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Frau Prof. Lange, was sollten Eltern eines Kindes mit Typ-1-Diabetes im Blick haben, wenn der Schulstart naht?

Ganz wichtig ist es, dass die Eltern ihr Kind im Umgang mit seinem Diabetes im Alltag stärken, ihm etwa kleine altersgemäße Aufgaben geben, Vertrauen aussprechen und vor allem loben. Dabei sollte aber immer bedacht werden, dass die anspruchsvolle Diabetestherapie von Kindern noch nicht verstanden und verantwortet werden kann. Außerdem bieten viele Kinderdiabeteszentren spezielle Programme an, die auf die Einschulung vorbereiten, zum Beispiel „Fit für die Schule“. In diesen Kursen wird etwa vermittelt, wie die Kinder ihren Diabetes gegenüber Mitschülern und Lehrern vertreten oder wie sie sich in bestimmten Situationen am besten verhalten.

Diabetesschulungen werden auch für ältere Schüler angeboten, zum Beispiel vor dem Wechsel in eine weiterführende Schule. Die Eltern sollten zudem mit ihrem Diabetesteam besprechen, wie ihr Kind optimal während der Zeit in der Schule unterstützt werden kann und welche Gespräche mit den Lehrkräften im Vorfeld geführt werden sollten.

Prof. Dr. Karin Lange, Leiterin des Instituts Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover

Prof. Dr. Karin Lange, Leiterin des Instituts Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover

Können Lehrer und Pädagoginnen auch Diabetesschulungen erhalten? Häufig fehlt es ja am nötigen Basiswissen zu Diabetes Typ 1.

In der Regel sind die Diabetesteams bereit, in die Schulen zu gehen und die Lehrkräfte zu schulen. Inzwischen gibt es auch gute Erfahrungen mit Onlinekursen, an denen viele Lehrkräfte gleichzeitig teilnehmen. Unser Team empfiehlt den Eltern, die Lehrerschaft nicht allein zu schulen. Eine erfahrene Diabetesberaterin kann für eine entspannte Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften sorgen und auch Unsicherheiten und Ängste gut auffangen. Finanziert wird eine solche Schulung entweder durch die Krankenkassen oder durch das Integrationsamt.

Über welche Dinge sollten Lehrer beim Schulstart Bescheid wissen?

Sie sollten frühzeitig erfahren, dass sie ein Kind mit Typ-1-Diabetes unterrichten werden. Zudem sollten sie wissen, dass sie von den Eltern gemeinsam mit einer erfahrenen Diabetesberaterin oder einem -berater persönlich informiert werden über den Diabetes, die Therapie und das Verhalten in besonderen, sehr seltenen, Notsituationen. Zusätzliche Informationsmaterialien der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie können Eltern bei ihrer betreuenden Kinderdiabetesambulanz erhalten oder auf www.diabetes-kinder.de herunterladen und als Grundlage für das Gespräch nutzen.

Auf diesen Bögen kann z.B. eingetragen werden, wieviel Traubenzucker bei einer Unterzuckerung gegeben werden sollte oder was vor dem Sportunterricht zu beachten ist. Dazu kommen ganz individuelle Absprachen mit der betroffenen Familie. Etwa, dass die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer in der Frühstückspause bei der Insulinabgabe über die Schulter schaut oder bei welchen Blutzuckerwerten die Eltern informiert werden sollten. Wichtig sind hierbei gegenseitiges Vertrauen und realistische Erwartungen an das, was Kinder und Lehrkräfte leisten können.

Häufig sorgen sich Eltern, dass ihrem Kind etwas Akutes passieren könnte wegen seines Diabetes. Was raten Sie diesen Familien?

Die größte Angst vieler Eltern ist vermutlich eine schwere Unterzuckerung. Diese akute Komplikation ist aber extrem selten geworden, seitdem es die kontinuierliche Glukosemessung und Pumpensysteme gibt, die schon bei niedrigen Glukosewerten abschalten oder alarmieren. Außerdem können bereits Erstklässler lernen, die typischen Anzeichen einer „Hypo“ zu erkennen und zumindest um Hilfe zu bitten. Darauf sollten Lehrkräfte vorbereitet sein. Inzwischen gibt es auch ein einfach anzuwendendes Notfallmedikament, das alle Kinder mit Diabetes dabeihaben sollten. Es enthält das Hormon Glukagon und wird als Pulver einfach in die Nase „gesprüht“. Auch das erklären die Diabetesteams den Lehrkräften. Hier können Eltern heute sehr gelassen sein und darauf vertrauen, dass ihr Kind in der Schule sicher ist.

Was kann man denn einem Erstklässler oder einer Erstklässlerin mit Diabetes schon zutrauen und bei welchen Dingen ist Hilfe nötig?

Das ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Auf jedem Fall kann mit einem Kind in diesem Alter schon abgesprochen werden, dass in der Schule nichts anderes gegessen wird als geplant und dass angebotene Naschereien mit nach Hause genommen werden. Ein Kind mit Diabetes kann seinen Mitschülern und Mitschülerinnen zudem sagen, wenn es sich nicht gut fühlt und um Hilfe bitten. Sechs- bis Siebenjährige sollten sich allerdings nicht ohne Aufsicht Insulin spritzen oder es mit der Pumpe abgeben. Ebenso sind sie überfordert, wenn sie den Kohlenhydratgehalt von Mahlzeiten, z. B. in der Schulkantine, einschätzen sollen. Hier braucht jedes Kind mit Diabetes die Hilfe eines erfahrenen Erwachsenen, der es bei der Insulindosierung berät und überwacht. Dabei kann manches auch per Telefon mit den Eltern geklärt werden.

