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Datengetrieben — so beschreibt Professor Matthias Fank das Leben von Menschen mit Typ-1-Diabetes. Sie benötigen regelmäßig eine Vielzahl von Informationen: Blutzuckerwert, Insulinmenge, die Kohlenhydrate der nächsten Mahlzeit. Apps können dabei den Alltag durchaus erleichtern.

Kommunikationswissenschaftler Fank lebt selbst mit der Diagnose Typ-1-Diabetes und managt seine Krankheit mit vielen digitalen Helfern. Auf Smartphone und Laptop sieht er zum Beispiel, wo sein Blutzucker steht. Sein Glukosesensor (CGM) zeigt ihm auf dem Handy die Tages- und Wochenwerte an und übermittelt den Langzeitzuckerwert (HbA1c). In einer weiteren Diabetes-App dokumentiert er Insulindaten, mit einer anderen berechnet er die Kohlenhydrateinheiten. Fährt er Rennrad, kontrolliert er sich mit einer Fitnessuhr.

Welche Geräte messen den Blutzucker fürs Selftracking?

Zahllose Informationen über unsere individuelle Gesundheit können heute mithilfe von Apps und Wearables wie etwa Fitnessarmbändern gesammelt und jederzeit abgerufen werden. Selftracking nennt sich das digitale Kontrollieren von Körperfunktionen. Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Schritte, Gewicht, Fettund Muskelmasse, Schlaf — all das lässt sich erfassen.

Bei Menschen mit Diabetes kommen Daten rund um den Blutzucker dazu. Von zehn Menschen mit dieser Krankheit nutzen bereits sechs eine Diabetes-App, so der Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2022. In fünf Jahren könnten es laut der Umfrage 80 Prozent aller Diabetespatientinnen und -patienten sein. Die Technologie hat in den vergangenen Jahren einen großen Sprung gemacht.

Blutzuckermessgeräte, Glukosesensoren und Pens für die Insulininjektion übertragen Werte per Bluetooth auf das Smartphone. Oft kann man die Daten sogar mit der behandelnden Arztpraxis teilen. Teilweise sind die digitalen Anwendungen kompatibel mit anderen Gesundheits-Apps.

Wie nutzen Menschen mit Diabetes Apps?

„Das alles ist eine große Erleichterung“, sagt Fank. Er forscht an der TH Köln zu strategischem Informationsmanagement und wollte wissen, wie andere Menschen mit Typ-1-Diabetes mit digitalen Möglichkeiten umgehen. Das Ergebnis einer Umfrage mit mehr als 1000 Teilnehmenden: Personen mit Typ-1-Diabetes sind offenbar besonders technikaffin, mehr als 90 Prozent nutzen Apps für das Krankheitsmanagement, fast genauso viele ein CGM-System zur kontinuierlichen Glukosemessung.

Und bei einer App bleibt es oft nicht: 25 Prozent nutzen zwei, 22 Prozent drei und 13 Prozent sogar vier. Spezielle Diabetes-Apps, die mit Hilfsmitteln wie Glukosesensoren oder sogenannten Smart-Pens verbunden sind, spielen dabei die wichtigste Rolle. Gleichzeitig gibt es unzählige Gesundheits- und Fitness-Apps, teilweise sind sie auf Betriebssystemen und Smartphones schon vorinstalliert. In der Befragung gab die Mehrheit an: „Ich möchte möglichst wenige Apps nutzen, um nicht noch mehr Zeit mit meinem Diabetes zu verbringen.“ Ein Widerspruch?

Diese Diabetes-Apps gibt es derzeit auf Rezept (DiGA)

• Vitadio: vermittelt Menschen mit Typ-2-Diabetes in einem mehrwöchigen Programm Wissen um Ernährung, Bewegung und gesunden Schlaf

• Hello Better Diabetes: interaktives Therapieprogramm, um depressive Symptome bei Diabetes zu verringern

Weitere Diabetes-Apps sind kurz vor der Zulassung. Das Verzeichnis enthält auch zwei Apps zur digitalen Behandlung von Übergewicht:

• Oviva Direkt/Zanadio: helfen bei starken Gewichtsproblemen, abzunehmen

Fank erläutert: „Es ist ein Balanceakt. Durch die vielen technischen Neuerungen könnte man sich den ganzen Tag mit den Informationen beschäftigen, was aber nicht das Ziel sein kann.“ Die Umfrage zeigt: Viele wünschen sich Anwendungen, die mehr Daten miteinander vergleichen. Die zum Beispiel anzeigen, wie bestimmte Lebensmittel, Sportarten oder Situationen den Blutzucker beeinflussen. F

ank bringt ein Beispiel: Auf Radtouren überträgt seine Fahrrad-App zwar Daten wie Distanz, Geschwindigkeit, Herzfrequenz. Aber der Blutzucker: Fehlanzeige. Die Kurve ruft er über eine andere App auf, um zu sehen, wie sich der Sport auf seine Werte auswirkt.

Wie viel Kontrolle ist gut und gesund?

