Kälteschäden: Wie Sie richtig reagieren
Bergsteiger, die die höchsten Berge der Welt erklommen haben, kehren öfter mit Erfrierungen heim. Doch Finger, Fußzehen und Nasenspitze erfrieren nicht erst bei Temperaturen von minus 30 Grad Celsius. Schon bei Temperaturen um den Gefrierpunkt können Kälteschäden auftreten – wenn die passenden Faktoren zusammenkommen.
Definition Kälteschaden: Was ist eine Erfrierung, was eine allgemeine Unterkühlung?
Eine Erfrierung (Congelatio) ist ein örtlicher Kälteschaden, der eng begrenzt ist. Von einer allgemeinen Unterkühlung (Hypothermie) sprechen Ärzte, wenn der ganze Organismus betroffen ist. Die Körpertemperatur kann dabei auf deutlich unter 35 Grad Celsius absinken. Normalerweise liegt sie bei zirka 37 Grad Celsius.
Gibt es auch Kälteschäden ohne Erfrierungen?
Ja. Von einer Erfrierung im engeren Sinne spricht man nur, wenn durch Eiskristallbildung lokalisierte Schäden am Gewebe entstehen. Aber auch durch eine langsame Abkühlung des Körpers kann es zu Kälteschäden kommen, ohne dass eine solche Kristallbildung auftritt. Es kommt zu einer Unterkühlung (Hypothermie).
- Unterkühlung
Durch den Temperaturverlust kommt es zunächst zu einer Reihe von Gegenmaßnahmen. Der Körper versucht durch eine Engstellung der Gefäße in den äußeren Körperregionen und durch Kältezittern, die Temperatur im Körperkern aufrechtzuerhalten. Bei 15 Grad Celsius Gewebetemperatur sind die Gefäße so eng wie möglich gestellt, bei Temperaturen darunter kommt es im Wechsel auch immer wieder zu einer Erweiterung der Gefäße. Der Körper versucht so, eine gewisse Durchblutung in der betroffenen Region aufrecht zu erhalten. Durch das Abwandern von warmen Blut aus dem Körperkern kommt es aber zu einem weiteren Temperaturverlust.
- Erfrierungen
Bei einer Erfrierung kommt es zu einer Eiskristallbildung im betroffenen Gewebe. Hierdurch wird das Gewebe direkt geschädigt, Zellen sterben ab.
Der Witterung ausgesetzte Gebiete mit wenig Weichteilen wie Finger, Zehen, Nase, Wangen oder Ohren sind besonders gefährdet. Die genaue Gradeinteilung der Erfrierungen kann erst nach einigen Tagen abschließend bestimmt werden.
Ursachen: Welche typischen Auslöser gibt es? Wer ist häufiger betroffen?
Besonders schnell kühlt der Körper aus, wenn Sie ins kalte Wasser fallen. Dies kann zum Beispiel beim Schlittschuhlaufen auf einem vermeintlich zugefrorenen See passieren. Auch wenn ein Skifahrer von einer Lawine verschüttet wird oder ein Bergsteiger in eine Gletscherspalte stürzt, kann er stark auskühlen. Neben Feuchtigkeit setzt vor allem Wind dem Organismus zu und ist ein gefährlicher Risikofaktor. Der Wind bläst die schützende warme Luftschicht um den Körper beziehungsweise aus der Kleidung weg. Dadurch liegt die gefühlte Hauttemperatur deutlich unter der gemessenen Lufttemperatur ("Wind-Chill-Effekt") und die Wärmeverluste steigen. Bei einer Außentemperatur von -9 Grad Celsius und einer Windstärke von 6 Bft. (Beaufortskala, entspricht einer Windgeschwindigkeit von 45 km/h) liegt die gefühlte Temperatur bei -31 Grad Celsius. Erfrierungen sind dann innerhalb von zwei bis drei Minuten möglich. Sind dann Hände, Gesicht oder Füße nicht ausreichend vor der Kälte geschützt, kann es besonders leicht zu Erfrierungen kommen. Zu enge oder feuchte Kleidungsstücke beziehungsweise Schuhe begünstigen dies ebenfalls.