Selbstverständlich sollten die Eltern die Diabetestasche morgens immer kontrollieren und gegebenenfalls auffüllen, damit nichts fehlt. Für alle Eltern ist es dabei ein schwieriger Balanceakt zwischen notwendiger Hilfe und Fürsorge einerseits und ständiger Überwachung und Einengung andererseits. Dabei sollten auch die Follower-Funktion des CGM-Systems und das Telefon nur gut dosiert eingesetzt werden. Eine ständige Überwachung des Diabetes kann einer altersgemäßen psychischen Entwicklung des eigenen Kindes schaden. Eltern sollten ihrem Kind - mit und ohne Diabetes - zutrauen, das eigene Leben Schritt für Schritt zu meistern.

Halten Sie eine Schulbegleitung für Kinder mit Diabetes für sinnvoll?

Bis vor wenigen Jahren war die Schulbegleitung für Kinder mit Diabetes eine Ausnahme, die nur bei besonderen Problemen notwendig war. Heute – besonders bei der Nutzung der neuen Technologien – wünschen sich immer mehr Eltern eine solche Begleitung für ihr Kind. Das hat Vor- und Nachteile, die gut abgewogen werden sollten. Am besten wäre es, wenn an jeder Schule – wie von der DDG gefordert – eine Schulgesundheitskraft tätig wäre, die sich nicht nur um ein einzelnes Kind mit einer chronischen Krankheit kümmert, sondern um alle Kinder mit besonderem Bedarf. Dies hätte den Vorteil, dass das Kind wegen der Begleitung in der Klasse nicht in eine Sonderrolle käme, aber trotzdem kompetent betreut würde.

Ein Kind, das altersgemäß entwickelt ist und keine kognitiven Einschränkungen hat, das morgens in die Schule geht und ab Mittag wieder daheim betreut wird, braucht aus meiner Sicht meist keine Schulbegleitung. Wenn ein Erstklässler jedoch ganztags die Schule besucht, ist er auf kompetente Hilfe bei seiner Diabetestherapie angewiesen. Dies kann nicht von Lehrkräften gefordert werden, obwohl es auch hier sehr engagierte und erfolgreiche Beispiele gibt. Hier sollten sich die Eltern individuell mit dem Diabetesteam abstimmen, welche Hilfen ihr Kind konkret braucht.

Was können Eltern tun, damit sich die Lehrerinnen und Pädagogen gut unterstützt fühlen?

Die Eltern sollten jederzeit für Rückfragen und Absprachen erreichbar sein. Die meisten Kinder mit Diabetes haben heute ein Smartphone, über welches die Eltern die Glukosewerte auch aus der Ferne verfolgen können. Wann Eltern einschreiten und ihr Kind kontaktieren, sollte mit den Lehrkräften vereinbart sein. Störungen im Unterricht sollten nur im extremen Ausnahmefall stattfinden.

Schülerin rechnet an Tafel

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Stichwort „Störungen im Unterricht“: Wie sollte man mit den Alarmen von Pumpe und Glukosesensor umgehen?

Wenn die Geräte ständig Alarm schlagen, stimmt etwas mit der Therapie nicht. Ein Alarm hilft außerdem nur, wenn Kinder darauf reagieren können und dürfen. Wenn es bei einer Hypo piepst, weiß jeder: Das Kind muss schnell wirkende Kohlenhydrate wie Traubenzucker essen. Wenn Eltern aber zu ehrgeizig sind und den Hochalarm bei ihrem Kind etwa auf 180mg/dl (10mmol/l) einstellen und es ständig Alarme gibt, macht das Kind und Lehrkräfte nur hilflos. Eltern sollten den Zielbereich und die Einstellung der Alarmfunktionen mit ihrem Diabetesteam individuell für ihr Kind absprechen.

Wie kann der Schulstart für Kinder so gestaltet werden, dass die Freude überwiegt und der Diabetes in den Hintergrund rückt?

Wenn die Eltern mit viel Optimismus an den Schulstart herangehen. die eigenen Ängste kritisch überprüfen und angemessen in den Hintergrund rücken, werden die Kinder das positiv wahrnehmen. Es gibt den schönen Satz: „So viel Kontrolle und Hilfe wie nötig, aber so wenig wie möglich“. Wenn Eltern das beherzigen, kann der Diabetes einfach mitlaufen und die Kinder lernen, nach und nach ihre Erkrankung selbstbewusst und selbstständig zu managen. Dazu gibt es ein aktuelles motivierendes Studienergebnis aus Dänemark: Dort hat man landesweit die Schulleistungen von Kindern mit Typ-1-Diabetes mit denen von allen anderen Kindern verglichen. Das ermutigende Ergebnis bestätigte, dass die Kinder mit Diabetes ebenso gute Noten erreichten und sich ebenso wohl gefühlt haben wie alle anderen Kinder.

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