Dass viele Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes ihre Körperfunktionen tracken, überrascht Dr. Vivien Suchert nicht. Die Psychologin hat ein Buch über das „vermessene Ich“ geschrieben und sagt: „Bei chronisch Erkrankten ist oft ein Ohnmachtsgefühl da, der Krankheit ausgeliefert zu sein. Das Messen von Gesundheitsdaten vermittelt ein Gefühl von Kontrolle.“

Zu viel wird es, wenn die Kontrolle in Stress ausartet. Ein Negativkreislauf setzt ein, denn Stress wirkt sich schlecht auf den Blutzucker aus. Ihr Tipp: „Bei Informationen, die nicht absolut gesundheitsrelevant sind, auch mal dem Reflex widerstehen, schon wieder aufs Gerät zu schauen, sondern dem Körpergefühl vertrauen.“

Das gibt es bei Gesundheitsapps zu beachten

Fahrradkilometer tracken, Kohlenhydrate berechnen oder sich an Medikamente erinnern lassen — was will ich erreichen? Diese Frage hilft, sich zwischen all den Gesundheits-Apps besser zu entscheiden.

Eine App gefunden? Prüfen Sie vorab, ob diese seriös ist. Hier finden Sie Checklisten: Aktionsbündnis Patientensicherheit oder Techniker Krankenkasse.

Sie teilen Gesundheitsdaten über eine Cloud mit Ihrer Arztpraxis? Die Datenübertragung sollte Ende zu Ende verschlüsselt sein. Lesen Sie die Nutzungsbedingungen!

Welche Diabetes-Apps bieten einen Mehrwert?

Frei verfügbare Apps seien zudem nicht alle qualitativ so gut, dass sie immer richtige Werte ausgeben. „Im medizinischen Bereich ist die Korrektheit aber ziemlich gut.“ Die Gefahr, durch Selftracking unter Druck zu geraten, hält Diabetologe Winfried Keuthage aus Münster für gering: „Bedenklich ist Tracking in der Regel nicht, aber jeder muss für sich das beste Maß herausfinden.“

Er beobachtet eher, dass viele Apps und digitale Geräte schnell wieder aus dem Alltag verschwinden. „Dauerhaft werden sie selten genutzt.“ Studien bestätigen, dass die Motivation vor allem anfangs recht hoch ist, aber nicht langfristig anhält. Dabei findet Keuthage Diabetes-Apps durchaus nützlich, er hat selbst eine App für Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt (Dia-Book). Sie kombiniert, wie viele andere, Ernährungs-, Bewegungs- und Blutzuckertagebuch. Damit die Lust an digitalen Helfern nicht vergeht, sollten sie zwei Dinge vereinen, so Keuthage: „Sie sollten einen erkennbaren Mehrwert bieten und möglichst wenig Arbeit machen.“

Das Wichtigste in Kürze

Selftracking nennt sich das digitale Kontrollieren von Körperfunktionen. Blutzucker, aber auch Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und vieles mehr lassen sich so erfassen. Wichtig: Die Selbstvermessung soll nicht in Stress ausarten.

Gehen Sie vorsichtig mit Gesundheitsdaten um, lesen Sie die Datenschutzerklärungen in den Apps und lassen Sie sich etwa von Ärztin oder Arzt oder der Krankenkasse beraten.

Antje Thiel, 53, Typ-1-Diabetes

„Ich möchte meinen Diabetes besser verstehen“

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Diabetes besser zu verstehen. Was nervt: Die Apps lassen sich oft nicht synchronisieren. Ich muss doppelt Buch führen, etwa meine Ernährungsdaten händisch in meine Diabetes-App eintragen. Dabei hätte ich gern alles auf einen Blick!

Uwe Schnittker, 61, Typ-2-Diabetes

„Ich habe gelernt, mich gesund zu ernähren“

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Mein Hausarzt war besorgt, dass ich es übertreibe, und riet mir, die App wieder zu löschen. Ich achte weiterhin auf gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung. Zwar wiege ich wieder etwas mehr, aber meinen Langzeitzuckerwert kann ich halten.

Erklärvideo - Blutzucker messen

Wie messe ich meinen Blutzucker richtig?

Den Blutzucker regelmäßig selbst zu kontrollieren gehört für viele Menschen mit Diabetes zum Alltag. In unserem Video zeigen wir Ihnen, wie das Messen in Eigenregie funktioniert zum Artikel


Quellen:

  • Fank M: Welche Informationen nutzen Menschen mit Typ-1-Diabetes? Informationsverhalten von Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland, Ergebnisse einer quantitativen Umfrage im Oktober 2022. Technology Arts Sciences TH Köln: https://epb.bibl.th-koeln.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Ebert O: Datenschutz bei Diabetes-Clouds: Das sagen die Behörden. Diabetologie online: https://www.diabetologie-online.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: Wearables – Fitnesstracker, Smartwatch und intelligente Kleidungsstücke. www.bsi.bund.de: https://www.bsi.bund.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Duttweiler S, Gugutzer R: Self-Tracking – mehr als kurzfristige Selbstberuhigung?. Goethe-Universität Frankfurt am Main: https://aktuelles.uni-frankfurt.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: DiGA-Verzeichnis. bfarm.de: https://diga.bfarm.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Kooiman TJM, de Groot M, Hoogenberg K et al.: Self-tracking of Physical Activity in People With Type 2 Diabetes: A Randomized Controlled Trial . In: National Library of Medicine: 01.07.2018, https://doi.org/...
  • Keuthage W, Mühlen H: App auf Rezept – gibt es Diabetes-DiGAs?. Digitalisierungs- und Technologiereport 2022 : https://www.dut-report.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)
  • Zukunftsboard Digitalisierung: Apps in der Praxis: informieren, verordnen, einsetzen. Medical Tribune Digital Corner, Sonderheft zur diabetes zeitung Nr. 11 vom 27.11.2020: https://www.medical-tribune.de/... (Abgerufen am 21.06.2023)