Es gibt Faktoren, die das Risiko für eine Erfrierung und / oder Unterkühlung erhöhen. So sind kleine Kinder und alte Menschen häufiger davon betroffen. Auch Rauchen, Durchblutungsstörungen, Diabetes, bestimmte Medikamente, Unterernährung oder Erschöpfung wirken sich negativ aus. Alkohol ruft zwar zunächst ein wärmendes Gefühl im Körper hervor. Da durch das Getränk aber die Gefäße weitgestellt werden, verliert der Organismus letztendlich noch mehr Wärme. Außerdem nimmt man unter Alkoholeinfluss die Kälte nicht so wahr. Deshalb im Freien keinen Schnaps trinken und dann im Kalten stehen!
Symptome: Woran erkennen Sie eine Unterkühlung, woran eine Erfrierung?
- Unterkühlung
Wird der Körper der Kälte ausgesetzt und kühlt aus, versucht er dem entgegenzuwirken. Er drosselt die Wärmeabgabe und erhöht die Wärmebildung. Mehr Wärme erzeugt der Organismus, indem er die Muskeln arbeiten lässt – wir zittern.
Die Wärmeabgabe steuert er hauptsächlich über den Blutfluss in der Haut. Die Blutgefäße in den Extremitäten – also in Armen und Beinen – verengen sich, wodurch dort die Durchblutung in den Extremitäten abnimmt. Dadurch verliert der Körper zunächst weniger Wärme und lenkt zugleich mehr Blut in Richtung Körperstamm – ein überlebenswichtiger Vorgang. So werden Organe wie Gehirn, Herz und Lunge ausreichend mit Blut versorgt und warm gehalten. Je mehr jedoch der Blutfluss in den Extremitäten abnimmt, desto eher leiden sie unter der Kälte. Es kann zu lokalen Erfrierungen an Fingern und Fußzehen kommen. Verliert der ganze Organismus mehr Wärme als er bilden kann, sinkt die Körpertemperatur und es kommt zur allgemeinen Unterkühlung (Hypothermie).
Bei einer allgemeinen Unterkühlung unterscheiden Ärzte verschiedene Stadien (siehe auch unter Therapie - Erste Hilfe Maßnahmen nach Stadium):
- Unterkühlung Stadium 1: Es beginnt mit Muskelzittern, der Betroffene atmet tief und der Puls ist erhöht (Körpertemperatur: 35 bis 32 °C). Das Bewußtsein ist klar.
- Unterkühlung Stadium 2: Sinkt die Temperatur im Körper weiter ab, wird die Funktion des Gehirns beeinträchtigt. Die Muskeln sind steif, das Bewußtsein ist verlangsamt. Der Betroffene wird zunehmend schläfrig und ist kaum noch ansprechbar (Körpertemperatur: 32 bis 28 °C).
- Unterkühlung Stadium 3 bis 5: Es besteht Lebensgefahr. Der Patient ist bewusstlos, der Puls lässt sich kaum ertasten. Bei einer Körpertemperatur von unter 24 Grad Celsius kommt es zum Atem- und Kreislaufstillstand, eine Wiederbelebung ist in Einzelfällen möglich. Ab einer Körperkerntemperatur unter 13 °C tritt der sichere Tod (irreversibel) ein.
Bei einer schweren Unterkühlung mit Atem- und Kreislaufstillstand tritt der Hirntod jedoch deutlich später ein, als in anderen Fällen von Kreislaufversagen. Der Grund: Vereinfacht gesagt kann das Gehirn bei niedrigen Temperaturen länger überleben, weil der Stoffwechsel bei der extremen Unterkühlung verlangsamt abläuft. Experten warnen darum: Manche Betroffene wirken wie (schein-)tot, können aber mit einem minimalen Kreislauf – wie beim Winterschlaf der Tiere – immer noch am Leben sein. Deshalb im Zweifel immer Wiederbelebungsmaßnahmen vornehmen und dabei versuchen, die Arme und Beine des Verletzten nur wenig zu bewegen!
