutschland.
"Weil das Virus so ansteckend ist, brauchen wir eine Impfquote von 95 Prozent. Nur dann kann es sich nicht mehr verbreiten", erklärt Mediziner Knuf. Weil davon auch diejenigen profitieren würden, die nicht geimpft werden können (etwa Säuglinge, ungeimpfte Schwangere, Menschen mit Immundefekten), sprechen Experten oft von "Herdenimmunität" oder "Gemeinschaftsschutz" (siehe Interview unten).
Immer noch zu wenige Kinder geimpft
Zwar ist die Quote der ersten Masernimpfung bei Schulanfängern nicht so schlecht: Über 97 Prozent sind es nach aktuellen Zahlen. Aber über eine zweite Impfung verfügten 2017 nur gut 93 Prozent der ABC-Schützen. Dabei gibt es auch noch große regionale Unterschiede.
Auch Erwachsene impfen?
Das RKI empfiehlt eine einmalige Masern-Impfung auch für alle Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind und in der Kindheit nicht oder nur einmal gegen Masern geimpft wurden oder ihren Impfstatus nicht kennen.
Ist die Impfung verträglich?
"Typischerweise treten Schwellungen und Rötungen an der Einstichstelle auf", erklärt Markus Knuf, der die Impfung ansonsten für "sehr gut verträglich" hält. Weitere mögliche Folgen der Impfung sind Fieber, Kopfschmerzen, Mattheit, Unwohlsein oder Magen-Darm-Beschwerden und bei etwa zwei Prozent der Geimpften nicht ansteckende, harmlose Impfmasern.
Das ist möglich, weil der Mumps-Masern-Röteln-Impfstoff (meist wird diese Kombination verabreicht) ein Lebendimpstoff ist. Gespritzt werden also lebende, abgeschwächte Viren, weshalb die Impfung für Schwangere sowie Menschen mit Immundefekten nicht geeignet ist.
Interview: "Wir lassen uns eher impfen, wenn wir einen sozialen Nutzen sehen"
Forscherin Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt untersuchte mit Kollegen der RWTH Aachen, wie sich die Impfbereitschaft verändert, wenn man betont, dass sich mit der eigenen Impfung andere mitschützen lassen.
Frau Betsch, Sie sprechen von Gemeinschaftsschutz statt von Herdenimmunität. Wieso?
Der Begriff Gemeinschaftsschutz ist positiver belegt. Niemand will Teil einer Herde sein, womöglich noch einer Schafherde.
Warum haben Sie den Aspekt des Gemeinschaftsschutzes bei Impfungen genauer untersucht?
Uns ist aufgefallen, dass dieses Prinzip im Grunde wenig kommuniziert wird, obwohl es ein ganz wichtiges Wirkprinzip von Impfungen ist. Wir haben uns gefragt, was geschieht, wenn man es besser erklärt und stärker betont. Lassen sich die Menschen dann eher impfen? Oder sorgt man womöglich für mehr Trittbrettfahrer? Theoretisch könnten die Leute ja denken: Wenn alle sich impfen lassen, brauche ich das nicht mehr zu tun.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben 2000 Menschen in Südkorea, Vietnam, Hongkong, den USA, Deutschland und den Niederlanden befragt. Dafür haben wir jeweils zwei Gruppen gebildet und in der einen den individuellen und in der anderen den gemeinschaftlichen Nutzen stärker betont. Einmal ging es dabei um Krankheiten, die mit einem hohen Krankheitsrisiko verbunden werden, und einmal um solche, deren Krankheitsrisiko als niedrig wahrgenommen wird. Darunter fallen leider fast alle, für die es hierzulande Schutzimpfungen gibt.
Was war das Ergebnis?
Bei den schwerwiegenden Krankheiten gab es kaum einen Unterschied in der Impfbereitschaft. Die Leute wollten sich impfen lassen – um ihrer selbst willen. Bei den als weniger riskant geltenden Krankheiten war es anders: In den untersuchten westlichen Ländern stieg die Impfbereitschaft, sobald erklärt wurde, was Gemeinschaftsschutz bedeutet.
Was heißt das für Impfkampagnen?
Es ist in westlichen Ländern ganz wichtig, den Leuten den Gemeinschaftsschutz genau zu erklären und den sozialen Nutzen zu betonen. Anders als die Menschen in asiatischen Ländern sehen wir zunächst einmal uns und nicht die Gruppe. Zudem hat unsere Studie gezeigt, wie man am besten informiert: Eine wichtige Rolle spielen hier interaktive Formate. Gut sind Simulationen, wie es sie etwa auf www.musketierprinzip.de gibt. Ein starkes Motto fürs Impfen: Einer für alle, alle für einen!