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Noch vor 20 Jahren beschränkte sich die Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME, noch vorwiegend auf Süddeutschland. Hat sich das inzwischen geändert?

Ja, inzwischen kommt FSME auch in Norddeutschland vor, das FSME-Virus und auch die Borreliose-Erreger sind häufiger geworden. Bei FSME können wir gut den Verlauf beobachten, denn die Erkrankung ist seit mehr als 20 Jahren meldepflichtig: Jede FSME-Diagnose müssen Ärzte in Deutschland an das Robert-Koch-Institut melden.

Gibt es mehr FSME-Infektionen?

Die Fallzahl zeigt einen Anstieg besonders in den vergangenen Jahren. Das ist nicht immer ein kontinuierlicher Zuwachs, aber mittelfristig ist ein Trend zu erkennen. Im Jahr 2020 hatten wir den bisherigen Rekord mit mehr als 700 Fällen, 2022 waren es 546 Fälle. Zum Vergleich: In den ersten Jahren der Meldepflicht ab 2001 lag die Fallzahl häufig bei nicht viel mehr als 200 Fällen. Man sieht auch in unseren Nachbarländern Österreich und in der Schweiz eine Zunahme der FSME.

Wie ist die Entwicklung bei Borreliose?

Das können wir nur schätzen, denn Borreliose ist nicht meldepflichtig. Wir schätzen, hier ist der Trend auch steigend. Borreliose ist deutlich häufiger als FSME, zwischen 10 und 30 Prozent der Zecken tragen Borreliose-Erreger in sich. Aber Borreliose lässt sich viel besser behandeln, die auslösenden Erreger sind Bakterien, die bekommt man mit Antibiotika in der Regel in den Griff. Bei FSME hingegen ist die Behandlung schwieriger, deshalb ist die Erkrankung viel gefährlicher, ein bis zwei Prozent der Erkrankten sterben daran.

Milde Winter, trockene Sommer. Begünstigt die Erderwärmung die Ausbreitung von Zecken und die Zunahme der FSME?

Wir haben keine direkten Beweise dafür, dass der Klimawandel für die steigende Zahl der FSME-Fälle verantwortlich ist. Im Jahr 2020 hielten sich die Menschen durch die Pandemie auch mehr in der Natur – und damit in Risikogebieten auf. Aber die Temperatur spielt in vielerlei Hinsicht eine Rolle. Wir haben weniger richtig kalte Winter, was dazu führt, dass der gemeine Holzbock, das ist die häufigste Zeckenart in Deutschland, auch die milderen Wintermonate in größerer Anzahl überlebt und in dieser Zeit aktiv ist. Das erklärt wohl auch, dass die ersten FSME-Fälle mittlerweile im Februar und März gemeldet werden – vor 15 Jahren ging es erst im April los. Zwar werden über 80 Prozent der FSME-Fälle nach wie vor aus den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern gemeldet, aber auch überall anders kann es zu FSME-Übertragungen durch Zeckenstiche kommen: Mittlerweile kann man ganz Deutschland als FSME-Risikogebiet bezeichnen. In Süddeutschland finden sich die Zecken auch mittlerweile in höheren Bergregionen bei 1200 bis 1400 Metern – früher gab es in Gebieten, die höher als 800 Meter liegen, überhaupt keine Zecken.

Wo halten sich Zecken normalerweise auf?

Im Grunde kann es überall draußen Zecken geben, nicht nur im Wald oder im dichten Gebüsch. Wir haben eine Studie in und um Stuttgart durchgeführt, in der wir zeigen konnten, dass Zecken auch in gepflegten Gärten zu finden sind. Das bedeutet natürlich nicht, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr rauslassen sollten. Nur ist es ratsam, dass man die Kinder kurz begutachtet, wenn sie wieder reinkommen. Bei Borreliose hat man mehr als 12 Stunden Zeit, bis die Infektion nach einem Stich erfolgt, bei FSME ist das Zeitfenster kürzer, aber selbst hier gilt noch: Je früher man die Zecke entfernt, desto geringer ist die übertragene Viruslast und damit ist die Gefahr geringer, schwere Krankheitsverläufe zu bekommen. Häufig krabbeln die Zecken vor dem Stich auch erst einmal noch herum, so dass noch etwas Zeit ist, um die Zecke zu entdecken.

Merkt man nicht, wenn man von einer Zecke gestochen wird?