- Erfrierungen
Jede Erfrierung äußert sich anfangs wie eine Erfrierung ersten Grades:
- Erfrierung Grad 1: Die betroffene Hautstelle sieht blass aus, teilweise ist sie auch grau-weiß oder gelb-weiß verfärbt. Die Haut ist hart, kalt und ohne Gefühl. Erwärmt sich die Haut wieder, rötet sie sich und schmerzt heftig.
- Erfrierung Grad 2: Es bilden sich (zum Teil blutgefüllte) Blasen und die erfrorene Stelle wird rot-bläulich. Die Reiz- und Schmerzempfindlichkeit (Sensibilität) kann im betroffenen Gebiet erhöht oder vermindert sein.
- Erfrierung Grad 3 und 4: Schwere Erfrierungen äußern sich – allerdings erst spät – durch eine blauschwarze Verfärbung der Haut. Auch das darunter gelegene Gewebe stirbt ab (Nekrose). Die Sensibilität ist aufgehoben. Die derart geschädigten Stellen heilen nicht mehr und der betroffene Körperteil muss unter Umständen amputiert werden. Wie schlimm eine Erfrierung ist, lässt sich teilweise erst nach einigen Tagen beurteilen.
Therapie: Erste Hilfe-Maßnahmen bei allgemeiner Unterkühlung und Erfrierung?
Wichtig: Da Sie als Laie womöglich nicht erkennen können, wie schlimm eine Erfrierung ist oder ob der Betroffene auch unterkühlt ist, sollten Sie als erstes den Notruf 112 tätigen.
- Allgemeine Unterkühlung
Wer leicht unterkühlt ist, also unter anderem zittert, aber normal ansprechbar ist, der sollte sofort vor der Kälte geschützt werden. Die allgemeine Unterkühlung ist viel gefährlicher als eine lokale Erfrierung und muss deshalb zuerst und effektiv behandelt werden. Rufen Sie die 112 an. Bringen Sie den Verletzten dann – wenn möglich – an einen warmen Ort. Ist die Kleidung nass, ziehen Sie diese dort aus. Packen Sie den Betroffenen in Decken ein, ziehen Sie ihm eine Mütze über den Kopf. Warme gezuckerte Getränke (ohne Alkohol!) helfen, den Körper wieder aufzuwärmen. Können Sie den Verletzten nicht ins Warme bringen, dann schützen Sie ihn vor Wind und dem kalten Untergrund (zum Beispiel durch eine Rettungsfolie oder Decke). Ist der Patient schläfrig oder verwirrt, dann decken Sie ihn zu, bewegen ihn möglichst wenig und warten Sie auf den Rettungsdienst. Hat der Betroffene das Bewusstsein verloren und atmet nicht, dann nehmen Sie eine Herzdruckmassage vor. Wie das geht, sehen Sie in unserem Video: Erste Hilfe bei Herzstillstand.
Vorsicht: Ist der Patient kaum noch bei Bewusstsein und zittert nicht mehr, dann versuchen Sie nicht, ihn aufzuwärmen. Also weder massieren noch auf andere Weise Wärme zuführen. Ist der Körper bereits zu sehr unterkühlt, kann es dadurch zum sogenannten Bergungstod kommen. Kaltes Blut aus den Gliedmaßen kann sich mit warmem Blut aus dem Körperstamm vermischen und zum Kreislaufschock führen. Allerdings gilt auch hier: eine warme Decke hilft.
- Erfrierung
Ist der Betroffene normal ansprechbar, zittert und hat vermutlich erfrorene Finger oder Fußzehen, dann sollten Sie ihn zuerst an einen warmen Ort bringen – zum Beispiel in eine Berghütte oder ins beheizte Auto. Anschließend behutsam Schmuck und nasse Kleidung ausziehen und die erfrorenen Körperteile vorsichtig erwärmen. Hierzu eignet sich am besten ein Wasserbad mit körperwarmem, nicht zu heißem Wasser. Gießen Sie ständig warme Flüssigkeit nach – insgesamt maximal eine halbe Stunde. Tauen dabei Finger oder Fußzehen wieder auf, kann dies sehr weh tun und erfordert gegebenenfalls sogar die Einnahme von Schmerzmitteln. Zuletzt die betroffenen Hautbereiche mit einem sterilen lockeren Verband einwickeln – jeden Finger und jede Zehe einzeln. Steht kein warmes Wasser zur Verfügung, kann es helfen, die kalten Finger in die Achselhöhlen zu stecken oder warme Hände auf erfrorene Stellen im Gesicht zu legen.
