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Schon früher haben Beobachtungsstudien auf einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Konzentration von Bisphenol A (BPA) im Urin und einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes hingewiesen. Nun konnte ein US-amerikanisches Forschungsteam erstmals zeigen, dass dieser Weichmacher den Zuckerstoffwechsel unmittelbar beeinflusst.[1]

BPA steckt häufig in Kunststoffverpackungen und gelangt zum Beispiel über die Nahrung in den Körper. Der Weichmacher wird in der Leber zu wasserlöslichen Verbindungen umgewandelt und dann über die Nieren ausgeschieden.

Was hat die neue Studie über die Wirkung von BPA gezeigt?

Um herauszufinden, ob die Aufnahme von Bisphenol A (BPA) tatsächlich das Diabetes-Risiko erhöht, haben in der Studie gesunde Erwachsene zwei Tage lang Lebensmittel mit einem geringen BPA-Wert gegessen. Im Anschluss nahm eine Hälfte der Teilnehmenden über vier Tage die derzeit gültige BPA-Obergrenze der US-Umweltbehörde von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht in Tablettenform zu sich. Die andere Hälfte erhielt ein Scheinmedikament (Placebo).

Das Ergebnis: Der Nüchternblutzucker der BPA-Gruppe war leicht erhöht. Die Insulinempfindlichkeit dagegen deutlich verringert – ein Zeichen, dass sich der Stoffwechsel in Richtung Insulinresistenz verändert.

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Nüchternblutzucker

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BPA kein Hauptrisikofaktor für Diabetes

„Bisphenol A ist eine Substanz, die uns schon länger umtreibt“, sagt Prof. Holger S. Willenberg, Leiter der Sektion für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten der Universitätsmedizin Rostock. „BPA zählt zwar bislang nicht zu den Hauptrisikofaktoren für die Entstehung eines Diabetes – das sind Bewegungsmangel und schlechte Ernährung mit Adipositas. Aber gerade Menschen, die sich ungesund ernähren, also wenig frisch Gekochtes und stattdessen eher Fertiggerichte essen, könnten sogar besonders viel schädliches BPA aufnehmen.“

Über welche Lebensmittel nehmen wir Bisphenol A auf?

Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nehmen Menschen Bisphenol A (BPA) vor allem über den Verzehr konservierter oder verpackter Lebensmittel auf. „Als Weichmacher kommen BPA und seine Ersatzprodukte in vielen Kunststoffprodukten vor“, erklärt Dr. Thomas-Benjamin Seiler, Direktor des Hygiene-Instituts für Umwelthygiene und Toxikologie am Hygiene-Institut des Ruhrgebiets. Es steckt zum Beispiel in Bechern und Flaschen für Lebensmittel und Getränke sowie in der Innenbeschichtung von Konservendosen.

Dadurch nehmen wir vermutlich eine viel höhere Dosis auf, als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für unbedenklich hält. Das BfR schreibt dazu auf seiner Internetseite: „Für Bisphenol A hat die EFSA basierend auf wissenschaftlichen Daten aus Tierversuchen einen TDI-Wert von 0,2 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag abgeleitet.“ TDI ist die Abkürzung für den englischen Begriff tolerable daily intake – also die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge.

Dieser TDI-Wert wurde im April 2023 veröffentlicht und ist damit 20.000-fach niedriger als der 2015 ermittelte Richtwert von 4000 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. „Obwohl die Gesamtaufnahme von BPA in der Bevölkerung seit Jahren rückläufig ist, ist davon auszugehen, dass sie bei Menschen aller Altersgruppen deutlich über dem neuen von der EFSA vorgeschlagenen TDI liegt“, schreibt das BfR weiter.

Nach allem, was wir bislang wissen, sind Bewegungsmangel und schlechte Lebensweise nach wie vor die viel größeren Risikofaktoren für die Entstehung eines Diabetes als BPA

Warum kann BPA die Entstehung von Diabetes begünstigen?

Bisphenol A (BPA) beeinflusst verschiedene Mechanismen, die zur Entstehung von Diabetes beitragen können. „BPA führt unter anderem zu einer Ausschüttung des Entzündungsbotenstoffs Interleukin-6, von dem wir wissen, dass er das Risiko einer Insulinresistenz und eines Typ-2-Diabetes begünstigt“, erklärt Prof. Willenberg.