Nein, denn ein Stich verursacht keine Schmerzen. Die Zecke sitzt meist mehrere Tage auf der Haut, sie sucht Körperregionen, die feucht und geschützt sind, wie Kniekehlen oder eine Pofalte, und da wird sie nicht immer entdeckt. Entsprechend kann sich jeder zweite FSME-Patienten an gar keinen Zeckenstich erinnern. Es lohnt sich also, die Kinder abzusuchen, wenn sie draußen waren. Dasselbe gilt natürlich für einen selbst.

Was ist mit Haustieren? Wenn eine Zecke den Hund oder die Katze gestochen hat und so nach drinnen in die Wohnung gelangt, kann sie dann auf den Menschen „überspringen“?

Wenn eine Zecke einmal zugestochen hat, dann bleibt sie auf dem Wirt. Theoretisch kann es natürlich sein, dass eine Zecke auf dem Hund herumläuft und noch nicht zugestochen hat. Wenn der Hund dann gestreichelt wird, kann die Zecke vom Hund auf den Menschen wechseln. Aber dies ist sehr selten der Fall. Von Haustieren geht in Bezug auf Zecken für Menschen nur eine geringe Gefahr aus.

Zeigt sich eine FSME immer mit typischen Symptomen?

Professorin Ute Mackenstedt leitet das Fachgebiet Parasitologie an der Universität Hohenheim und forscht an Zecken und den von ihnen übertragenen Krankheiten.

Professorin Ute Mackenstedt leitet das Fachgebiet Parasitologie an der Universität Hohenheim und forscht an Zecken und den von ihnen übertragenen Krankheiten.

Zunächst muss die Zecke den Erreger in sich tragen. Und selbst wenn eine Zecke das Virus beim Stechen überträgt, dann kommt es nur bei 40 Prozent der Menschen zu einer Erkrankung. Ist dies der Fall, können die Anzeichen dafür allerdings so vielfältig sein, dass man sie häufig nicht zuordnen kann: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Verdauungsprobleme – wie bei einer Sommergrippe. Es gibt auch Infektionen, die verlaufen eher unauffällig, sodass die Gefahr besteht, dass die Erkrankung nicht erkannt wird. Etwa fünf Prozent der Patienten entwickeln einen schweren Verlauf mit bleibenden Schäden.

Wie ist das bei Borreliose?

Sie ist etwas auffälliger, denn die Borrelien – so heißen die Bakterien, die Borreliose verursachen – vermehren sich erst in der Haut, das geht in vielen Fällen mit einer Rötung und Schmerzen einher. Später können bei Borreliose Fieber, Gliederschmerzen, Müdigkeit und andere allgemeine Symptome hinzukommen.

Was passiert, wenn eine FSME- oder Borreliose-Infektion erst spät entdeckt wird?

Eine FSME kann vor allem bei Menschen im Alter von über 60 Jahren lebensgefährlich werden, die Hirnhautentzündung kann schwere Probleme bis hin zu Hirnschäden verursachen. Bei Borreliose kann es auch Jahre nach einer Infektion zu Gelenkentzündungen und zu Nervenschädigungen kommen. Je früher eine Infektion entdeckt wird, desto eher kann der Arzt das Risiko für einen schweren Verlauf eindämmen.

Wann sollte man denn zum Arzt gehen?

Wenn man selbst oder das Kind von einer Zecke gestochen wurde, dann sollte man das im Hinterkopf behalten. Wenn es dann zu Kopfschmerzen, zu einer Hautrötung oder anderen Symptomen kommt, sollte man zum Arzt gehen.

Kann der Arzt eine FSME und eine Borreliose gut erkennen?

Ja – wenn er denn danach sucht. Und das ist aktuell ein Problem: In Hochrisikogebieten wie Baden-Württemberg und Bayern haben die Ärzte das immer im Hinterkopf und achten darauf. Aber in Norddeutschland ist diese Möglichkeit bei den Kinderärzten häufig nicht so präsent – dabei kann es fast überall in Deutschland zu einem Zeckenstich mit FSME-Infektion kommen. Es schadet in bestimmten Fällen daher sicher nicht‚ als Eltern dem Arzt gegenüber fragend zu erwähnen, ob nicht vielleicht auch eine durch einen Zeckenstich übertragene Infektion für die Beschwerden verantwortlich sein könnte.

Professorin Ute Mackenstedt leitet das Fachgebiet Parasitologie an der Universität Hohenheim und forscht an Zecken und den von ihnen übertragenen Krankheiten.

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