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Die Zahl jener Menschen, die einen Impfschutz gegen Covid-19 erhalten haben, steigt jeden Tag. Und damit die Hoffnung darauf, was als „Herdenimmunität“ zuletzt häufig diskutiert wurde: Lassen sich genügend Personen impfen, sind auch diejenigen geschützt, bei denen die Impfung nicht wirkt oder die sich nicht impfen lassen können. Zum Beispiel, weil ­eine Erkrankung dagegen spricht. Oder weil sie allergisch auf ­Inhaltsstoffe eines Vakzins reagieren.

Ob die für eine Herdenimmunität notwendige Quote jemals erreicht werden wird – Experten beziffern dieses Ziel auf 60 bis 90 Prozent der Bevölkerung –, hängt auch davon ab, ob ­in Zukunft Kinder geimpft ­werden. Immerhin leben mehr als zehn Millionen Unter-14-Jährige in Deutschland. Genauso wird entscheidend sein, wie viele Erwachsene einer Impfung skeptisch gegenüberstehen und sich nicht immunisieren lassen wollen. Laut ­Cosmo-Studie, an der die Universität Erfurt beteiligt ist, lag deren Anteil Mitte Mai bei mehr als 20 Prozent.

Hier erzählen vier Menschen, die auf eine möglichst ­hohe Impfquote angewiesen sind, ihre ganz persönliche Geschichte der Hoffnung: darauf, dass die Herde sie schützen wird.

Mario G., 32, Landwirt

„Jeder Mensch sollte darüber nachdenken, was er für andere tun kann“

Als Baby bin ich dem Tod ­gerade noch von der Schippe gesprungen. Nach zahlreichen schlimmen Infekten hatte ich viel Blut verloren, die Nieren waren kurz vor dem Versagen. Bluttrans­fusionen verbesserten schließlich meinen Zustand. Da war den Ärzten klar: In den Transfusionen muss etwas drin sein, was dem Jungen fehlt. Sie diagnostizierten einen Immundefekt: Agammaglobulinämie.

Weil mein Körper keine Antikörper ausbilden kann, habe ich ­in meinem Leben noch keine einzige Impfung bekommen. Schon bei der Diagnose war damals klar, dass das nicht möglich sein wird. Einen Schutz vor Infekten erhalte ich durch die Blutplasmaspenden ­anderer Menschen: Zweimal die Woche spritze ich mir Immun­globuline unter die Haut. Dank ihnen bin ich fast ­gesund, ­ohne sie würde ich sehr wahrscheinlich irgendwann an einer schweren Lungen­entzündung versterben.

Da sich in seinem Blut keine Antikörper befinden, hat Mario G. noch nie eine Impfung erhalten - auch nicht gegen Corona

Da sich in seinem Blut keine Antikörper befinden, hat Mario G. noch nie eine Impfung erhalten - auch nicht gegen Corona

Gegen einen schweren Covid-19-Verlauf werde ich erst gewappnet sein, wenn genügend Menschen immunisiert sind. Dann erst enthalten Blutplasma­spenden genügend Abwehrstoffe gegen das Virus. So weit wird es vermutlich aber erst in einem Jahr sein. Bis dahin muss ich mich selbst schützen – und bin vorsichtig bei Kontakten.

Ich will niemanden überreden. Aber ich finde, jeder sollte auch ein bisschen darüber nachdenken, was er für andere tun kann – und nicht nur für sich selbst. Ein paar impf-skeptische Freunde habe ich bereits zum Umdenken bewegt.

Corinna H., 26, Tourismusmanagerin

„Es ist unklar, ob und ­inwieweit mich die ­Impfung schützt“

Es bringt nichts, mit seinem Schicksal zu hadern. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mich schon öfter gefragt: Warum ausgerechnet ich? Und dann, als Covid-19 sich zur Pandemie entwickelte, dachte ich nur: wirklich, ­eine Lungenkrankheit? Mit meinen 25 Prozent Lungenfunktion wäre ­eine Infektion für mich fatal. Grund dafür ist ein Immundefekt, auf den Neugeborene heutzutage routinemäßig untersucht werden.