Außerdem stört BPA den Transport von Zucker im Körper. „Bestimmte Fettmoleküle wie das Adiponectin werden herunterreguliert, also in geringeren Mengen produziert. Das Adiponectin verstärkt aber den Insulinsignalweg. Ist sein Spiegel zu niedrig, wird zu wenig Zucker in die Muskelzellen abgegeben – dadurch steigt der Blutzuckerspiegel.“

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Wie genau beeinflusst Bisphenol A den Zuckerstoffwechsel?

Bisphenol A (BPA) zählt zu den endokrinen Disruptoren – das sind chemische Substanzen, die im Körper wie Hormone wirken und zu Störungen des Stoffwechselhaushalts führen können. „BPA bindet an Hormonrezeptoren und bringt so das hormonelle Gleichgewicht durcheinander, weil diese Rezeptoren normalerweise nur körpereigene Signale empfangen“, erklärt Dr. Seiler. „BPA wirkt dann sozusagen wie ein Störfunk in der Kommunikation im Körper.“ Das kann verschiedene Auswirkungen haben, die zum Teil noch nicht vollständig untersucht sind.

Man weiß, dass der Blutzuckerspiegel durch die Hormone Insulin und Cortisol reguliert wird. Steigt nach dem Essen der Blutzuckerspiegel, wird von der Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin ausgeschüttet, um die Zuckerkonzentration im Blut zu senken. Und fällt die Zuckerkonzentration im Blut, werden Cortisol, Adrenalin, Wachstumshormon und Glukagon ausgeschüttet, um den Blutzuckerspiegel zu erhöhen.

Diese Steuerung des Zuckerhaushalts wird durch Bisphenol A gestört. „Das BPA wirkt wie ein Östrogen – und von diesem Hormon wissen wir, dass es an der Steuerung des Zuckerhaushalts beteiligt ist“, erklärt Prof. Willenberg. „Leider sind die genauen Mechanismen noch nicht verstanden. Aber fest steht, dass BPA mit verschiedenen Mechanismen die Entstehung von Diabetes begünstigt.“

Worauf sollten Menschen mit Diabetes achten, um durch BPA nicht zusätzlich geschädigt zu werden?

Jeder Mensch kann seine BPA-Belastung verringern, indem er den Verzehr von Lebensmitteln in Konservendosen und eingeschweißten oder in Plastik verpackten Lebensmitteln vermeidet. „Häufig höre ich: Hier muss die Politik was tun“, sagt Prof. Willenberg. „Ich würde mir aber viel mehr wünschen, dass die Menschen ihr Konsumverhalten selbstständig ändern. Ich nehme mir zum Beispiel eine Tasse mit, wenn ich zum Bäcker gehe und einen Kaffee to go bestelle.“

Außerdem fährt der Endokrinologe jeden Tag mit dem Fahrrad in die Klinik. „Nach allem, was wir bislang wissen, sind Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung nach wie vor die viel größeren Risikofaktoren für die Entstehung eines Diabetes als BPA“, so Willenberg.

Dieses Risiko lässt sich senken, indem man zum Beispiel viel Gemüse und Vollkornprodukte isst und weniger zuckerhaltige Lebensmittel, kaum oder gar keinen Alkohol trinkt, ausreichend schläft, nicht raucht und Stress vermeidet.


Quellen:

  • [1] Seal A, Malin SK, Schaffner A et al. : Oral Bisphenol A Administration Decreased Peripheral Insulin Sensitivity in Healthy Adult, 17-OR: ADA Presidents' Select Abstract. American Diabetes Association: https://diabetesjournals.org/... (Abgerufen am 05.07.2024)
  • Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Bisphenol A in Alltagsprodukten: Antworten auf häufig gestellte Fragen. https://www.bfr.bund.de/... (Abgerufen am 05.07.2024)
  • Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Fragen und Antworten zu endokrinen Disruptoren. https://www.bfr.bund.de/... (Abgerufen am 05.07.2024)
  • Deutsche Diabetes-Hilfe e. V.: Adiponectin. diabetesde.org: https://www.diabetesde.org/... (Abgerufen am 05.07.2024)
  • Shankar A, Teppala S: Relationship between Urinary Bisphenol A Levels and Diabetes Mellitus. In: The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism: 01.12.2011, https://doi.org/...