Vorsicht: Erfrorene Körperteile nicht mit Schnee einreiben. Keine Blasen öffnen, dies kann zu Infektionen führen. Der Betroffene sollte nicht rauchen, da dies die Blutgefäße verengt. Betreffende Stellen vorsichtshalber nicht massieren, da dies bei schwereren Erfrierungen schaden kann. Die Haut nicht mit trockener oder zu starker Hitze erwärmen – also zum Beispiel durch einen Fön, ein Heizkissen, Lagerfeuer oder an der Heizung. Da die erfrorene Haut ohne Gefühl ist, kann es zu Verbrennungen kommen. Befindet sich der Verletzte im Freien und muss dort bis zur Rettung bleiben, dann besser nicht versuchen, die erfrorenen Gliedmaßen zu erwärmen. Denn: Friert das Gewebe erneut ein, kann es schwer beschädigt werden. Eine wärmende Decke und trockene Kleider empfehlen sich aber in jedem Fall.
Vorbeugen: Wie können Sie eine Erfrierung oder Unterkühlung vermeiden?
Ziehen Sie sich warm genug an, wenn Sie länger in der Kälte unterwegs sind! Tragen Sie mehrere Schichten aus Funktionskleidung ("Zwiebelprinzip"), die wärmt und schnell trocknet, wenn Sie Sport treiben. Wechseln Sie rechtzeitig feuchte Shirts oder Pullis gegen trockene Wäsche. Fäustlinge halten die Hände bei kalten Temperaturen besser warm als Fingerhandschuhe, auch das Mitführen von Wärempackungen kann helfen. Vergessen Sie nicht die Mütze – da der Kopf temperaturempfindlicher ist. Auch das Tragen von winddichten Gesichtsmasken ist bei Alpintouren sinnvoll. Die Schuhe dürfen nicht zu eng sein, da sonst die Durchblutung der Füße behindert wird. Kaufen Sie Winterstiefel deshalb lieber eine Nummer größer und ziehen dicke Socken an. Stehen Sie nicht für längere Zeit im kalten Wind, ohne sich zu bewegen. Denken Sie auch an Bekleidung, die Sie vor dem Wind schützt. Nehmen Sie auf Bergtouren eine Thermoskanne mit Tee mit oder kehren Sie beim Skifahren in eine Berghütte ein, um sich aufzuwärmen. Füllen Sie auch regelmäßig ihre Kohenhydrate auf indem Sie zum Beispiel einen Müsliriegel mitnehmen. Und - wählen Sie ihre Tour immer entsprechend ihres Trainingszustandes.
Wenn Sie an Durchblutungsstörungen wie dem Raynaud-Syndrom leiden oder an anderen Krankheiten, die mit eingeschränkter Durchblutung oder herabgesetztem Schmerzempfinden einhergehen, sprechen Sie mit Ihrem Arzt, bevor Sie eine längere Tour in die Kälte planen.
Unser beratender Experte
Dr. Walter Russ ist Betriebsmediziner und hat eine eigene Praxis in Vilsheim.
Quellen:
- Deutsches Ärzteblatt, Einteilung und Therapie kälteinduzierter Verletzungen, Sachs C. et al., Dtsch Arztebl Int 2015; 112(44): 741-7; DOI: 10.3238/arztebl.2015.0741. Online: https://www.aerzteblatt.de/archiv/172741/Einteilung-und-Therapie-kaelteinduzierter-Verletzungen (abgerufen am 17. Oktober 2018)
- Medizinische Kommission der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom), Bern/Schweiz, "Kälteschäden – Hypothermie und Erfrierungen". Online: https://www.asu-arbeitsmedizin.com/gentner.dll/ASU-2013-05-254-259_NTYxOTY5.PDF? (abgerufen am 25. Oktober 2018)
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