Ich bekam als Baby eine Stammzelltrans­plantation. Die Ärzte hofften, es würde sich ein besseres Immun­system entwickeln. Das hat nicht ganz funktioniert: Nur bis zu einem gewissen Grad kann mein Immunsystem krank machende Keime bewältigen. Wenn die Virenlast zu groß wird, kommt es nicht mehr hinterher. Zum Glück bin ich bereits zweimal gegen Covid-19 geimpft worden. Allerdings ist unklar, ob und inwieweit mich das schützt. Das wird demnächst untersucht.

Mit einer Lungenfunktion von nur 25 Prozent hat Corinna H. sich lange selbst isoliert

Mit einer Lungenfunktion von nur 25 Prozent hat Corinna H. sich lange selbst isoliert

Mein Mann und ich haben uns ­lange isoliert und wir sind weiterhin vorsichtig, was Kontakte angeht. Unsere Freunde und Bekannten ­wissen über meinen Zustand Bescheid. Würde jemand nicht angemessen darauf Rücksicht nehmen: Ich würde mit dieser Person nichts mehr zu tun haben wollen.

Ich gehöre zu den ersten ­Kindern, die mit diesem Immundefekt überleben konnten. Meine Chancen wurden damals als sehr gering eingeschätzt. Ich will sie aber ­weiterhin gut nutzen.

Joline S., 28, mit Tochter Mila Rosa, 4

"Der Umgang mit anderen Kindern fehlt ihr sehr“

Mila Rosa kam mit einem schweren Herzfehler, einem ­Hypoplastischen Linksherzsyndrom, auf die Welt. Ihr Risiko für ­einen schweren Covid-19-Verlauf ist hoch. Wir haben ihr von Anfang an erklärt, dass das Virus für sie gefährlich ist. Sie weiß, dass sie einen Herzfehler hat, aber nicht, wie schwer er ist.

Was Mila Rosa sehr fehlt, ist der Umgang mit anderen Kindern. Seit April 2020 kann sie nicht mehr in den Kindergarten gehen. Mein Mann und ich versuchen, so viel Abwechslung wie möglich in ihren Alltag zu bringen: Wir gehen oft in den Wald, basteln und besuchen den ­Tierpark im Dorf.

Unsere Tochter hat ihre beste Freundin, die Mila Rosa einmal in der Woche treffen darf. Das wollen wir ihr nicht vorenthalten. Generell ist es für uns schwer einzuschätzen, was richtig ist und was falsch. Es geht Mila Rosa den Umständen entsprechend gut, aber wir müssen sie vor Corona schützen.

Mein Mann und ich leben deshalb sehr eingeschränkt. Je mehr Leute immunisiert sind, desto mehr Normalität ­bedeutet das für uns. Die Impfung ist nicht nur Selbst-, sondern auch ­Gemeinschaftsschutz.

Ute N., 60, Verwaltungsangestellte im Ruhestand

„Ich habe trotz Impfung keine Abwehrstoffe im Blut“

Da ich wegen einer transplantierten Leber zur Priorisierungsgruppe 2 gehöre, war ich schon im April vollständig gegen Covid-19 geimpft. Ich habe mich dadurch wieder relativ sicher gefühlt und mich darauf gefreut, unter Menschen gehen zu können.

Zwei Antikörpertests fielen dann ­allerdings negativ aus. Ich ­habe also keine Abwehrstoffe im Blut. Grund dafür sind die Medikamente, die ich seit der Transplantation ­nehmen muss. Sie unterdrücken mein Immunsystem und verhindern eine Abstoßung. Im Vergleich zur Zeit vor der Transplantation kann ich heute recht normal leben, wobei die Angst vor Infekten bleibt. Mit Corona ist die natürlich gestiegen, auch wenn die Maskenpflicht eine Erleichterung war.

Die Situation wird für mich erst leichter, wenn möglichst viele ­andere Menschen geimpft sind. ­Ansonsten könnte ich mich mit ungeimpften Menschen auch künftig nur mit FFP2-Maske in Innenräumen treffen, nur ­Online-Yoga machen, nicht auf ­Konzerte gehen, nicht ins Fitnessstudio oder auf die Hochzeit meiner Nichten.

Wann erreicht eine Gesellschaft Herdenimmunität?

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